Mastkaninchen fristen normalerweise ein trauriges Leben in engen Käfigen. Ein Landwirt aus Hohenlohe will das ändern.

Neuenstein - Das Kaninchen schimmert hellrosa. In einer Kombiverpackung wartet es im Möhringer Kaufland-Kühlregal auf Feinschmecker. Das Kaninchen liegt direkt neben den Putenkeulen. Fleischliebhabern dürfte bei diesem Anblick der Mund wässrig werden. Das Kaninchen sieht zart aus, erinnert an Hähnchenbrustfilet. 10,90 Euro kostet das Kilo, ohne Kopf und ohne Leber. Frische verspricht ein Aufkleber und regionale Herkunft: geboren, aufgezogen und geschlachtet sei das Tier in der Nähe. Das Etikett auf der Vorderseite wirbt mit dem Slogan „Kaninchenfleisch aus Bodenhaltung“. Das klingt für Laien grotesk. Ist es aber nicht.

 

Das tiefgekühlte Bodenhaltungskaninchen stammt aus dem hohenlohischen Neuenstein. Erzeuger ist Manfred Bauer, der seit mehr als einem Vierteljahrhundert Kaninchen für den Fleischverzehr züchtet. Was andere in einem heimeligen Käfig als Haustier halten, ist für Bauer über die Jahre zur Haupteinnahmequelle geworden. Warum er sich für Kaninchenfleisch entschieden hat? „Es ist eine gute Alternative zum Putenfleisch“, sagt der erfahrene Mäster, „ebenso eiweißreich und fettarm.“

Damit kommt das Lebensmittel Kaninchenfleisch dem modernen Ernährungsverhalten entgegen. In Deutschland werden jährlich mehr als 41 000 Tonnen davon verzehrt, das entspricht laut der Welternährungsorganisation FAO 22 Millionen Tieren. Bauer trifft also den Nerv der Verbraucher, doch interessiert sich dieser überhaupt dafür, was da am Ende auf seinem Teller liegt? Möchte er wissen, wie es dem Tier erging, bevor es zu einem saftigen Stück Filet weiterverarbeitet wurde?

Im Internet kursieren grausame Bilder

Das wäre den Tieren zumindest zu wünschen. Denn wer meint, dass Kaninchen für den Fleischverzehr bis zu ihrer Schlachtung wie lieb gewonnene Haustiere gehalten werden, sollte sein Weltbild überdenken. Kaninchenmast und Haustierhaltung haben in der Regel wenig gemeinsam. In vielen Betrieben fristen die Tiere ihr Dasein in viel zu engen Käfigen auf Drahtgitterböden. „Das System an sich ist katastrophal“, sagt Martina Stephany, Kampagnenleiterin der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. „Die Betriebe mit Käfighaltung erinnern an alte Legebatterien für Hühner, die in Deutschland bereits verboten sind.“

Wer auf der Videoplattform Youtube „Kaninchenmast“ eingibt, bekommt grausame Bilder von Tieren zu sehen, die in viel zu engen Käfigen mit eitrigen Augen und angefressenen, blutigen Ohren leben. Woher die Aufnahmen stammen, bleibt manchmal im Verborgenen, manchmal aber auch nicht. So zeigt die Organisation Vier Pfoten auf ihrer Website Bilder aus Mastbetrieben verschiedener EU-Länder. Die Zustände, die dort herrschen, machen Tierschützer zornig. Sie fordern schon lange eine Abschaffung der Käfighaltung und eine klare gesetzliche Haltungsverordnung für Kaninchen. Diese gibt es erstaunlicher Weise nicht einmal in Deutschland, einem Staat, in dem sogar Vorgaben zur Herstellung von Büroklammern existieren.

