Der Münchner Kardinal und Papst-Vertraute Reinhard Marx ist der neue Spitzenmann der Bischöfe. Er ist zupackend und könnte ein guter Krisenmanager sein.

Münster - Ein Durchmarsch ist es nicht, eher ein Gehangel, bis Kardinal Reinhard Marx als neuer Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz den Saal verlässt. Und gefühlt muss die Prozedur noch mühsamer gewesen sein, denn als Marx und sein Vorgänger, Robert Zollitsch, das Wahlergebnis bekanntgeben und sich Marx erstmals in neuer Funktion den Fragen der Presse stellt, sprechen beide von fünf Wahlgängen. Tatsächlich haben die 63 Wahlberechtigten nur vier Mal ihren Favoriten aufschreiben müssen, bis der Münchner Erzbischof die notwendige Mehrheit auf sich vereinigt. Knapp sei es gewesen, heißt es. Viele von Marx’ Gegnern sind auf Kurs geblieben. Die meisten haben ihre Stimme dem Münsteraner Felix Genn gegeben, andere den Bischöfen Franz-Josef Bode aus Osnabrück und Franz-Josef Overbeck aus Essen.

 

Von einer „ehrlichen Wahl“ spricht Marx anschließend. Wie Politiker das so sagen. Politiker, das ist ein gutes Stichwort. Der neue Spitzenmann der Bischöfe ist vor allem das: einer, der in Kräfteparallelogrammen denkt, auf Machtverhältnisse und Opportunitäten achtet, auf öffentliche Resonanz, auf ein gutes Erscheinungsbild und auf Erfolg, für die Kirche, aber auch für sich. In einer Vielzahl wichtiger Ämter sieht Marx auch die Bestätigung für das eigene Standing. Er brauche mit seinen 60 Jahren nicht auch noch den Vorsitz, hat der Kardinal im Vorfeld wissen lassen. Aber er würde den Job machen, wenn die Bischöfe ihn dafür haben wollten. Natürlich würde er ihn machen.

Der Neue muss liefern, muss Brücken bauen

Nun haben sie ihn gewählt. Aber euphorisch wirken sie nicht. Kein Überraschungsmoment, kein Oha-Effekt, erst recht nicht diese fast unwirkliche Perplexität der Kardinäle in Rom vor genau einem Jahr, nachdem sie den Argentinier Jorge Mario Bergoglio zum neuen Papst erkoren hatten. Marx’ Wahl verkörpert eher – wie der Gewählte selbst – professionelle Routine. Sie macht aber auch deutlich: der Neue muss liefern, muss Brücken bauen zu denjenigen, die Rechnungen mit ihm offen haben oder ihm ob seiner barocken, bisweilen bräsigen Präsenz gram sind.

Marx war es, der im Missbrauchsskandal eine Null-Toleranz-Strategie ausgab und im Benediktiner-Kloster Ettal so beinhart aufräumen ließ, dass die Kunst der Unterscheidung vor lauter kraftmeiernder Symbolik hier und da auf der Strecke blieb. Zusammen mit Zollitsch war Marx es auch, der den Augsburger Bischof Walter Mixa nach Vorwürfen zu seinem Lebenswandel und gewalttätigen Übergriffen auf Schutzbefohlene aus dem Amt drängte. Und Marx ging als Erster öffentlich auf Distanz zum Skandalbischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, er verlangte Transparenz im Zusammenhang mit dem Bau der Bischofsresidenz auf dem Limburger Domberg und erinnerte in der Affäre um falsche eidesstattliche Versicherungen an das Wahrheitsgebot, das selbstverständlich auch für Bischöfe gelte. Beides Tiefschläge, die die Tebartz-Verteidiger, angeführt vom Kölner Kardinal Joachim Meisner, Marx verübelt haben. Sie werden spätestens jetzt ahnen, dass die Causa Tebartz nicht in ihrem Sinne ausgehen kann, wenn der Papst in Kürze über eine etwaige Rückkehr des mit einer Auszeit belegten Oberhirten zu entscheiden hat.

