Vor fünfzig Jahren war es eine Sensation, als die Kunsthalle Karlsruhe ein Museum für Kinder eröffnete. Jetzt wird gefeiert – obwohl es eigentlich keinen Grund dazu gibt.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Für den ersten Schritt rückten die Handwerker mit Hammer und Nagel an. Bild für Bild hängten sie in der Kunsthalle Karlsruhe ein ordentliches Stück tiefer. Es war eine kleine Sensation: Denn erstmals konnten nun auch Kinder die Kunst auf Augenhöhe betrachten. Auch wenn es nur um ein paar Zentimeter ging, war nicht selbstverständlich, was da vor fünfzig Jahren passierte. Erstmals wurden Kinder im Kunstbetrieb ernstgenommen.

 

Heute kann man sich kaum erlauben, Kinder zu ignorieren

An diesem Wochenende wird in Karlsruhe deshalb gefeiert. Als das Karlsruher Kindermuseum 1973 an den Start ging, war es nach dem Ethnologischen Museum in Berlin und dem Historischen Museum Frankfurt das dritte Haus in Westdeutschland, das die Kinder gezielt ins Visier nahm. Während das damals nicht alle für gut befanden, kann es sich heute kaum ein Museum mehr erlauben, die Kleinen zu ignorieren. Wenigstens einen Kinderclub oder Workshops muss anbieten, wer öffentliche Gelder bekommt.

So hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren gesellschaftlich und politisch sehr viel verändert. Naturkundliche und kulturhistorische Museen machen heute selbstverständlich Kinderausstellungen. Auch Science-Museen haben Konjunktur – wie etwa das Experimenta Science Center in Heilbronn.

Die Kunstmuseen haben den Trend weitgehend verschlafen

Die Kunstmuseen dagegen haben den Trend fast vollständig verschlafen. Gelegentlich werden ein paar Bilder alibihaft tiefer gehängt oder ein paar Texte für Kinder ergänzt – aber Kunstmuseen allein für den Nachwuchs sind noch immer die Ausnahme – „nicht nur in der deutschsprachigen Umgebung“, wie Tamara Engert sagt. Sie leitet seit zwei Jahren das Referat Kunstvermittlung der Kunsthalle Karlsruhe und macht im Grunde kaum anderes als die Pionierinnen vor fünfzig Jahren. „Schon damals gab es zwei Aktionsfelder der Museumspädagogik“, so Engert, „sich mit Kunst auseinanderzusetzen, aber auch selbst kreativ zu sein.“

Die Forderungen 1973 und 1923 sind identisch: Teilhabe für alle

Auch sonst hat sich wenig geändert. Schon Ende der 1960er und in den 1970er Jahre wurde über einen allzu elitären Anspruch von Kultur diskutiert. Wie heute auch gab es laute Rufe, nicht nur einem akademisch gebildeten Publikum, sondern allen Menschen Zugang zur Kultur zu ermöglichen. Und es wurde damals ebenfalls viel von Demokratie und Teilhabe gesprochen.

Teilhabe ist ein wichtiges Stichwort im Alltag von Tamara Engert. Wenn vormittags Schulklassen in die Junge Kunsthalle drängen, fragen die Vermittlerinnen sie meist zunächst, was das Bild mit ihnen macht und woran es sie erinnert. Natürlich wolle man Kindern „Wissen über die Geschichte und über Ästhetik“ vermitteln, sagt Engert. „Aber wir müssen ganz extrem von den Besuchenden aus denken und von dem, was sie dem Werk entgegenbringen.“

Bei Kindern werden Vermittlungsangebote ernstgenommen

So sind Kinderausstellungen für die Vermittlungsabteilung eine dankbare Aufgabe, da sie dort meist wesentlich größere Freiheiten haben als üblich. In der Regel konzipieren die Kuratoren Ausstellungen nach wissenschaftlichen Kriterien – und scheren sich nicht um didaktische Grundlagen. Bei modernen Kindermuseen steht dagegen die Frage im Zentrum: Für wen machen wir das überhaupt?

Kinder dürfen sich auch freier bewegen als Erwachsene, außerdem sind Spiel und sinnliche Erlebnisse wesentliche Säulen des Lernprozesses. Als Vordenker der Kindermuseen gilt der Philosoph John Dewey (1859– 1952), der bereits vor mehr als hundert Jahren meinte, dass Bildung keine Vorbereitung auf das Leben, sondern Bildung das Leben selbst sei. Demzufolge ist eine spielerische und kreative Auseinandersetzung mit Kunst der beste Weg, sich ihr zu nähern.

Die Strukturen helfen nicht, mehr Angebote für Kinder zu konzipieren

Dass so wenige Museen dem Karlsruher Vorbild gefolgt sind, mag ein allgemeines Desinteresse am Nachwuchs in diesem Land spiegeln. Die Strukturen machen es nicht leichter, daran etwas zu ändern. So gibt es kaum Ausbildungsangebote für Kuratoren, die Ausstellungen für Kinder machen wollen.

Auch die theoretischen Grundlagen fehlen weitgehend. In der Regel müssen sich die Museen ihr Wissen selbst erarbeiten – oder von der Jungen Kunsthalle Karlsruhe lernen. Da weiß man längst, dass Kunst mehr ist als nur ein Beleg für einen Stil oder eine Epoche. „Jedes Werk“, sagt Tamara Engert, „ist ein Speicher nicht nur von Wissen, sondern auch von Impulsen, die zum Reflektieren und Agieren anregen.“

Mit dem Publikum feiern

Eigenständig
„Museum macht Spaß“ nannte sich 1973 die erste Ausstellung für Kinder in Karlsruhe, in der es um Alte Meister ging. Bis 2005 war das Kindermuseum in der Orangerie untergebracht. 2009 wurde dann ein eigenes Museum eröffnet unter dem Namen „Junge Kunsthalle“.

Geburtstagsparty
An diesem Wochenende (26. und 27. August) gibt es je von 11 bis 18 Uhr zahlreiche Spiel- und Kreativangebot mit sommerlicher Verpflegung in der Jungen Kunsthalle und im Botanischen Garten Karlsruhe. adr