Mit Gottesdiensten und Prozessionen haben Christen beider Konfessionen am Karfreitag an den Leidensweg Christi erinnert. Der Fernsehgottesdienst der ARD ist in diesem Jahr aus der Stadtkirche in Bad Cannstatt übertragen worden.

Stuttgart - Die Gemeinde in Bad Cannstatt hat am Morgen des Karfreitags ungewöhnliche Worte in ihrer Stadtkirche gehört: „Bitte winken sie nicht ihrer Großmutter in Hamburg.“ Auch wenn sicherlich keiner gewagt hätte, in der Stadtkirche am Marktplatz während des Gottesdienstes die Hand zum Gruß zu heben, so war diese Warnung der SWR-Redakteurin Ute-Beatrix Giebel kurz vor dem Glockenläuten berechtigt. Der Fernsehgottesdienst der ARD am Karfreitag ist in diesem Jahr aus der Stadtkirche in Bad Cannstatt gesendet worden. Sechs Kameras waren nicht nur auf den Dekan Ekart Schulz-Berg, sondern auch auf die Gemeindemitglieder gerichtet. Zum ersten Mal hat die ganze Republik am Cannstatter Gottesdienst teilhaben können.

 

Der Gottesdienst in der Stadtkirche wird im Fernsehen übertragen. Foto: FACTUM-WEISE
Dass die Entscheidung in diesem Jahr auf die Stadtkirche fallen würde, sei relativ schnell klar geworden, sagte der für die Durchführung verantwortliche Rundfunkpfarrer des SWR, Wolf-Dieter Steinmann: „Ich habe mir einige Kirchen angeschaut, doch hier hat einfach alles zusammengepasst. Das Zusammenspiel der Personen, des Ortes und der Musik war optimal.“

Ein Sprechtrainer für den Pfarrer

Ein halbes Jahr lang haben der Dekan Eckart Schultz-Berg, das Pfarrerehepaar Franziska und Florian Linke zusammen mit Wolf-Dieter Steinmann am Gottesdienst gearbeitet. Sogar ein Sprechtrainer ist eingesetzt worden, um Eckart Schultz-Berg und die anderen Sprecher für die Kamera fit zu machen, und um ihnen die Angst zu nehmen. Immerhin, so schätzt Wolf-Dieter Steinmann, sitzen bei so einem Gottesdienst bis zu 800 000 Menschen vor den Bildschirmen.

„Warum hast du mich verlassen?“ war das Motto des diesjährigen Gottesdienstes am Karfreitag in der Stadtkirche Bad Cannstatt. Dazu predigte nicht nur der Dekan Ekart Schultz-Berg von der Kanzel über das Leiden und Sterben Jesu, das Motto ist von Mitarbeiterinnen des Stuttgarter Hospizes in die Gegenwart übertragen worden. Zwischen den Passagen der Passionsgeschichte, erzählten die drei Frauen von ihren Erfahrungen als Sterbebegleiterinnen. Sie erzählten vom Unwillen zu sterben, auch wenn die Kräfte zu Ende gehen, vom Schmerz der Angehörigen und vom Annehmen des Schicksals. Die Beiträge sind vom Klarinettenspiel und von Cantus Stuttgart unter der Leitung von Jörg-Hannes Hahn untermalt worden.

Wenig später, ebenfalls in Bad Cannstatt, hat man es nicht bei Worten belassen. Seit 35 Jahren pflegen die italienischen Katholiken eine Tradition, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht haben: die Karfreitagsprozession. Seit fünf Jahren spielt der Elektromechaniker Michele Annunziata den leidenden Jesu im Kurpark. Auch in diesem Jahr waren wieder zahlreiche Besucher gekommen, Italiener wie Deutsche, um dem Schauspiel zu folgen.

Gedenken an weibliche Flüchtlinge

In der Stuttgarter Innenstadt versammelten sich unterdessen knapp 200 Teilnehmerinnen zum ökumenischen Frauenkreuzweg durch die City. Ausgangspunkt war die Domkirche St. Eberhard. Auf mehreren Stationen hielten die Frauen, die ein Kreuz aus starken Ästen trugen, inne. „Durchkreuzte Wege“ lautete das Motto des Frauenkreuzwegs in diesem Jahr. Dabei ging es um Sucht und Sehnsucht von Frauen, um die schwierigen ethischen Fragen rund um die Pränataldiagnostik und um Frauen, die als Flüchtlinge in der Region Stuttgart stranden.

Der Zug hielt zunächst vor dem baden-württembergischen Integrationsministerium in der Thouretstraße. Dort sprachen Eva Bachteler für die evangelischen und Susanne Herzog für die katholischen Frauen. Bei rund 75 Prozent aller Flüchtlinge weltweit handle es sich um Frauen und Kinder“, sagte Eva Bachteler, die anschließend eine Mitarbeiterin der Evangelischen Gesellschaft (Eva) bat, von ihren Erfahrungen im Umgang mit weiblichen Flüchtlingen zu erzählen. Viele der Frauen, die nach Stuttgart kämen, würden nicht nur vor dem Krieg und dem Terror in ihrer Heimat fliehen. Sie flöhen auch vor Wittwenverbrennung, Zwangsverheiratung und Zwangsprostitution. Mit einem Blumenstrauß vor dem Integrationsministerium gedachten die Frauen dieser Schicksale. Der Frauenkreuzweg, der vor dem katholischen Dom seinen Anfang nahm, endete vor der evangelischen Leonhardskirche.