Mit Blaulicht und Martinshorn hat ein Polizeiauto Sonderrechte – die anderen müssen weichen und freie Bahn schaffen. Doch wer haftet bei einer Karambolage? Immer der Privatfahrer?

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Die einen müssen so schnell wie möglich zum Einsatzort, die anderen sind oftmals von der Situation überfordert: Immer wieder kommt es bei Blaulichtfahrten von Polizei und Rettungsdienst zu folgenschweren Begegnungen und Karambolagen. Zuletzt ist im Stuttgarter Osten ein Motorroller-Fahrer verletzt worden. Doch wer ist eigentlich schuld?

 

Plötzlich wird es stressig. Am Donnerstag gegen 17.40 Uhr wird im Stuttgarter Osten eine verdächtige Beobachtung gemeldet. „In einem Wohnhaus ist womöglich gerade ein Einbrecher zugange“, so Polizeisprecher Johannes Freiherr von Gillhaußen. Eine Streifenwagenbesatzung, die in der Schwarenbergstraße unterwegs ist, übernimmt den Fall. Der 25-jährige Beamte schaltet Blaulicht und Martinshorn ein und gibt Gas.

Überraschung auf der Kreuzung

In diesen Sekunden legt sich eine besondere Aura der Straßenverkehrsordnung um das Polizeiauto. Paragraf 35 räumt dem Streifenwagen Sonderrechte ein und Paragraf 38 verfügt: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen.“ Das hat an der Kreuzung mit der Libanonstraße aber Folgen.

Ein 51-jährige Motorroller-Fahrer, der in der Libanonstraße unterwegs ist, wird von dem Polizeifahrzeug Richtung Wagenburgstraße offenbar überrascht. Er bremst seinen Piaggio-Roller stark ab, um eine Kollision zu verhindern. Das schafft er zwar auch – allerdings kommt er dabei zu Fall.

Der Alarmfall Einbruch wird zum Vorgang Dienstunfall. Der 51-Jährige erleidet beim Sturz vom Motorroller leichte Verletzungen. An seinem Fahrzeug gibt es Schäden in Höhe von mehreren Hundert Euro. Hat der Polizeibeamte seine Sorgfaltspflichten bei der Querung der Kreuzung verletzt? Oder hat der Motorroller-Fahrer einfach nur überreagiert? Zur Klärung des Unfallhergangs hat sich nun die Verkehrspolizei eingeschaltet. Die sucht noch Zeugen unter der Rufnummer 07 11 / 89 90 - 41 00.

Ein folgenschweres Bremsmanöver

Immerhin ist dieser Unfall noch relativ glimpflich ausgegangen. Ebenfalls am Donnerstag, 20 Minuten vor dem Stuttgarter Dienstunfall, hat es in Esslingen gekracht. Um 17.20 Uhr ist ein 21-jähriger Beamter mit Blaulicht im Hofweg auf einer Einsatzfahrt Richtung Sirnau unterwegs. Vor ihm bremst ein 27-jähriger BMW-Fahrer ab, um nach rechts ran zu fahren und Platz zu machen – doch das ist des Guten schon wieder zu viel. Der Polizist rechnet nicht mit einem Bremsmanöver – und rammt das Heck des BMW. Verletzt wird zum Glück niemand – doch der Streifenwagen muss abgeschleppt werden.

Immer wieder gibt es bei Blaulichtfahrten mit Polizeiautos, Feuerwehrfahrzeugen und Rettungswagen heikle Situationen. Vor wenigen Tagen verunglückte ein Rettungswagen in Schönaich (Kreis Böblingen), als die 27-jährige Fahrerin mit Sondersignalen eine Staukolonne überholte. Spektakulär endete der Einsatz einer Streife in Filderstadt-Bernhausen (Kreis Esslingen), die nachts von der Straße abkam und eine Straßenlaterne fällte. Die 32 und 29 Jahre alten Beamten kamen mit dem Schrecken davon. Einen Schwer- und vier Leichtverletzte gab es im Februar bei einer Kollision in Holzgerlingen (Kreis Böblingen), als ein 19-Jähriger auf der B 464 mit einem Polizeiauto zusammenstieß. Die Fahrzeuge waren nur noch Schrott.

Sorgfalt trotz Sonderrechte

Den bisher letzten verletzten Stuttgarter Polizeibeamten gab es im April in der Hauptstätter Straße in der Innenstadt, als ein 41-jähriger Beamter auf seinem Dienstmotorrad seitlich mit einem Skoda zusammenstieß. Der Beamte der Motorradstaffel erlitt Verletzungen am Knie.

Sonderrechte schützen den Beamten vor Haftung nicht: Er hat trotz allem eine gesonderte Sorgfaltspflicht. Wird diese missachtet, muss das Land für Schadenersatzansprüche aufkommen. Im Fall einer Kollision zwischen einem Pkw und einem Feuerwehrfahrzeug hat das Oberlandesgericht Stuttgart 2018 dem Feuerwehrmann zwei Drittel der Schuld zugesprochen. Der hatte kurz am linken Straßenrand angehalten und war, für einen Autofahrer überraschend, dann doch plötzlich wieder losgefahren.