Der Kanzler ist unbeliebt, die SPD ist in der Krise – und Olaf Scholz tritt selbstbewusst in der Bundespressekonferenz auf. Dabei hat er sich eine spezielle Strategie zurechtgelegt, wie er Fragen nach eigenen politischen Versäumnissen begegnet.
Der Kanzler sieht ein wenig abgekämpft und müde aus, als er den Saal der Bundespressekonferenz betritt. Doch die erste Frage ist ein Wachmacher. Olaf Scholz und seine SPD befinden sich bekanntlich im Umfragetief. Will der Kanzler also dem Beispiel seines Freundes Joe Biden folgen, der in den USA gerade den Verzicht auf eine erneute Kandidatur erklärt hat? „Ich werde als Kanzler antreten, um erneut Kanzler zu werden“, antwortet Scholz. „Danke für die überaus nette und freundliche Frage“, sagt er auch – die Mundwinkel ironisch zu einem Lächeln verzogen. Gelächter im Raum.
Es ist Sommer. Es ist die traditionelle Pressekonferenz, bei der sich der Kanzler den Fragen der Hauptstadtjournalisten stellt – bevor es für ihn dann bald in den Urlaub geht. Und: Die Lage, in der Scholz sich befindet, ist – für jeden im Land offensichtlich erkennbar – sehr schwierig. Bei der Europawahl hat die SPD mit 13,9 Prozent nicht nur historisch schlecht abgeschnitten – sie musste auch zusehen, wie die AfD bei Arbeitern deutlich mehr Stimmen holte als sie selbst. In Thüringen und Sachsen drohen den Sozialdemokraten im Herbst verheerende Ergebnisse. Die Ampel ist unbeliebt. Der Kanzler ist es auch.
Schlechte Umfrageergebnisse als Ansporn
Doch Scholz hat sich nicht nur vorgenommen als einer aufzutreten, den das alles kaltlässt. „Umfrageergebnisse, die nicht gut sind, sind ein Ansporn, bessere Umfrageergebnisse zu erzielen“, sagt er. Er – der bekanntlich kein Mann mit dem Hang zu allzu großer Bescheidenheit ist – hat sich auch eine feste Strategie zurechtgelegt, wie er mit inhaltlicher Kritik umgeht. Also etwa mit dem Vorwurf, er hätte bestimmte Dinge nicht erreicht – womöglich sogar, obwohl er sie klar in Aussicht gestellt hat. Er sagt dann entweder, was er alles erreicht hat – oder aber mindestens, dass niemand anderes vor ihm sich so erfolgreich auf den Weg gemacht habe, die notwendigen Änderungen voranzubringen.
Es ist wie in der Geschichte von Hase und Igel, in welcher der Igel dem Hasen beim Wettrennen immer schon entgegenruft: „Ich bin schon da.“ Egal ob es um die Migrationspolitik, die Verteidigungsausgaben oder irgendeine andere Frage geht: Scholz betont stets, er habe die Sache angepackt wie niemand vor ihm. Also: „Ich bin schon da.“ Oder: „Niemand wird vor mir da sein.“
Beispiel Migrationspolitik. Der Kanzler hat bekanntlich angekündigt, in Deutschland solle „endlich im großen Stil“ abgeschoben werden. Die Realität sei offenkundig noch eine andere, sagt ein Journalist. Und fragt, wann genau sich das ändern werde.
Und Scholz? Er bedankt sich „ausdrücklich“ für die Frage. Bevor er Kanzler geworden sei, sagt Scholz, sei über die Frage, wie die Migration besser gemanagt werden könne, überwiegend öffentlich geredet worden, aber es sei nur wenig gehandelt worden. Das gelte, so führt er aus, parteiübergreifend. „Was wir jetzt geändert haben, worauf ich bestanden habe, ist, dass praktisch etwas getan wird“, sagt Scholz.