„Es ist an der Zeit, die Käfighaltung zu überdenken“, sagt auch Manfred Bauer, der in seinem Familienunternehmen „schon immer viel Wert auf Ethik im Umgang mit den Tieren“ gelegt hat. Doch sei die Umstellung mit hohen Kosten verbunden. Im Wintergarten seines Hauses plaudert der Mäster aufgeregt über die Anfänge. „In den letzten Jahren hat sich viel bei uns getan“, sagt der schlanke Mann mit Brille und Schnauzbart. „2007 haben wir gegenüber unser neues Schlachthaus eröffnet.“

Kaufland als starken Partner

Bauer zeigt aus dem Fenster auf eine große Halle, auf der das Firmenlogo mit seinem Namen prangt. „Dann haben wir sukzessive von Käfig- auf Bodenhaltung umgestellt.“ Finanzielle Unterstützung bekam er beim Umbau seines Betriebes nicht. Dass er sein Kaninchenfleisch mittlerweile aus Bodenhaltung anbieten kann, verdankt er vor allem einem starken Partner.

Dieser Partner heißt Kaufland. Die Lebensmittel-Handelsgruppe, die zum Neckarsulmer Schwarz-Konzern gehört, hat Kaninchenfleisch aus Käfighaltung bundesweit aus seinen Regalen und Kühltruhen verbannt. „Nachhaltigkeit ist uns wichtig, und dabei sollte auch das Tier im Vordergrund stehen“, sagt Manfred Moos. Der Kaufland-Geschäftsbereichsleiter sitzt an Bauers Seite und lobt wortreich das Engagement des Kaninchenmästers und die Philosophie des eigenen Unternehmens. In Bauer habe Kaufland einen Lieferanten gefunden, der sich für eine artgerechte Form der Kaninchenhaltung einsetze.

Bauer hat sich mit seiner alternativen Mast nicht nur Freunde gemacht. „Als wir begannen, auf Bodenhaltung umzustellen, kam viel Gegenwind von anderen Betrieben“, erzählt er. „Einige haben mir Vorwürfe gemacht, sie fühlten sich offenbar unter Druck gesetzt, nachzuziehen.“ Ein Effekt, den der Kaufland-Mann Moos begrüßt. „Wir müssen die Lieferanten zwingen, langfristig umzustellen“, sagt er und hebt dabei die Stimme. „Damit das gelingt, muss einer mit gutem Beispiel vorangehen.“

Dreißig Prozent teurer

Bleibt die Frage nach dem Preis, den der Kunde für ein solches Kaninchen zu zahlen bereit ist. Denn Fleisch aus Bodenhaltung ist teurer als aus konventionellen Betrieben. „Der Deutsche möchte in der Regel viel für wenig“, sagt Moos. Zwar sei der Verbraucher in Zeiten von Futtermittelskandalen kritischer geworden, doch ginge Quantität noch immer vor Qualität. Für Kaninchenfleisch aus Bodenhaltung könne man dennoch bis zu dreißig Prozent mehr verlangen. „Das funktioniert aber nur, solange es keine günstigeren Alternativen gibt“, sagt Moos. „Deshalb nehmen wir Fleisch aus Käfighaltung nicht mehr an, sondern schlagen den Lieferanten vor, ebenfalls umzustellen.“

Und wie steht es mit der Qualität? „Das Fleisch ist fester, weil die Tiere mehr Auslauf haben und springen können“, sagt Michael Bauer, Sohn von Firmenchef Manfred. Mit seinem Bruder Thomas wird Michael Bauer den väterlichen Betrieb fortführen, mit Mutter Margit teilt er sich bereits den Geschäftsführerposten.

Die Tierschützer von Vier Pfoten stehen den Bauers seit Beginn der Umstellung beratend zur Seite. Die Kampagnenleiterin Martina Stephany weiß, wie es in dem Mastbetrieb zugeht. „Wir haben sehr genaue Mindestrichtlinien ausgearbeitet“, sagt sie. So sollten die Buchten eine Länge von 1,80 Meter haben und nach oben offen sein. 0,15 Quadratmeter Fläche wären für jedes Tier wünschenswert. „Grundsätzlich muss es jedem Kaninchen möglich sein, drei aufeinanderfolgende Hoppelsprünge zu machen und sich zu voller Größe aufzurichten.“ Außerdem bedürfe es stabiler Gruppen, um Auseinandersetzungen mit Verletzungsfolgen entgegenzuwirken.

