Stadtdekan Christian Hermes lobt und kritisiert den Katholikentag zugleich: Einerseits ließe sich die Kosten-Besucher-Relation einer Bürgergesellschaft nicht mehr vermitteln. Gleichwohl habe sich die Stadtkirche „authentisch und ganz stark präsentiert“.

Was bleibt? Das ist die große Frage nach dem Katholikentag in Stuttgart. Aber viel wichtiger ist vielen, die sich mit der römisch-katholischen Kirche verbunden fühlen, was kommt? Was ist im Hinblick auf Reformen zu erwarten? Wer die Bischöfe Gebhard Fürst und Georg Bätzing bei der Abschlusspressekonferenz mit ihren vagen Absichtserklärungen so hörte, der mag zum ungläubigen Thomas werden – so wie etwa der Generalsekretär des Katholikentags Marc Frings. Selbst ihm geht in dieser Amtskirche alles zu langsam. Frings formulierte die Hoffnung, dass sich bis in wenigen Jahren etwas Grundsätzliches tut. Denn dann stehe die Firmung seiner beiden Kinder an. Und die Entscheidung dazu werden seine Kinder selbstbestimmt und autonom treffen, erklärte Frings und blickte auf dem Podium zu den Bischöfen Fürst und Bätzing.

 

Fünf nach zwölf auf der Kirchenuhr

Für viele scheint dagegen die Kirchenuhr schon jetzt abgelaufen zu sein. Das lassen die nackten Zahlen erahnen: Statt der erhofften 35 000 Besucher zählte man nur 27 000. 20 000 Dauer- und 7000 Tagesgäste. Die schwache Besucherzahl führt der Veranstalter, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), auf Corona und die Krise der katholischen Kirche zurück. Auch der Abschlussgottesdienst am Sonntag lockte nur 6000 Besucher auf den Schlossplatz.

Ein Loch in der Kasse

Damit haben sich auch die finanziellen Erwartungen nicht erfüllt. Denn durch die Eintrittskarten habe man sich Einnahmen in Höhe von 1,37 Millionen Euro erwartet. Das gastgebende Bistum, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, hat eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 470 000 Euro beschlossen, um die Mindereinnahmen zu kompensieren.

Selbstkritisch fragt ZDK-Präsidentin Irme Stetter-Karp daher: „Was strahlen wir aus? Strahlen wir wirklich die befreiende Botschaft aus? Oder sind wir die Geduckten, die an der Wand stehen und denen man, wenn sie sich bewegen, allenfalls zuschreibt, dass sie sich nur bewegen, weil die Druckwelle so hoch war?“ Stetter-Karp ist eine Frau, die gegen den Strom schwimmt, wenn es sein muss. Ihre Sprache ist stets frei von Angst.

Gleiches lässt sich auch über Stadtdekan Christian Hermes sagen. Seine Bilanz zum Katholikentag wird nicht jedem schmecken, aber darauf hat der Monsignore noch nie Rücksicht genommen. Auch bei der Einschätzung, ob dieses Format grundsätzlich noch zukunftsfähig ist, sagt er: „Nicht nur nach Corona, sondern grundsätzlich muss das Format überdacht werden. Wenn die Appelle zu einem bescheideneren Lebensstil nicht nur moralistisches Geschwätz gewesen sein sollen, gilt auch für den Katholikentag der Zukunft, bescheidener, fokussierter und handhabbarer zu werden.“ Weiter sagt er: „In vier Tagen 1500 Veranstaltungen: Das ist einfach ein durchgedrehtes Programm, das niemand mehr wahrnehmen kann, und natürlich auch eine kirchliche Bedeutsamkeitsinszenierung. Aber ist sie noch realistisch?“ Unzählige Buden und Zelte der allerabwegigsten Gruppen in der Kirche, zehn Millionen Euro Aufwand für 27 000 Besucher, das könne man niemandem mehr vermitteln: „Das ist nicht angemessen, und das wird auch ökonomisch nicht mehr gehen. Da dürfte weniger mehr sein. So dankbar ich für den Katholikentag bin, da muss grundsätzlich diskutiert werden. Ich fände den Vorschlag charmant, Katholikentag und Evangelischen Kirchentag zu verbinden und grundsätzlich ökumenische Kirchentage zu feiern.“

Zwei Seiten einer Medaille

Natürlich gibt es da noch eine andere Seite der Medaille. Und in die ist das schöne Bild des Christentreffens geprägt. Das Bild, das die inneren Werte des Christentums und die Beziehungen von Mensch zu Mensch sowie von Mensch zu Gott symbolisiert. „In diesen Tagen habe ich unendlich viele Menschen getroffen, wiedergesehen und kennengelernt und unzählige Gespräche geführt. Das war sehr intensiv. Spürbar war, dass die Begegnung nach der Coronadepression allen so gutgetan hat“, sagt Hermes und vergisst nicht, die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter seiner Kirche zu loben: „Die Kirche in Stuttgart hat sich authentisch und ganz stark präsentiert, das wurde mir immer wieder bestätigt. Wir haben gezeigt, dass wir spirituell, sozial, kulturell und politisch auf der Höhe der Zeit und auf dem richtigen Weg sind.“

„Es wäre schön, wenn Kirche überall so wäre“, war das größte Kompliment, das Hermes gemacht wurde. Und auf die große Frage „Was bleibt?“ antwortet er: „Der Glaube an Gott ist ja auch kein billiges Beruhigungsmittel oder einfaches Heilmittel für alle Probleme.“ Der Katholikentag habe dies deutlich gemacht, nach innen und nach außen. Gläubige Menschen seien nicht naiv oder glaubten sich die Welt schön, „sondern es sind Menschen, die sich interessieren und engagieren für diese Welt: vor Ort und weltweit in vielen Projekten und Netzwerken.“ Für Hermes wurde das Motto ‚leben teilen‘ eindrucksvoll bestätigt. „Wir haben nicht die einfache Lösung. Niemand hat sie. Aber wir wissen: Wir werden überhaupt nur zu Lösungen kommen, wenn wir uns zusammensetzen und auseinandersetzen.“ Der Katholikentag bestätige die alte Regel: „Was auch immer das Problem ist – Gemeinschaft und Kommunikation sind die Lösung!“