Alte und neue Musik in der Ludwigsburger Friedenskirche: Der neue Leiter der Kantorei der Karlshöhe bringt zu seiner Premiere auch eine Uraufführung mit.
Ludwigsburg - Seine Traumstelle hat er noch nicht, einen Traumjob aber schon: Nikolai Ott ist der neue und mit 27 Jahren sicher einer der jüngsten Leiter der Kantorei der Ludwigsburger Karlshöhe. Der junge Mann wird sich am kommenden Sonntag erstmals in einem Konzert in der Friedenskirche vorstellen. Um dem Ereignis noch zusätzlichen Glanz zu verpassen, krönt er es mit einer Uraufführung: Neben Händels Oratorium „Israel in Egypt“ wird die Kantorei „Beben“, das neueste Werk des Stuttgarter Komponisten Jan Kopp, singen.
Nikolai Ott weiß, dass er der Kantorei damit viel zumutet, aber das Anspruchsvolle spornt ihn an. Er spricht von einem „musikalischen Kraftakt für die Sänger.“ Ott wurden weder die Musik noch die Religion in die Wiege gelegt. „Ich bin in einer kulturell abgehängten Region aufgewachsen“, sagt er. Der 27-Jährige ist in Rothenburg ob der Tauber geboren und im Gerabronn aufgewachsen. Ein Zufall hat ihn zur Musik geführt und seine Musik wiederum hat ihn zur Kirche geführt: Ott war sieben Jahre alt, als eine Tante seiner Familie ein Klavier vererbt hat. „Da habe ich dann Klavierunterricht bekommen“, sagt er, „aber ich habe das lange nur halbherzig gemacht.“
Mentor in Argentinien
Als Ott mit 14 Jahren die Chance bekommt, einen Kirchenchor zu leiten, ist er schon sehr viel engagierter bei der Sache. Der Fluch der kulturfernen Provinz sei für ihn ein Segen gewesen: Da in seiner Heimat wenig geboten war und nur wenige etwas von Musik verstanden, habe man ihn so jung an ein Dirigentenpult gelassen. Dennoch habe es zwei weitere Jahre gedauert, bis er voll und ganz von der Musik gepackt wurde. Während eines einjährigen Schüleraustauschs in Argentinien ist Ott in einer Familie gelandet, in der der Vater an der Hochschule Musik lehrte. „Dieser Mann hat mich an die Hand genommen“, sagt Ott. Der Musikprofessor habe ihm die Leitung von Chorproben anvertraut und ihm den Zugang zu großen Werken der Musikgeschichte eröffnet. Erstmals denkt Ott daran, die Musik zu seinem Beruf zu machen. Noch heute pflegt er regelmäßigen Kontakt zu seinem Mentor in Argentinien.
Wieder zu Hause nahm der Gymnasiast Orgelunterricht – zunächst in Cannstatt, dann in Ulm. Ein 2012 aufgenommenes Studium der Kirchenmusik in Tübingen hat er inzwischen abgeschlossen, im nächsten Jahr will er die Prüfung in seinem Zweitstudium der Chor- und Orchesterleitung in Trossingen ablegen. Was den 27-Jährigen aber nicht davon abhält, nebenbei noch zwei Kirchenchöre – und nun auch die Kantorei der Karlshöhe – zu leiten.
Galt seine Begeisterung zunächst vor allem der Musik von Thomas Tallis bis Johann Sebastian Bach, so erlebte Ott in einem Konzert mit Werken von Wolfgang Rihm eine Offenbarung: „Das war, als würde mir jemand die Ohren ausputzen. Das ist eine völlig andere Klangsprache.“ Und die ist ihm so wichtig, dass er sich jetzt auch in Ludwigsburg mit einem Doppelprogramm aus alter und neuer Musik vorstellt.
Den Chor kostete das Extra-Probenwochenenden, aber Ott ist voll des Lobes: „Der Chor ist sehr flexibel, die Leute gehen gut mit.“ Beim Proben sei die soziale Komponente ähnlich wichtig wie der richtige Einsatz: „Es geht darum, sich aneinander zu gewöhnen“, sagt er, „man kann nur gute Musik machen, wenn man sich kennt.“
Anspruch statt Anbiederung
Was er seinen Sängern abverlangt, erwartet er auch von der Kirche: hohen Anspruch. Tatsächlich aber gebe es viel Anbiederung, sagt Ott, der sich als Lutheraner versteht. Er bedauert, dass es der Landeskirche nicht einmal im Jubiläumsjahr der Reformation gelungen sei, im Sinne Luthers auf die Gegenwart zu schauen und zu fragen: Was sollte anders werden? Auch „gottesdienstliche Gepflogenheiten“ missfallen ihm: Viele Bibeltexte seien schwierig, aber das werde einfach ausgeklammert: „Die Kirche ist sehr neutestamentlich geworden, aber es gibt auch einen zornigen Gott.“
Mit der Musik sei es nicht anders. „Musik machen ist anspruchsvoll“, sagt Nikolai Ott und erzählt begeistert von der Zusammenarbeit mit Jan Kopp. „Wir waren schon mit dem Komponisten im Dialog, während das Werk entstanden ist.“ Konkret heißt das: viele stundenlange Telefonate für den Dirigenten und einen Komponisten zum Anfassen für die Kantorei. Ott: „Der Chor hat das toll mitgetragen.