Der Kölner Alterzbischof saß zwar in Münster erstmals nicht mehr am Vorstandstisch der Bischofsversammlung, aber, sagt einer süffisant, solange er all die Handynummern hat, mischt er mit. Um Marx zu verhindern, soll Meisner für den Gastgeber-Bischof Felix Genn geworben haben, der in der Wahl dann bis zum Schluss Marx’ Gegenüber blieb, ohne dass es einen Stimmen-Swing zum Erstplatzierten gegeben hätte. Den hätte man dann wenigstens als „Einmütigkeit“ und „breites Vertrauen“ zum neuen Vorsitzenden verkaufen können.

Viel Verunsicherung über das Wohin

Na ja, sagt einer, so sei es eben derzeit in der deutschen Kirche. Sie lässt keine klaren Ziele erkennen, dafür gibt es sehr viel Verunsicherung über das Wohin. Die Bischöfe haben fast alles im Angebot: Larmoyanz über die Widrigkeiten der säkularen Welt; das Plädoyer für Spiritualität und Verinnerlichung; den Ruf nach christlicher Zeitzeugenschaft jenseits volkskirchlicher Selbstgewissheit.

Im Nebel zu stehen und nicht zu wissen, ob der Fuß beim nächsten Schritt noch Tritt fasst, das macht auch Bischöfen Angst. „Habt keine Angst“, hat Johannes Paul II. bei seinem Amtsantritt 1978 den Katholiken zugerufen. Im Gottesdienst vor seiner Wahl nennt Marx diesen Satz als eines von zwei Lieblingsworten. Das zweite stammt auch von einem Papst und richtet sich gegen jene Leute, „die immer das Unheil verkünden, als ob die Welt vor dem Untergang stünde“. „Wir aber sind ganz anderer Meinung“, setzte Johannes XXIII. diesen „Unglückspropheten“ bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 52 Jahren entgegen. Marx stellt sich im Münsteraner Dom energisch und kraftvoll in die Reihe dieses „Wir“.

Kardinal Marx gehört dem engsten Beraterkreis des Papstes an

Er ruft zu Mut auf, zu Freude und Entschiedenheit, zur Bereitschaft, „die Zeitstunde anzunehmen“. Und er warnt davor, sich in Oberflächlichkeiten und Narzissmus zu verzetteln. Was in der Messe „Predigt“ heißt, hätten die Leute draußen auf dem Domplatz mit Wochenmarkt bestimmt als „Bewerbungsrede“ bezeichnet. Die Papstbezüge kommen nicht von ungefähr.

Einer mit dem Macht-Gen wie Marx weiß, was er dem Boss schuldig ist, der in der Kirche „Diener der Diener Christi“ heißt. Die franziskanische Zeitenwende 2013 hat Marx als einer der Schnellsten und Leichtfüßigsten mitvollzogen. War er in der Ägide Benedikts XVI., damals zunächst Bischof von Trier, als Exekutor lehramtlich-klassischer Theologie und Kirchenpraxis aufgetreten, knüpft er jetzt in der Wir-müssen-an-die-Ränder-gehen-Kirche an seine Herkunft als Theologe an.

Der Papst hat den ehemaligen Professor für Sozialethik in seinen K-8-Beraterkreis aus acht handverlesenen Kardinälen geholt und ihn gerade erst zum Koordinator des neuen „Wirtschaftsrates“ gemacht, einer Mischung aus Finanzminister und Präsident des Rechnungshofs im Vatikan.

Marx dreht mit an den Stellschrauben der Kurienreform

Marx’ Standing dort ist kaum zu toppen. Er hat den Zugang zum Papst. Er dreht mit an den Stellschrauben der Kurienreform und am Steuerrad des Flaggschiffs in der Kirchenflotte. Sollte ihn die Besatzung auf dem deutschen Begleitsegler ignorieren, wenn sie ihren höchsten Posten neu zu vergeben hat? Sollte Marx’ Nähe zum Papst nicht auch für die Bischöfe von Vorteil sein? Und da ihr Spitzenmann in Rom so stark mit Beschlag belegt sein wird, sollte das der Manövrierfähigkeit nicht zuträglich sein? Kalkül und Konzept, Pragmatik vor Programmatik. Auch so kann es gehen, wenn Bischöfe ihren Vorsitzenden wählen.