Im Diesel-Skandal um den Volkswagen-Konzern und im Fall des Lastwagen-Kartells, das sich bei Lkw-Verkäufen an Speditionen abgesprochen haben soll, machen Spezialanwälte Milliardenbeträge als Schadenersatz geltend.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die Drohkulisse von Schadenersatzklagen gegen Lkw- und Pkw-Hersteller wird immer größer. Auf Plattformen im Internet mobilisieren Spezialanwälte im großen Stil Käufer, die möglicherweise Schadenersatzansprüche gegen Volkswagen und Lastwagenhersteller haben. Es geht um geschädigte Verbraucher im Zusammenhang mit zwei Skandalen: Zum einen um europaweit 8,5 Millionen Käufer, die ein Fahrzeug des VW-Konzerns mit Schummelsoftware gekauft haben. Zum anderen um rund 1,1 Millionen Käufer allein in Deutschland, die zwischen 1997 und 2011 einen Lastwagen oder eine Sattelzugmaschine über sechs Tonnen Nutzlast bei einem der Konzerne gekauft haben, die zum so genannten Laster-Kartell gehörten.

 

Am höchsten ist die Strafe gegen Daimler

Wegen verbotener Preisabsprachen hatte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager vor einem Jahr Bußgelder gegen so gut wie alle europäischen Hersteller verhängt. Nur die VW-Tochter MAN kam ungeschoren davon, weil der Konzern half, das Kartell aufzudecken. Am höchsten war die Strafe mit knapp 1,1 Milliarden Euro für Daimler. Die Ermittlungen gegen Scania laufen noch.

Es geht um sehr viel Geld: In beiden Fällen wollen Plattformen die Ansprüche der Geschädigten in vermutlich insgesamt zweistelliger Milliardenhöhe bündeln und eintreiben. Im Fall des Laster-Kartells ist die Rede davon, dass zehn bis 20 Prozent des Kaufpreises oder Leasingraten zurückgefordert werden könnten. Besonders pikant: Auch Zinsen könnten geltend gemacht werden.

Prozessfinanzierer übernimmt Kosten des Rechtsstreites und das Risiko eines Scheiterns

Der Branchenverband der Spediteure, der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), will die Schadenersatzansprüche wegen der überhöhten Preise im Fall von mehr als 100 000 Lastwagen-Käufen zusammen führen. Bislang haben sich Käufer von rund 45 000 Lastwagen auf der Seite im Netz registriert. Da die ersten Ansprüche Ende des Jahres verjähren, sollen sich die Käufer möglichst bis Ende September beim BGL melden.

Der Frankfurter Ökonom und Kartellrechtsspezialist Roman Inderst wird ein Gutachten erstellen, die einschlägig auch im VW-Skandal tätige US-Kanzlei Hausfeld bereitet Klagen gegen die Hersteller vor. Ein BGL-Sprecher: „Wir haben im vergangenen Jahr versucht, uns mit den Unternehmen gütlich zu einigen, doch sie haben uns nur die kalte Schulter gezeigt.“

Das BGL-Modell sieht vor, dass Geschädigte 33 Prozent ihrer finanziellen Ansprüche abtreten, wenn sie kein BGL-Mitglied sind, und 28 Prozent, wenn sie Mitglied im Branchenverband sind. Im Gegenzug übernimmt ein Prozessfinanzierer die anfallenden Kosten des Rechtsstreites sowie das Risiko eines Scheiterns. Unabhängig vom BGL gibt es weitere Bestrebungen, gegen das Lastwagen-Kartell Ansprüche geltend zu machen. Ein großes französisches Entsorgungsunternehmen reichte dieser Tage Klage in Großbritannien ein. Wie zu hören ist, vertritt Hausfeld auch einen großen Spediteur, der eine vierstellige Zahl von Lastwagen im fraglichen Zeitraum gekauft hat. Anwälte prüfen derzeit, ob möglicherweise auch im so genannten Nachkartellzeitraum, die Rede ist von Januar 2011 bis Ende 2016, finanzielle Ansprüche bestehen.

Einzelkläger blitzen regelmäßig ab

Auch im VW-Skandal wird der Druck erhöht. Die Düsseldorfer Kanzlei Baum und Reiter schaltete im Internet eine Plattform für anonyme Hinweisgeber (Whistleblower) frei. „Gerne möchten wir Insidern und sonstigen am Abgasskandal Beteiligten die Möglichkeit bieten, Unterlagen wie interne Dokumente, Verträge oder Datenbankauszüge weiterzureichen“, teilte Julius Reiter mit. In Absprache mit den Informanten könne man das Material in die rechtliche Auseinandersetzung einbringen. Die Kanzlei, in der der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum mitarbeitet, hat nach eigenen Angaben bereits das Mandat von 2000 geschädigten VW-Kunden.

Grundsätzlich ist es in Europa für Verbraucher schwerer als etwa in den USA, gegenüber Konzernen Schadenersatzansprüche zu erstreiten – und eine gewisse Form der Vergeltung zu üben. Einzelkläger blitzen regelmäßig bei den Konzernjuristen ab, Sammelklagen, wie in den USA, gibt es aber in Europa nicht. Klagt ein einzelner Geschädigter, so ist das finanzielle Risiko hoch. Zum Beispiel muss ein VW-Kunde, der ein Fahrzeug mit Schummelsoftware für 40 000 Euro gekauft hat und den Kauf rückabwickeln will, schon in der ersten Instanz mit Kosten von 8000 Euro rechnen, wenn er den Prozess verliert.

In der zweiten Instanz, also wenn er den Prozess verliert oder wenn die Gegenseite Rechtsmittel einlegt, ist noch einmal die gleiche Summe fällig. Kunden, die keine Rechtsschutzversicherung haben, dürften dieses finanzielle Risiko scheuen. Immer häufiger spielen daher Drittfinanzierer eine Rolle: Das heißt, Prozessfinanzierer decken das finanzielle Risiko ab. Möglicherweise Geschädigte treten dabei ihre Forderungen zu einem gewissen Prozentsatz ab, tragen damit nicht mehr das rechtliche Risiko, müssen dafür aber im Erfolgsfall finanzielle Abstriche machen.