Kanzlerin Merkel meint schon lange, dass die EU-Staaten auf eigenen Füßen zu stehen lernen müssen. Ihre jüngsten Treffen mit Donald Trump haben sie darin noch bestärkt. Was aber folgt daraus konkret für die Europapolitik?

Berlin - Sie hat den Satz schon so gemeint, wie sie ihn gesagt hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Montag im CDU-Präsidium sinngemäß das wiederholt, was sie tags zuvor in einem bayerischen Bierzelt kundgetan hatte. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“, hatte sie da den Leuten zugerufen, um nach den Gipfeln der Nato am Donnerstag und der G 7 am Freitag und Samstag einen deutlichen Hinweis auf US-Präsident Donald Trump nachzuliefern: „Das habe ich in den letzten Tagen erlebt.“ Als Konsequenz daraus müssten die Europäer „ihr Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen“.

 

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Gleich dreimal bezeichnete Merkel in der Parteisitzung Auftreten und Aussagen Trumps während der Treffen als „sehr speziell“. Drei Schlüsse zog die Kanzlerin Teilnehmern zufolge daraus: Erstens, dass Trump das umsetzt, was er im Wahlkampf versprochen hat, und somit dauerhaft schwer in internationale Strukturen einzubinden sei. Zweitens, dass die Europäer das ernst nehmen müssten, da sie für die Lösung von Problemen vor ihrer Haustür möglicherweise keine US-Unterstützung mehr bekommen. Und drittens, dass beides für die EU teuer werden könnte.

Handlungsfelder zeichnen sich ab

Ganz neu sind diese Gedanken natürlich nicht, und Merkel hat die Sache mit dem „Schicksal-in-die-eigene-Hand-Nehmen“ nicht zum ersten Mal geäußert. Schon Barack Obama tat sich schwer, etwa den Nato-Einsatz 2011 in Libyen zu unterstützen, da dies als primär europäische Aufgabe gesehen wurde. Gepaart mit Merkels „Unzuverlässigkeitserklärung“ in Richtung der USA unter Trump ergibt sich dennoch eine neue Dringlichkeit. „Der Satz war für all jene gedacht, die den Schuss noch nicht gehört haben“, sagt ein CDU-Präsidiumsmitglied. Weil er jenseits des Atlantiks Schockwellen ausgelöst hat, versuchte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag klarzustellen, dass die „zutiefst überzeugte Transatlantikerin“ sich weiter um gemeinsame Positionen bemühen werde, aber wegen der Bedeutung der Beziehungen Differenzen ehrlich angesprochen werden müssten.

So klar, wie Merkel Europas Eigenständigkeit gegenüber Trump betont, so unklar ist, wie diese konkret erreicht oder ausgestaltet werden soll. Allerdings zeichnen sich die wichtigsten Handlungsfelder ab. Seibert berief sich auf die Agenda von Rom zum 60-Jahr-EU-Jubiläum, die Ausdruck dessen sei, dass es auch ohne weitere Ankündigungen „schon jetzt erhebliche Dynamik in Europa gibt“. Gleichwohl hat gerade die römische Erklärung das Prinzip verschiedener Geschwindigkeiten festgeschrieben, was die Möglichkeit neuer deutsch-französischer Integrationsinitiativen eröffnet. Nicht umsonst verwies Seibert auf eine gemeinsame Tagung der Kabinette aus Berlin und Paris noch im Juni.

Außen- und Sicherheitspolitik wird zentral sein

Zentral wird die Außen- und Sicherheitspolitik sein. Schon seit Jahren werde über Kooperationsprojekte und zuletzt die Schaffung einer EU-Kommandozentrale „die europäische Säule gestärkt“, hieß es am Montag aus dem Verteidigungsministerium Ursula von der Leyens. Sie wird sich in den nächsten Tagen mit ihrer neuen französischen Amtskollegin Sylvie Goulard treffen. Als sicher gilt, dass Deutschland und Frankreich eine „ständige strukturierte Zusammenarbeit“ vorantreiben wollen, wie sie im Lissabonner Vertrag erstmals vorgesehen ist – dies betrifft auch die Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten.

Zur stärkeren Abgrenzung der EU gegenüber den USA könnte auch die Entwicklungspolitik zählen, der Trump bisher keine große Rolle beimisst. So warfen ihm etwa mehrere Nichtregierungsorganisationen vor, beim G-7-Gipfel auf Sizilien einen engagierteren Kampf gegen die aktuellen Hungersnöte in Afrika blockiert zu haben. Nicht zuletzt aus Eigeninteresse hat die Bundesregierung in den bisherigen Gesprächen mit der US-Administration darauf gedrungen, dass sie ihre Entwicklungshilfe als Fluchtursachenbekämpfung beibehält. Sollte dies nicht der Fall sein, wären Deutschland und Europa hier noch stärker gefordert. Regierungssprecher Seibert kündigte jetzt dementsprechend eine „engere Zusammenarbeit bei der Partnerschaft und eine Art neuer Nachbarschaft mit Afrika“ an.

Der Klimaschutz hat ebenfalls eine migrationspolitische Komponente, da der afrikanische Kontinent mit Dürren bisher am stärksten die Auswirkungen der Erderwärmung zu spüren bekommt. Falls Trump im Laufe der Woche tatsächlich den Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen ankündigen sollte, könnte dieser laut Statuten erst im November 2020 umgesetzt werden. Kompensieren ließe sich der Ausfall des zweitgrößten CO2-Verursachers der Welt aber nicht. Die Bundesregierung setzt jedoch darauf, dass große US-Firmen und auch Bundesstaaten wie Kalifornien den Klimaschutz weiter als Notwendigkeit und Chance sehen und unabhängig von einem möglichen Nein der amerikanischen Bundesebene handeln.

Reform der Eurozone bleibt Thema

In Sachen Handel freut sich die Regierung darüber, dass sich Trump zur Überraschung seiner Berater auf Sizilien gegen den Protektionismus positioniert hat. Die europäische Seite setzt also darauf, dass das TTIP-Abkommen mit den USA unter anderem Namen und mit etwas anderer Themenpalette doch noch umgesetzt werden könnte. Wenn nicht, sollen andere Beziehungen intensiviert werden. Schon beim jüngsten EU-Gipfel wurden die Freihandelsgespräche mit Japan zur Priorität erklärt. Viel verspricht sich die deutsche Wirtschaft auch von den Verhandlungen mit Indien: Die lagen jahrelang auf Eis, doch ist just am Montag der Premierminister Narendra Modi zu Regierungskonsultationen in Berlin eingetroffen.

Damit Europa eine selbstbewusstere Rolle in der Welt spielen kann, braucht es freilich auch die entsprechende Wirtschaftskraft im Rücken. Die Reform der Eurozone wird daher genauso auf der Tagesordnung bleiben wie die Schaffung echter Binnenmärkte für Energie und Daten.