Kultur: Stefan Kister (kir)

Von allen Spiegelungen die undurchdringlichste ist jene, die dem Zyklus den Namen gab. Im Bücherschrank der Großmutter fand sich nach ihrem Tod ein Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“. Es ist für Knausgard ein Symbol für das Böse schlechthin: „Die Tür zwischen Text und Wirklichkeit steht darin so sperrangelweit offen, wie es in anderen Büchern nie der Fall ist“. Auf 500 Seiten verfolgt er die Genese dieses Machwerks und der aus ihm herauswachsenden Verbrechen. Seine Rekonstruktion exorziert die Geister, die durch die Tür zwischen Text und Wirklichkeit in sein eigenes Werk gelangt sind.

 

Dieses Mittelstück von „Kämpfen“ ist eine Art essayistischer Jahrhundert-Spiegel, in dem sich die persönlichen Erfahrungen, der Kampf mit einem brutalen, übermächtigen Vater, das Verlangen nach Kunst und Größe im nationalsozialistischen Alptraum brechen. Dabei kreist die erdrückende Fülle ideengeschichtlicher Belege, die Knausgard vor den Leser mehr hinkübelt als wirklich entwickelt, um einen gedanklich überschaubaren Kern, der im wesentlichen aus der immer wieder neu deklinierten Gedankenfigur besteht: „In ,Mein Kampf‘ gibt es ein Ich und ein Wir und ein Sie, aber es gibt kein Du.“ Umstellt von den makellosen Bildern der Werbeindustrie, die Schönheit, Gesundheit, Größe mit Riefenstahl’schem Raffinement feiert, gilt es auch heute, das Du in seiner Individualität gegen den Absolutheitswahn zu verteidigen, der von den faschistischen Massenchoreografien geradewegs in den Massenmord geführt hat.

Das ausufernde Gedankenprotokoll dieses Essays taugt, von den beschriebenen Suchtsymptomen zu kurieren. Doch mit dem zweiten Teil droht der Rückfall. Der Schilderung, wie Knausgard die Niederschrift des sich gleichsam vor den Augen des Lesers vollendenden Bandes der Krankheit seiner Frau, drückenden Alltagsangelegenheiten und dräuenden Selbstzweifeln abringt, kann man sich kaum entziehen.

Zwischen verpinkelten Windeln und hohen Gefühlen

Wer heute liest, wird unweigerlich selbst zum Teil dieser Geschichte. Knausgard ist gewissermaßen das Über-Du der Gegenwartsliteratur, die in weiten Teilen inzwischen aus nichts anderem besteht als Autofiktionen, Romanen, die sich kopfüber im Leben ihrer Autoren versenken. Der Preis ist die Konfrontation mit den überwältigenden Nichtigkeiten der Welt. Der Lohn die Hoffnung, es könnte darin etwas stecken, was uns über sie erhebt.

Unter all den literarischen Verdopplern des Lebens ist Knausgard das Original. Während eine in sozialen Netzwerken gefangene und sich in Timelines ausstellende Generation danach trachtet, ihr Treiben gängigen Modellen anzuverwandeln, träumt sein existenzielles Schreibprogramm davon, gerade die Zweifel, Anfechtbarkeiten und Schwächen zum Romanstoff zu gewinnen.

Vieles in diesem letzten Band geht in endlosen Reflexionen verloren. Im vielgerühmten Sog des Erzählens treiben diesmal nicht nur die alltäglichen Dinge, Kinderszenen, Einkäufe, Gespräche, die Sorge, wie sich die Bedingtheiten des Lebens mit dem Unbedingtheitsanspruch des Ich vereinbaren lassen. Als bedürfte es eines Gegengewichts für das in Banalitäten verfliegende Dasein, holt Knausgard schweren Bildungsballast ins Boot: Homer, Laokoon, die übermächtigen Ahnen Joyce und Proust. Im Mündungsdelta des Knausgard’schen Erinnerungsstroms verfranzt sich, was man Handlung nennen könnte, in immer ausschweifenderen Nebenkanälen, und kommt schließlich vorübergehend ganz zum Stillstand.

