Karlsruhe: U-Bahn-Kunst von Markus Lüpertz Das exzentrische Genie sucht die Ewigkeit
Nach viel Streit wurden in den Karlsruher U-Bahn-Stationen Kunstwerke von Markus Lüpertz enthüllt. Hatten die Skeptiker recht mit ihrer Kritik?
Nach viel Streit wurden in den Karlsruher U-Bahn-Stationen Kunstwerke von Markus Lüpertz enthüllt. Hatten die Skeptiker recht mit ihrer Kritik?
Fragende Gesichter: Was wollen Eule, Stier und Schnecke uns wohl sagen? Sie liegen auf einem Tischtuch, so viel scheint gewiss. „Und was steht da?“, fragt die Frau ihren Mann, der den Titel des riesigen Reliefs in der U-Bahn-Haltestelle Ettlinger Tor vorliest: „Belet-Ili“. „Komm“, sagt sie, „lass uns weitergehen.“
In den kommenden sechs Jahren wird sich wohl so mancher Karlsruher die Zähne an dem ausbeißen, was sich der „Malerfürst“ Markus Lüpertz für die neuen U-Bahn-Stationen erdacht hat: 14 monumentale Reliefs aus Keramik, auf denen man Totenschädel oder Figuren erkennen kann. Angeblich wurde der Künstler gebeten, doch zumindest Titel zu ergänzen, damit die Passanten, die nun tagtäglich vor der Kunst auf ihre Bahnen warten, einen Zugang zu den eigenwilligen Motiven bekommen. Lüpertz soll es geärgert haben, deshalb heißen die Bilder jetzt „Die Brustwehr“ oder „Schakka“.
Aber immerhin, eineinhalb Jahre nach der Eröffnung der neuen Haltestellen im Karlsruher Untergrund ist die „Genesis“ endlich offiziell eröffnet worden. Sogar Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) reiste an, als Lüpertz nun beim Festakt den Stoff von einem der Reliefs zog, an denen er viele Monate gearbeitet hatte. Zwanzig Tonnen Ton mussten geformt, modelliert, gebrannt und bemalt werden. Für einen älteren Herrn, der dieser Tage 82 Jahre alt wurde, ist das allein aus körperlicher Hinsicht eine Leistung.
In Karlsruhe kennt man Markus Lüpertz, der hier Professor an der Akademie war. Deshalb haben sich einige auf den Weg gemacht, um zu schauen, was er abgeliefert hat. „Wir sind keine Lüpertz-Fans“, gibt ein Paar unumwunden zu. Die Keramiken seien „nicht sehr zugänglich und ziemlich sperrig“, sagen sie, „trotzdem ist es toll, dass er das entwickelt hat.“
Es war vor allem Anton Goll, der für das Projekt „Genesis“ unermüdlich geworben hat. Er war einst Geschäftsführer der traditionsreichen Karlsruher Keramikmanufaktur Majolika, wo die Reliefs auch entstehen sollten. Dort war man allerdings hoffnungslos überfordert mit riesigen Tonplatten. Nachdem man ein Jahr für das erste Motiv benötigte, zog Goll die Reißleine, und es wurde fortan im Ortenaukreis in Zell am Harmersbach produziert.
Ein kleiner Junge, der mit der Mama unterwegs ist, steckt seine Finger in die Furchen einer der Keramiken. Er ahnt vermutlich nicht, dass er ein Skelett anfasst– und hat doch intuitiv begriffen, was das Bemerkenswerte an diesen Reliefs ist: Sie bestechen durch eine ungewohnte Materialität. Die meisten Bilder, die uns heute umgeben, sind virtuell, hier aber sind die Rillen und Krater, die Hörner des Stiers und die Rundungen der Schnecke plastisch greifbar und besitzen eine physische Präsenz, mit der kein Foto aufwarten kann. Das Beste daran: Man darf hemmungslos anfassen, die schroffen Kanten erfühlen, Wellen nachfahren oder die Eule am Bauch kitzeln.
Man sieht, dass die drei Mädchen, die vor „Die Mauer von Uruk“ stehen, diese haptischen Qualitäten auch gern mit den Händen erkunden würden, aber sie haben die Lektion, dass man Kunst keinesfalls anfassen darf, offenbar schon zu gut gelernt – und halten artig Abstand. Was dargestellt ist, das interessiert die Teenager zwar nicht, aber „ist doch besser als weiße Wände“, meinen sie.
