Kanzlerin Angela Merkel vereinbart in der Volksrepublik eine stärkere Zusammenarbeit bei der vernetzten Mobilität, was den Erfolg deutscher Hersteller für die Zukunft absichern soll.

Shenzhen - Die Stadt Shenzhen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag besucht hat, steht sinnbildlich für Chinas Entwicklung. Aus dem ehemaligen Fischerdorf im Süden der Volksrepublik ist seit 1978, als Deng Xiaoping ebendort die Reform- und Öffnungspolitik einläutete, eine 14-Millionen-Metropole geworden. Auf der Fahrt in die Stadt reiht sich Wolkenkratzer an Wolkenkratzer, dazwischen zum Beispiel der Sitz des Handyriesen Huawei.

 

Shenzhen ist die erfolgreichste der chinesischen Sonderwirtschaftszonen und dabei, die Nachbarstadt Hongkong zu überholen. Und das eben schon längst nicht mehr nur mit billiger Fertigung, sondern mit Hochtechnologie. Die Kanzlerin hat zum Beispiel das neu gegründete Unternehmen iCarbonX besucht, das auf einer Internetplattform die verschiedensten Gesundheitsdaten ihrer Nutzer kombiniert. Und Merkel hat in Shenzhen studieren können, dass die lokale Regierung besonders stark in das autonome und vernetzte Fahren investiert, das dafür notwendige 5G-Mobifunknetz inklusive. In Kombination mit lückenloser Videoüberwachung soll der Verkehr hier schon bald fast von alleine fließen.

Geschäft der deutschen Autobauer läuft blendend

Da passt es, dass die Zukunft der deutsch-chinesischen Automobilkooperation ein zentrales Thema auf Merkels elfter China-Reise gewesen ist. Zurzeit läuft das Geschäft der deutschen Hersteller blendend. Allein Volkswagen hat einen Marktanteil von 13 Prozent, insgesamt kommen die Autobauer aus der Bundesrepublik auf rund 20 Prozent - Tendenz weiter steigend.

In der Wirtschaftsdelegation, die die Kanzlerin begleitet, herrscht jedoch die Sorge, dass ihre Unternehmen irgendwann nicht mehr gebraucht werden, wenn die Chinesen den technologischen Rückstand, der in einigen Bereichen noch existiert, endgültig wettgemacht haben. Weil die Volksrepublik inzwischen Deutschlands größter Handelspartner geworden ist, hängen langfristig immer mehr Arbeitsplätze in Deutschland am Erfolg in China. Insofern ist das politische Ziel der Kanzlerinnenvisite vor allem gewesen, den aktuellen Erfolg für die Zukunft abzusichern - und das autonom-vernetzte Fahren spielt dabei eine zentrale Rolle.

Abkommen zum autonomen Fahren geplant

Auf höchster Ebene hat Merkel mit Staatspräsident Xi Jinping vereinbart, dass bei der Mobilität der Zukunft gemeinsame Sache gemacht werden soll. In einem Gespräch am Donnerstagabend vereinbarten sie, dass bei den nächsten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen Anfang Juli in Berlin ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet werden soll, „in dem auch die neuen Entwicklungen in der Automobiltechnologie eine Rolle spielen“, wie Merkel sagte.

Auf Neudeutsch ist von einem „Memorandum of Understanding“ die Rede. „Wir wollen zusammenarbeiten in puncto autonomes Fahren“, bestätigte denn auch Premierminister Li Keqiang. „Wir begrüßen es, wenn deutsche Autobauer im Bereich autonomes Fahren in China Investitionen tätigen.“ Zwar gab es bisher schon eine Kooperation des Automobilherstellerverbandes VDA mit dem chinesischen Gegenstück in Bezug auf Fragen der Standardisierung, damit zentrale Komponenten wie Sensoren oder Videokameras in den Autos für beide Märkten passen. Neu aber ist die dezidierte politische Zusage, dass die Deutschen auch auf dem entscheidenden Zukunftsmarkt in China willkommen sind.

