Die Pandemie ist vorbei, der umstrittene Präsident Bolsonaro weg: In Rio bereitet sich der Karneval auf das größte Comeback seiner Geschichte vor. Er trifft auf ein zerstrittenes Land.

Der Mann, in dessen Büro in der „Cidade do Samba“ (Stadt des Sambas) alle wichtigen Entscheidungen rund um die „größte Party der Welt“ fallen, strahlt über das ganze Gesicht: Die Pandemie ist Geschichte, die Epoche mit einem karnevalskritischen, aber inzwischen abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro ebenso. In der Hauptstadt des „Carnaval“ feiern sie wieder – und diesmal wird alles noch größer, bunter und verrückter. Die Stadt des Sambas ist der Ort in dem in riesigen Hallen das ganze Jahr über an den mächtigen Wagen und den Kostümen gearbeitet wird – eine Fabrik der guten Laune mit unzähligen Handwerkern, die jeden Tag schrauben und basteln.

 

Die dunklen Jahre vergessen machen

Jorge Perlingeiro (78), seit 50 Jahren in verschiedenen Funktionen des Karnevals in Rio de Janeiro tätig, ist der Chef der Liga der unabhängigen Samba-Schulen der riesigen Metropole. Die werden in diesem Jahr alle Register ziehen, um die dunklen Jahre vergessen zu machen. „Wir hatten im April letzten Jahres einen Karneval, außerhalb der Saison. Nachgeholt. Es war fast niemand von außerhalb da, keine Ausländer. Es war ein eher lokaler Karneval von Rio de Janeiro, und er war gut, mit einem schönen Spektakel der Schulen.“

Aber eben doch nicht so wie vor der Pandemie. „In diesem Jahr werden wir im Sambodromo Sapucaí das größte Publikum aller Zeiten und aller Karnevalsjahre haben. Wir werden die Zahl von 100 000 Menschen pro Nacht überschreiten“, kündigt Perlingeiro an. „Die Welt ist zurück im Sambodromo.“

Zwischen Sambaschulen herrscht ein knallharter Wettbewerb

Deutlich nervöser ist Alexandre Louzada (68). Er ist „Carnavaleso“ der Sambaschule Beija-Flor, die zu den populärsten der Stadt zählt. Louzada ist so etwas wie der Generalmanager, künstlerische Direktor und guter Geist des Auftritts. Beija-Flor tritt am Wochenende in der ersten Liga, der Champions League der Sambaschulen auf, die mit riesigen Wagen, tausenden Kostümen und Samba-Stars um die Meisterschaft kämpfen.

Das ist ein knallharter Wettbewerb um Anerkennung, Punkte und Fördergelder. Doch es geht um mehr, es geht auch um die Identität des Spektakels. Dazu zählt, dass nichts vorher nach außen dringen darf. Fotos von den Wagen sind streng verboten.

„Eines der Geheimnisse ist, dass alles geheim bleibt und damit Überraschungen möglich sind“, sagt Louzada. „Ja, ich bin nervös. Denn es steht ja einiges auf dem Spiel. Wir wollen gut abschneiden und ich bin dafür verantwortlich.“ Geht ein Auftritt in die Hose, können „Carnavalesos“ auch mal wie Fußball-Trainer entlassen werden.

Karneval ist auch politisch

Der Karneval in Rio war schon immer mehr als nur nackte Haut und knappe Kostüme wie er vielleicht in Europa wahrgenommen wird. „Heute ist Karneval auch eine politische Sache. Und Beija-Flor ist eine Schule, die sich sehr für ihre Gemeinschaft einsetzt und daher immer ein offenes Ohr hat. Wenn wir merken, dass die Menschen Probleme haben, die viel schwerwiegender sind als sonst.“ Louzada ist überzeugt, dass der brasilianische Karneval die Kraft hat, die gespaltene Gesellschaft zu versöhnen.

An kommenden Freitag und Samstag beginnen die kleineren Umzüge der zweiten Liga. Am Sonntag und Montag strömen dann 100 000 Menschen pro Abend ins Sambodromo, wenn die erste Liga des „Carnaval“ am Start ist.