Kann die Politik nach den Kartellvorwürfen weiterhin mit der Autoindustrie über Strategiefragen reden? Für den Ministerpräsidenten hat das eine nichts mit dem anderen zu tun.

Stuttgart - Manchmal reagiert die Politik wie ein tonnenschwerer Sattelschlepper: Bremsmanöver benötigen eine gewisse Zeit. Als gegen Ende vergangener Woche die Kartellvorwürfe gegen die deutsche Autoindustrie ruchbar wurden, vernahm man von der grün-schwarzen Koalition zunächst nur dröhnendes Schweigen. Erst übers Wochenende realisierte man offenbar im Führerhaus so richtig, dass der Lastwagen, um im Bild zu bleiben, auf eine Glaubwürdigkeitsklippe zusteuert.

 

„Viele Bürger sind empört“, sagt ein führender Grüner, „die fragen uns jetzt: Seid Ihr die neuen Autoversteher? Auch dann noch, wenn es um kriminelle Machenschaften geht?“ Schon seit Monaten verfolgt man in der Partei mit Skepsis, wie massiv Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Dieseltechnologie bewirbt. Seit die Vorwürfe des Kartellverstoßes im Raum stehen, hat sich dieses Unbehagen potenziert.

Eigentlich schaut die grün-schwarze Landesregierung im Verhältnis zur Automobilindustrie am liebsten nach vorn. In einer Kabinettsvorlage, die der Ministerrat an diesem Dienstag beschließen will, ist in wohl gesetzten Worten von einer „strategischen Partnerschaft“ die Rede, von Zusammenarbeit und „enger Abstimmung“ mit den Unternehmen.

Ist ein neuer Duktus nötig?

Erst vor wenigen Wochen hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) alles, was in der Autoindustrie des Landes Rang und Namen hat, zu einem Strategiedialog ins Stuttgarter Neue Schloss geladen. Diese Gespräche über E-Mobilität, über autonomes Fahren und andere Zukunftsfelder der Branche lasse man nun zum „Prozess“ werden, heißt es hoffnungsfroh. Und dass sich alle Ressort „aktiv und innovativ“ einbringen mögen.

Doch nach Informationen unserer Zeitung gab es in der Koalitionsspitze am Montag heftige Diskussionen darüber, ob dieser Duktus im Licht der neuen Vorwürfe noch angemessen ist. Die Skepsis gipfelte in Überlegungen, den Tagesordnungspunkt vorerst abzusetzen. „Wir sollten erst überlegen, wie wir mit den neuen Vorwürfen umgehen“, sagt ein Grünen-Koalitionär. Es seien Zweifel aufgekommen, ob man nicht eine neue Sprachregelung finden müsse.

Auf seiten der CDU würde man sich dagegen nicht sperren: „Ich hätte Verständnis dafür, wenn man den Tagesordnungspunkt absetzt“, sagt ein Koalitionär. Schließlich seien die Vorwürfe gravierend, und die Industrie müsse erst einmal wieder Transparenz und Vertrauen herstellen. Nicht, dass man den Dialog mit der Autowirtschaft komplett abbrechen wolle. Miteinander zu reden, sei gerade in der aktuellen Lage dringlicher denn je, versicherte auch Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl. Doch ob „strategische Partnerschaft“ und „enge Abstimmung“ die richtigen Schlüsselwörter sind, daran haben viele in der Koalition erhebliche Zweifel. „Ehrlichkeit ist das Gebot der Stunde“, sagt Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz.

Auf Treu und Glauben

Die Strategie des Dialogs fällt in diesen Tagen umso schwerer, als im Zusammenhang mit der Diskussion um Luftreinhaltung unentwegt der Vorwurf der Kungelei im Raum steht. Auch am Montag wieder erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, die südlichen Landesregierungen Bayern und Baden-Württemberg setzten ihre „konspirativen Verhandlungen mit den Firmen des Diesel-Betrug-Kartells fort, als wäre nichts geschehen“.

Und ist es nicht richtig, dass die Stuttgarter Regierungsvertreter die Branche fast bis zur Selbstverleugnung gehätschelt haben? Unvergessen, wie Kretschmann sich im Frühjahr von Daimler die neueste Motoren-Generation vorführen ließ („Wir haben jetzt den Diesel, den wir haben wollen“). Auf Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Unternehmens, was den Schadstoffausstoß angeht, antwortete er treuherzig: „Ich nehme ja nun nicht an, dass, wenn Testfahrten mit dem Ministerpräsidenten gemacht werden, dass da wieder was nicht stimmt.“ Im Licht der neuen Vorwürfe nehmen sich aber alle Beteuerungen der Autobranche etwas anders aus.

Und doch setzt Kretschmann weiterhin auf Gespräche und versucht, die Kartellvorwürfe gegen fünf Unternehmen und die Agenda für den Automobilstandort fein säuberlich voneinander zu trennen. Deshalb hat man sich im Staatsministerium letztlich doch entschieden, den Tagesordnungspunkt „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ zu belassen.

Ruf nach konkreten Zusagen

„Es geht um die Zukunft der Autoindustrie, nicht um Vergangenheitsbewältigung“, heißt es im Umfeld des Regierungschefs. Wobei man einräumt, dass es zunehmend schwieriger wird, beides zu trennen. Zumal beides mit Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu tun hat. Auch CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sagt: „Der Dialog mit der Automobilwirtschaft darf jetzt nicht abgebrochen werden.“ Es sei zwar viel Porzellan zerschlagen worden, doch müsse man nach vorne blicken.

Auf welch dünnem Eis die Landesregierung sich bewegt, hat ihr erst in der vergangenen Woche das Stuttgarter Verwaltungsgericht vor Augen geführt. Auf Nachfrage des Richters, was denn die Unternehmen bisher an Vorschlägen zur Nachrüstung alter Dieselmotoren konkret vorgeschlagen hätten, konnten die politischen Vertreter nicht viel anbieten und blieben ziemlich einsilbig. An diesem Freitag will das Gericht über die Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Land und den neuen Luftreinhalteplan für Stuttgart entscheiden.

„Wir brauchen endlich Zusagen“, sagt Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Spätestens auf dem Automobilgipfel bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am 2. August in Berlin müsse die Wirtschaft liefern. „Der Autogipfel macht nur dann Sinn, wenn am Ende eine verbindliche Vereinbarung mit den Automobilunternehmen für eine schnelle und wirksame Nachrüstung von Dieselmotoren steht und wenn von der Industrie die Zusage gemacht wird, die Kosten dafür zu tragen. Der Bundesverkehrsminister muss dringend die dafür erforderliche rechtliche Grundlage schaffen“, fordert Schwarz.

Auch Vize-Ministerpräsident Strobl sagte am Montag: „Wir brauchen jetzt ehrliche Erfolge beim Thema Nachrüstung, denn sonst muss man – auch wenn wir das wirklich nicht wollen – ans Eingemachte gehen.“ Soll heißen: Fahrverbote.

Noch redet man also miteinander. Und ein Spitzenkoalitionär fragt kleinlaut: „Haben wir denn eine Alternative?“