Zugriff des Staates kann problematisch werden

Es könnte theoretisch nämlich auch ganz anders kommen. In keiner anderen großen Wirtschaftsmacht der Welt ist der Zugriff des Staates so allgegenwärtig wie in China. Es wäre zum Beispiel für die Pekinger KP-Führung ein Leichtes, die für das automatisierte Fahren notwendigen Datenbestände nur chinesischen Unternehmen zur Verfügung zu stellen – das betrifft etwa hochauflösendes Straßenkartenmaterial. „Das könnte politisch auch als Hebel genutzt werden, um die eigene Autoindustrie zu fördern und die aus dem Ausland zurückzudrängen“, heißt es in deutschen Regierungskreisen besorgt.

Schon jetzt drängen nicht nur Chinas Autobauer auf den „autonomen“ Markt, sondern auch eine Reihe großer Internetplattformen wie Alibaba. Die in Deutschland immer wieder formulierte Sorge, dass eines Tages Technologiekonzerne wie Google Autos bauen könnten und nicht länger die traditionellen Hersteller, ist in der Volksrepublik teilweise schon Realität geworden. Zwischen 600 und 700 Millionen Chinesen sind bereits regelmäßig auf den großen Netzplattformen des Landes unterwegs.

Unterschiedliche Vorstellung von der Mobilität von morgen

Neben dem Zugang zum Markt im Allgemeinen und der Nutzung verkehrsrelevanter Daten im Speziellen, die China in einer mächtigen Regierungs-Cloud zu speichern gedenkt, sollen bei der nun folgenden Detailausarbeitung des Abkommens auch Fragen der Regulierung und Standardisierung geklärt werden. Das ist deshalb bedeutsam, weil China ganz andere Vorstellungen in Bezug auf die Mobilität von morgen hat, als das in Europa der Fall ist.

Während die westlichen Hersteller, wie sie es schildern, die künstliche Intelligenz eher ins Auto stecken wollen, plant Peking mehr mit einer „smarten“ Verkehrsinfrastruktur, die die Autos lenken soll. Auch das könnte theoretisch zum Problem für Deutschlands Autobauer werden, weil kaum Geld damit zu verdienen wäre, nur noch das Fahrzeug für den Netzdienst zu liefern, der mit dem Kunden in Kontakt steht und ihn vor der Haustür mit einem ferngesteuerten Wagen abholt.

Kein Wunder also, dass die deutschen Hersteller zufrieden damit sind, dass nun auf ihren Wunsch hin ein „Zukunftsauto-Abkommen“ ausgearbeitet wird. „Wenn Sie beim vernetzten Fahren in China dabei sein wollen“, sagt zum Beispiel der mit der Kanzlerin mitgereiste VW-Vorstandschef Herbert Diess, „brauchen Sie unter anderem die Unterstützung der Regulierungsbehörden sowie Zugang zu den starken lokal tätigen Internetunternehmen.“

Kanzlerin nennt geplantes Abkommen beispielhaft

Kanzlerin Merkel hat bei ihrem elften Besuch der Volksrepublik diesbezüglich jetzt die Türen geöffnet – auch wenn die Ausarbeitung im Detail und noch mehr die Umsetzung des Abkommens versprechen schwierig zu werden. Sie bezeichnete das geplante Abkommen für die Autoindustrie als „beispielhaft“ auch für andere zukunftsstrategische Schlüsselbranchen, da Daten und Datensicherheit „das A & O“ für die deutsche Wirtschaft wären. Gerade ihr Besuch im „Digitalisierungszentrum“ Shenzhen habe gezeigt, dass sich die Bundesrepublik in Konkurrenz zu boomenden Volkswirtschaften wie China ihren Wohlstand immer wieder neu erarbeiten müsse.