Die Frage nach den Abschiebungen
Der Kanzler verweist auf die Beschlüsse, die er mit den Ländern unter anderem zum Thema Abschiebungen getroffen habe. Er erklärt, die Zahl der Abschiebungen sei gestiegen. Das ist auch richtig. Was Scholz aber nicht sagt: Er hat mit der Formulierung „endlich im großen Stil“ Erwartungen geweckt, die er absehbar nicht würde erfüllen können. Der Kanzler betont, er habe damit Schluss gemacht, dass alle Verantwortlichen immer nur gegenseitig mit den Fingern aufeinander zeigten. Er schaue regelmäßig selbst auf die Zahlen.
Auch beim Haushalt zeigt sich der Kanzler selbstbewusst. Hier hat sich Scholz mit Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf einen Entwurf geeinigt. Doch darin klafft noch ein Milliardenloch. Es soll unter anderem dadurch geschlossen werden, dass Zuschüsse an Bahn und Autobahngesellschaft durch Darlehen ersetzt werden. Noch wird aber geprüft, ob das rechtlich überhaupt geht. Wenn nicht, hat Scholz ein Acht-Milliarden-Euro-Problem, das er lösen muss. Der Kanzler sagt, im Haushalt seien alle Positionen ordentlich verbucht. Das sind sie auch: unter „globale Minderausgabe“. Was so viel heißt wie: Das Geld muss noch gefunden werden.
Im Zusammenhang mit dem Haushalt verwendet Scholz sogar eine Formulierung, die aus seinen Zeiten als Hamburger Bürgermeister stammt. Sie hängt ihm in Zeiten der Ampel-Regierung eigentlich eher wie ein Klotz am Bein, weil sie in einer lagerübergreifenden Dreierkoalition praktisch kaum umzusetzen ist. Ob er die Kritik seines Fraktionschefs Rolf Mützenich teile, dass er sich als Bundeskanzler so stark bei der Aufstellung des Haushalts habe einbringen müssen? Und das, obwohl diese doch eigentlich Aufgabe von Finanzminister Christian Lindner sei. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, sagt Scholz.
Der Kanzler hat an diesem Tag so viel Freude an seinem Auftritt und an der Geschichte von Hase und Igel, dass er seine Botschaften fleißig mit den Händen untermalt – mal halbhoch, mal noch etwas höher, manchmal sogar mit geöffneten Armen wie ein Prediger. Als die auf 90 Minuten bemessene Zeit – wegen der vielen Fragen – knapp wird, bietet Scholz sogleich an, länger zu bleiben. Und tut es auch.
Sein Auftritt lässt einige Schlüsse zu, wie er – aus momentan sehr schlechter Umfrageposition – im Jahr 2025 die Bundestagswahl gewinnen möchte. „Ich bin Mister Mindestlohn“, sagt er und betont, er kämpfe gegen Dumpinglöhne. Er schließt kategorisch aus, die Möglichkeit abzuschaffen, nach 45 Beitragsjahren auch vor dem Erreichen der Altersgrenze in Rente zu gehen. Und er sagt, er würde sich auch wieder mit dem Slogan „Frieden“ plakatieren lassen.
Was Scholz zur US-Wahl sagt
Scholz‘ außenpolitische Botschaft ist und bleibt: Deutschland ist einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine – aber er als Bundeskanzler handle bei Waffenlieferungen stets besonnen. Auf das schwierige Thema US-Wahlen angesprochen, reagiert Scholz übrigens zurückhaltend: Er lobt die Demokratin Kamala Harris, sagt nichts zum Republikaner Donald Trump und betont: „Ich werde mit jeder Regierung in den USA gut zusammenarbeiten.“
Zum Schluss wird Scholz gefragt, ob er, ähnlich wie die zurückgetretene Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, starke und unabhängige Persönlichkeiten in der SPD aufgebaut habe, die ihm theoretisch im Amt des Kanzlers nachfolgen könnten? Scholz sagt, er bedanke sich dafür, dass in der SPD so viele „die starke und unabhängige Persönlichkeit von Olaf Scholz“ gefördert hätten, dass er habe Kanzlerkandidat werden können. Er grinst verschmitzt. Wenn die Frage mal anstehe – am Ende der nächsten oder der übernächsten Legislaturperiode – werde die SPD aber sicher so weit sein. Es ist seine Art zu sagen: „Ich bin nicht nur schon da. Ich werde auch noch lange bleiben.“