Eine Karte mit den Adressen von Flüchtlingsunterkünften sorgt für Aufruhr im Netz. Eine Steilvorlage für Anschläge? Vielleicht. Nur: dieselben Daten bekommt man auch von ganz offizieller Seite.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Seit Mittwoch macht eine mithilfe von Google Maps erstellte Karte die Runde durchs Netz. Sie zeigt deutschlandweit Standorte von Unterkünften, in denen Flüchtlinge untergebracht sind. Die Karte wurde von der rechtsextremen Partei „Der Dritte Weg“ angelegt und die Einträge offenbar gemeinschaftlich von mehreren Nutzern erstellt. Ein genauer Blick auf die Einträge im Stuttgarter Stadtgebiet zeigt, dass die Karte von Vollständigkeit weit entfernt ist.

 

Das ist allerdings nicht der Grund für die tausendfach geäußerten Forderungen, die Karte müsse aus dem Netz verschwinden. „Diesen Irrsinn müssen wir stoppen!“, titelt „Chip“, „Netz empört sich über rassistische Google-Maps-Karte!“, schreibt „mopo24“ und die „Abendzeitung“ spricht von einer „Karte des Hasses“. Auf Facebook und bei Twitter (Hashtag: #braunekarte) schreiben Nutzer, dass sie die Karte als „unangemessenen Inhalt“ bei Google melden werden und posten die Anleitung dafür gleich mit. Auf eine Anfrage, ob die Karte gelöscht wird, reagierte die Pressestelle von Google Deutschland bis Donnerstagabend nicht.

Steilvorlage für Anschläge?

Die Karte trägt den wenig freundlichen Titel „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft“. Unter den Einträgen finden sich Beiträge à la „Hessicher Hof wird zur Asylkaschemme.“ Ansonsten: Hinweise auf umgenutzte ehemalige Kasernen, Containerdörfer, angemietete Wohnungen. Und deren genaue Adressen – eine Steilvorlage für weitere Anschläge, wie die Amadeu-Antonio-Stiftung befürchtet?

Auch viele Beiträge in den sozialen Medien lassen sich so lesen – oder aber als Statements von Nutzern, die Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen wollen. Der Haken: diesen Punkt bei genau diesem Thema zu machen, ist ein wenig heikel. Die für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern zuständigen Kommunalverwaltungen selbst veröffentlichen schon seit langem die Standorte der Unterkünfte.

Hamburg beispielsweise hat eine eigens angelegte Übersichtsseite, München auch, die Stuttgarter Stadtverwaltung veröffentlicht die Standorte ebenfalls im Netz. Die genannten und zahlreiche weitere Städte nennen dabei nur die Straße, nicht die Hausnummer – „weil die Flüchtlinge Schutz, Ruhe und Sicherheit brauchen“, sagt der Sprecher der Stadt Stuttgart, Sven Matis. Auf dieser Grundlage hat die Stuttgarter Zeitung Mitte Juni eine Karte mit den nur ungefähren Standorten der Stuttgarter Flüchtlingsunterkünfte erstellt.

„Eine Bedrohungsgeste“

In Leipzig beispielsweise werden die Unterkünfte hingegen mit voller Adresse auf der städtischen Website aufgeführt. Eine Gefahr für die Bewohner? „Die volle Adresse zu veröffentlichen, ist bei uns geübte Praxis“, sagt eine Sprecherin der Stadt. Die Standorte seien „eh bekannt, da gibt es immer öffentliche Veranstaltungen, bevor die Unterkünfte eröffnet wurden. Das wird alles öffentlich im Stadtrat behandelt und die Vorlagen sind eh alle im Netz“, sagt die Sprecherin.

Als „Bedrohungsgeste“ wertet der Verein Pro Asyl, der sich für die Belange von Flüchtlingen einsetzt, die Karte: „Das ist eine definitive Zeichensetzung nach dem Motto: ‚Wir haben das im Blick’“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Bernd Mesovic, „und es ist schon zu befürchten, dass das Leute zum Anlass nehmen, sich mal vor Ort umzuschauen und da möglicherweise Straftaten zu begehen.“ Gewaltbereite Rechtsextremisten, die einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft planen, seien auf die Karte nicht angewiesen, sagt Mesovic. Er erinnert aber daran, dass die Übergänge zu eher spontanen Übergriffen fließend seien.

Bittere Ironie

Letztlich scheinen sich viele im Netz über die vor allem mit der Wortwahl ausgedrückte Symbolkraft der „Kein Asylantenheim ...“-Karte aufgeregt zu haben. Eine in Reaktion auf die zahlreichen Äußerungen im Netz erstellte Kopie der Karte, die lediglich einen anderen Titel trägt („Helft mit! Menschen in Not!“), ansonsten aber sämtliche Einträge eins zu eins übernimmt, wurde am Donnerstag wohlwollend aufgenommen.

Bittere Ironie: „Die Art von Dienstleistung, Informationen ins Netz zu stellen, haben sich Rechtsextreme von der anderen Seite abgeschaut“, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl, „es gibt ja auch Karten, die mir sagen, wo ich Flüchtlingsunterstützer finde“.