Die Kanzlerin präsentiert sich beim „Brigitte“-Talk in Berlin emotional – und bringt eine politische Überraschung mit: Sie rückt ab vom Nein der Union für die Ehe für alle.

Berlin - Ob sie selbst eitel ist? Wie geht sie mit rüpelhaften Politikern um? Und wie trifft die mächtigste Frau Deutschlands ihre Entscheidungen? Den Fragen der Frauenzeitschrift „Brigitte“ hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montagabend in Berlin gestellt – und sich dabei nicht nur von einer überraschenden Seite gezeigt, sondern vor allem mit einem politischen Paukenschlag überrascht.

 

Was Merkel angekündigt hat, sehen Sie im Video:

Auf die Frage eines Mannes aus dem Publikum, wann er seinen Freund Ehemann nennen darf, antwortet Merkel, sie selbst sei eigentlich gar nicht gegen gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Und dann setzt Merkel einen politischen Paukenschlag: Sie sagt, sie wünsche sich eine Diskussion, die „eher in Richtung einer Gewissenentscheidung geht“. Sie sei „bekümmert“, dass diese sehr individuelle Frage nach der Ehe für alle ein Gegenstand von „Parteitagsbeschlüssen und plakativen Dingen“ sei. Sie wolle mit der CDU und der CSU „anders darauf reagieren“. Das ist eine Abkehr von den Konservativen in der Union: Denn bei einer Abstimmung im Bundestag ohne Fraktionszwang gilt eine Mehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe als sicher.

Es soll menscheln

Bevor Merkel mit ihrer Aussage zur Homo-Ehe überascht, beantwortet sie Fragen, wie nach dem Mutigsten, das sie je getan hat? „Vom drei Meter Brett springen, US-Präsident Georg W. Bush auf den Klimaschutz ansprechen – und der Ausstieg aus der Kernenergie “, schiebt Merkel im Maxim-Gorki-Theater vor ausverkauften Rängen noch eilig hinterher.

Angesprochen mit „Frau Bundeskanzlerin“ blickt sie immer wieder ungeduldig zwischen den modisch gestylten Macherinnen vom Frauenmagazin „Brigitte“ hin und her, scheint ein bisschen angespannt auf die Fragen zu warten, die Chefredakteurin Brigitte Huber und ihre Kollegin nicht nur Merkel, sondern auch schon dem SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gestellt haben. Die Fragen, die eigentlich gar keine echten Fragen sind, bestehen aus jeweils einem Themenpaar, das die eingeladenen Spitzenpolitiker wählen können. Möglichst menscheln soll es in dieser Gesprächsreihe, die den politischen Gästen die Gelegenheit geben will, etwas mehr von sich preiszugeben.

„Klar bin ich eitel!“

Dieser Einladung ist an diesem Abend dann auch Bundeskanzlerin Merkel gefolgt – und sie zeigt sich locker und humorvoll: Selbstironisch entscheidet sie sich auf die Frage, ob sie lieber das Themenpaar „unterwegs“ oder „zu Hause“ wählen möchte, für das Unterwegs-Sein. Schließlich schlafe sie zwar lieber zu Hause, aber sie sei eben geschäftlich oft unterwegs. Dazu sagt Merkel Sätze wie „den Lichtschalter im Hotel zu finden, ist manchmal gar nicht so leicht, von der Klimaanlage einmal ganz abgesehen“. Und sie gibt zu: „Klar bin ich eitel, man möchte ja keine Zumutung für sein Gegenüber sein!“

Sie lenkt in den anderthalb Stunden das Gespräch in die eigene Richtung, lässt sich weder von den Moderatorinnen die Rolle der Feministin aufzwingen, noch sich aus der Ruhe bringen. Ob sie die Beschuldigung von Martin Schulz, ihre Politik sei ein Anschlag auf die Demokratie, schwer getroffen habe? „Ach, Schwamm drüber. Ich habe ihn anders erlebt, der Wahlkampf muss wohl wirklich anstrengend für ihn sein!“, kontert Merkel mit einem amüsierten Lächeln.

Wochenlanges Grübeln über der Griechenlandkrise

Merkel äußert sich darauf angesprochen auch auf heikle politische Fragen: So bekennt sie sich zu ihrem „Wir schaffen das!“-Ausruf, aber nicht ohne zu betonen, wie wichtig Ordnung und Regulierung in dieser Sache seien. Hinterher erklärt Merkel dann, wie sie selbst Entscheidungen trifft: Oft überlegt die Kanzlerin hin und her, wägt ab, und berät sich mit engen Vertrauten. Bei der Griechenlandkrise habe sie wochenlang gegrübelt, aber einem Prinzip bleibt sich Merkel laut eigener Aussage immer treu: „Ist die Entscheidung erst einmal gefallen, hadere ich fast nie. Ein ‚was wäre, wenn‘ ist da keine Option mehr.“ Konfrontiert mit einigen ihrer eigenen Zitaten spielt die Politikerin aber dann doch wieder mit den Antworten: Der Aufruf im Bierzelt zu mehr europäischer Eigenständigkeit – wohl überlegt. Die Verteidigung der Willkommenskultur in der Flüchtlingspolitik – ein spontaner emotionaler Ausbruch.

Fast scheint es, als sei die Kanzlerin aufgetaut, sie zeigt die menschliche Seite einer Frau, die sich über Knitterfalten in ihren Kleidern ärgert und die von sich selbst behauptet, einfach nicht fähig zu sein, ein Pokerface aufzusetzen – auch wenn das für den Staatsbesuch bei US-Präsident Donald Trump vielleicht hilfreich gewesen wäre.

Am Ende ist sie wieder die altbekennte Kanzlerin

Aber als dann die Sprache auf ihren Mann und dessen zwei Kinder aus früherer Ehe kommt, flüchtet sie sich in politische Themen. Die Beziehungen zu anderen Politikern seien ähnlich wie bei einer Patchwork-Familie und ja, wandern gehe sie sehr gerne – wenn es denn die Zeit zulässt. Am Ende des Abends hat sich Merkel wieder in die altbekannte Bundeskanzlerin verwandeln. Es ist aber nicht nur die erfahrene Politikerin, die sich nach der Gesprächsrunde Zeit für Fragen aus dem Publikum nimmt, um einem geflüchteten Afghanen aus dem Publikum Hilfe zu seinem noch unbeantworteten Asylantrag anzubieten.

Für eine besorgte jüdische Zuschauerin, die den wachsenden Antisemitismus in Deutschlang anprangert, findet Merkel die Abschlussworte: „Wir dürfen keine Kompromisse zu verdecktem Antisemitismus machen und so etwas nicht zulassen. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar!“