Auf der Suche nach dem Du

Von allen Spiegelungen die undurchdringlichste ist jene, die dem Zyklus den Namen gab. Im Bücherschrank der Großmutter fand sich nach ihrem Tod ein Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“. Es ist für Knausgard ein Symbol für das Böse schlechthin: „Die Tür zwischen Text und Wirklichkeit steht darin so sperrangelweit offen, wie es in anderen Büchern nie der Fall ist“. Auf 500 Seiten verfolgt er die Genese dieses Machwerks und der aus ihm herauswachsenden Verbrechen. Seine Rekonstruktion exorziert die Geister, die durch die Tür zwischen Text und Wirklichkeit in sein eigenes Werk gelangt sind.

Dieses Mittelstück von „Kämpfen“ ist eine Art essayistischer Jahrhundert-Spiegel, in dem sich die persönlichen Erfahrungen, der Kampf mit einem brutalen, übermächtigen Vater, das Verlangen nach Kunst und Größe im nationalsozialistischen Alptraum brechen. Dabei kreist die erdrückende Fülle ideengeschichtlicher Belege, die Knausgard vor den Leser mehr hinkübelt als wirklich entwickelt, um einen gedanklich überschaubaren Kern, der im wesentlichen aus der immer wieder neu deklinierten Gedankenfigur besteht: „In ,Mein Kampf‘ gibt es ein Ich und ein Wir und ein Sie, aber es gibt kein Du.“ Umstellt von den makellosen Bildern der Werbeindustrie, die Schönheit, Gesundheit, Größe mit Riefenstahl’schem Raffinement feiert, gilt es auch heute, das Du in seiner Individualität gegen den Absolutheitswahn zu verteidigen, der von den faschistischen Massenchoreografien geradewegs in den Massenmord geführt hat.

Das ausufernde Gedankenprotokoll dieses Essays taugt, von den beschriebenen Suchtsymptomen zu kurieren. Doch mit dem zweiten Teil droht der Rückfall. Der Schilderung, wie Knausgard die Niederschrift des sich gleichsam vor den Augen des Lesers vollendenden Bandes der Krankheit seiner Frau, drückenden Alltagsangelegenheiten und dräuenden Selbstzweifeln abringt, kann man sich kaum entziehen.

Zwischen verpinkelten Windeln und hohen Gefühlen

Wer heute liest, wird unweigerlich selbst zum Teil dieser Geschichte. Knausgard ist gewissermaßen das Über-Du der Gegenwartsliteratur, die in weiten Teilen inzwischen aus nichts anderem besteht als Autofiktionen, Romanen, die sich kopfüber im Leben ihrer Autoren versenken. Der Preis ist die Konfrontation mit den überwältigenden Nichtigkeiten der Welt. Der Lohn die Hoffnung, es könnte darin etwas stecken, was uns über sie erhebt.

Unter all den literarischen Verdopplern des Lebens ist Knausgard das Original. Während eine in sozialen Netzwerken gefangene und sich in Timelines ausstellende Generation danach trachtet, ihr Treiben gängigen Modellen anzuverwandeln, träumt sein existenzielles Schreibprogramm davon, gerade die Zweifel, Anfechtbarkeiten und Schwächen zum Romanstoff zu gewinnen.

Aber war nicht genau dies seit je das große Projekt des Bildungsromans? „Diese Kämpfe nun aber sind in der modernen Welt nichts weiteres als die Lehrjahre, die Erziehung des Individuums an der vorhandenen Wirklichkeit, und erhalten dadurch ihren wahren Sinn“, heißt es bei Hegel über die Gattung.

Diese Kämpfe vollenden sich schmerzhaft in Knausgards literarischer Konzeptkunst, sie ist der große Bildungsroman unserer Tage. Er erzählt vom Kampf zwischen Himmel und Erde, von verpinkelten Windeln und hohen Gefühlen. Das ist im Einzelnen zuweilen entsetzlich, im Ganzen aber so irritierend schön und direkt, wie der scheue, skeptische Blick, der aus manchen alten Selbstporträts durch die Jahrhunderte dringt und den Betrachter in ein Du verwandelt. Nur viel näher.