70 Tiere auf sieben Quadratmetern

Das Kaninchenhaus mit den Masttieren liegt vier Kilometer von dem Hof und der Schlachterei entfernt. Im Eingangsbereich schlüpft Manfred Bauer in einen weißen Schutzanzug und stülpt Plastikhauben über seine Schuhe. Hygiene ist wichtig. „Unsere Mitarbeiter werden in diesem Bereich stark sensibilisiert“, sagt er und öffnet die Tür. Warme Luft strömt heraus, doch es riecht nicht so, wie man es von einem Raum mit 1400 Mastkaninchen erwarten würde. Es duftet nach Heu, nicht nach Fäkalien. Links und rechts reihen sich die Kaninchenabteile wie Pferdeboxen aneinander. „Bei uns leben 70 Tiere auf 7 Quadratmetern“, erklärt Bauer, „Balkone miteingerechnet.“ Die Balkone bilden eine zweite Sitzebene, sie sind in jedem Abteil an drei Seiten angebracht. Sämtliche Böden sind perforiert, damit Kot und Urin abfließen können. Auf dem grünen Kunststoff tummeln sich unzählige, blütenweiße Kaninchen. Einige hocken verteilt um die runden Futtertröge, andere verstecken sich in Hartplastikröhren. Wieder andere dösen.

Kaninchen mit angefressenen Ohren oder entzündeten Augen gibt es hier nicht. Bauer zeigt auf ein Nageholz, was offensichtlich stark bearbeitet wurde. „Die Hölzer werden gut angenommen und alle zwölf Wochen gewechselt“, sagt er. Ebenso bewährt hätten sich die Heukrippen, die Beschäftigung bieten. Keine Frage: im Vergleich zu den üblichen Käfigbatterien geht es den Kaninchen hier deutlich besser.

Martina Stephany ist dennoch nicht ganz zufrieden. „Bauer ist zwar auf einem guten Weg“, sagt sie, „aber auch in seinem Betrieb gibt noch Verbesserungsbedarf.“ Denn unweit des Bauer’schen Eigenheimes, in einer Halle direkt auf dem Hof, werden weitere Mast- und Zuchtkaninchen gehalten. Gegenüber ihren Artgenossen in der modernen Anlage fristen diese Tiere ein trauriges Dasein.

Urinstinkte funktionieren auch in Gefangenschaft

Auch im Raum der Zuchthäsinnen reihen sich die Käfige aneinander. Darüber hängen DIN-A-4-große Zettel, sie geben Auskunft über das Tier. Eines ist bereit für die nächste Besamung, ein anderes muss aussetzen, ein Nächstes erwartet Nachwuchs. Kaninchen, die gerade nicht trächtig sind, leben in Einzelkäfigen über den Häsinnen, die ihre Jungen großziehen. Ein paar Muttertiere lugen durch eine Käfigöffnung in eine Art Vorbau, um ihren Wurf zu beschnuppern.

Viele der Nesthocker haben die Größe einer Scheckkarte, sind noch nackt und blind. Sie liegen dicht an dicht mit ihren Geschwistern, zusätzlich gewärmt durch Fellbüschel. „Das Fell hat sich die Mutter ausgerupft, um das Gesäuge freizulegen und den Jungen ein weiches Bett zu bauen“, erklärt Michael Bauer. Urinstinkte funktionieren offenbar auch in Gefangenschaft. Bauer legt ein Junges in seine Hände. Es ist ein Anblick, der Tierfreunden ein „Ach, wie niedlich!“ entlocken würden.

Doch für Gefühlsduseleien ist hier kein Raum. Jedes neu geborene Kaninchen in dem Betrieb ist eine Ware. Es wird gemästet, geschlachtet und verkauft. Ein nicht enden wollender Kreislauf. Zwölf Wochen bleiben jedem Tier, bevor es seinen letzten Gang antritt – zum Schlachthaus mit dem großen Bauer-Logo. Und von da an geht alles ganz schnell. „Da die Wege zum Lager und zu den Filialen kurz sind, dauert es von der Tötung bis zum Händler mitunter nur einen Tag“, sagt Michael Bauer. Dann liegt das nächste Kaninchen im Kühlregal von Kaufland. Und schimmert hellrosa.