Besser als weiße Wände und vor allem besser als schnöde Werbung – das war auch, was den Karlsruher Gemeinderat motivierte, das Projekt trotz Gegenwind mit 28 zu 17 Stimmen abzusegnen – „pragmatisch“, wie man es damals nannte. Denn Anton Goll und der Verein Karlsruhe Kunst Erfahren hatten ein unschlagbares Argument auf ihrer Seite. Die „Genesis“ sollte die Stadt nichts kosten, sondern von Spendern und Sponsoren finanziert werden.
Tatsächlich kam eine Million Euro zusammen – ehrenwertes Privatengagement, das aber auch nicht unumstritten ist. Denn wer seine Kunst im öffentlichen Raum zeigen will, muss sich gewöhnlich einem fairen und demokratischen Wettbewerb stellen, zumal es ein Ritterschlag für Künstler ist, so prominent und omnipräsent in der Stadt vertreten zu sein wie in den neuen Haltestellen. Dass man sich dieses Privileg hier schlicht erkauft, stieß manchem bitter auf. Deshalb einigte man sich darauf, dass die schweren Tafeln nur sechs Jahre hängen bleiben – zumindest nach derzeitigem Stand.
Markus Lüpertz ist nicht irgendein Künstler, sondern ein Maler, der auch in der breiten Bevölkerung bekannt ist. Im Kunstbetrieb ist sein Werk nicht unumstritten, die Popularität verdankt er eher seinem exzentrischen Habitus mit Hut, Uhrkette und dickem Totenkopf-Ring. Auch für provokante Schlagzeilen ist er immer gut und sagt kokett: „Ein Künstler, der viel Geld für seine Bilder bekommt, muss nicht unbedingt schlecht sein.“
Lüpertz macht kein Hehl daraus, warum ihm, der doch in Sammlungen und Museen bestens vertreten ist, dieses Projekt so wichtig war. Er habe ein Kunstwerk schaffen wollen, mit dem er „in die Ewigkeit“ eingeht, erklärte er zur Eröffnung. Ein kühnes Ansinnen, das aber doch passt zum Geniekult, den er ganz offen betreibt, auch wenn der Begriff Genie für ein veraltetes Kunstverständnis aus dem 19. Jahrhundert steht.
Um in die Ewigkeit einzugehen, war für Lüpertz klar, dass auch der Stoff ein hehrer sein muss. Es war ebenfalls umstritten, ob man heute ausgerechnet an zentralen Orten der diversen, multireligiösen Stadtgesellschaft die christliche Schöpfungsgeschichte darstellen sollte. Lüpertz ist zum Katholizismus konvertiert, weniger, weil er an Gott glaube, sondern weil die Kirche „großartige kulturelle Dinge geliefert“ habe, wie er sagt.
Die Sorge, dass nun unterm Kongresszentrum oder dem Kronenplatz „Kirchenkunst“ hängt, wie Kritiker im Vorfeld unkten, erweist sich als unbegründet. Denn Lüpertz geht so frei mit den Erzählungen um, dass sie kaum jemand als solche wird ablesen können. Er springt kreuz und quer durch das Alte und das Neue Testament, bedient sich aber auch bei Dantes „Göttlicher Komödie“ oder beim Gilgamesch-Epos, einer Dichtung aus dem alten Mesopotamien.
„Hier bezieht er sich auf den 9. Höllenkreis“, sagt die Kunsthistorikerin Chris Gerbing, die Führungen durch die Stationen anbietet und zu erklären versucht, was Lüpertz sich bei seinen Bildfindung gedacht haben könnte. Sie verweist auf das Stillleben des 17. Jahrhunderts oder auf den Stier, der seit Picasso ein „Topos der Kunst des 20. Jahrhunderts“ sei. Dann wieder glaubt sie, dass ein Symbol aufs Staatstheater und die schönen Künsten anspiele.
Lüpertz selbst sagt, er habe sich auf seine „eigene Fantasie verlassen“, womit deutlich wird, dass es hier vornehmlich um das Ego des Künstlers geht, der seine künstlerische Freiheit ausleben will und seine Ideen über alles stellt – und sich deshalb nicht den biblischen Botschaften unterordnet. Lüpertz sucht auch nicht den Dialog mit dem Publikum, sondern das Publikum kann nun versuchen nachzuvollziehen, was der „Meister“ sich vielleicht gedacht hat.
Ein zeitgemäßes künstlerisches Projekt ist diese um das Künstler-Ego kreisende „Genesis“ sicher nicht. Trotzdem hofft der Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD), dass sie ein Imagegewinn für Karlsruhe bringt und der Name Lüpertz Kunstinteressierte in die Stadt lockt.
Die Resonanz bei der Bevölkerung war am ersten Wochenende allerdings doch recht verhalten. „Es ist ja schon etwas Besonderes“, sagt eine Besucherin, „da hätte ich gedacht, dass das mehr Leute sehen wollen.“