Eine Studie zeigt, dass in den 50er und 60er Jahren in den Kinderheimen der Diözese Rottenburg-Stuttgart Schläge zum Alltag gehörten.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Es ist ein zwiespältiges, ein verstörendes Bild, das Susanne Schäfer-Walkmann vom Leben in den katholischen Kinderheimen der 50er und 60er Jahre zeichnet. Einerseits sei sie erschüttert über die Rigidität mancher Erzieher, sagt die Forscherin. So habe es massive Züchtigungen - Schläge auf das bloße Gesäß - gegeben. Kinder, die nicht essen wollten, sei der Kopf in die Suppe getaucht worden oder sie mussten Erbrochenes wieder zu sich nehmen. "Eine solche Machtausübung war völlig selbstverständlich", sagt Schäfer-Walkmann. Andererseits betont die Professorin von der Dualen Hochschule auch: die Lebenswirklichkeit in den Heimen lasse sich nicht auf die Formel "Nur Schläge im Namen des Herrn" reduzieren. Ein solches Urteil werde all jenen nicht gerecht, "die den Kindern Zuwendung und Geborgenheit vermittelt haben".

 

Die Leiterin des Instituts für angewandte Sozialwissenschaften der Dualen Hochschule hat im Auftrag der Diözese mit ihrem Team die Realität in den Heimen erforscht und am Montag eine 320 Seiten lange Studie vorgelegt. "Die Zeit heilt keine Wunden" lautet der Titel. Für die Untersuchung wurden ehemalige Heimkinder und Erzieher befragt. Es wurden Akten und die Literatur ausgewertet. Dabei hat sich laut Schäfer-Walkmann bestätigt, was der Runde Tisch Heimerziehung bundesweit schon herausgearbeitet hatte: Demütigungen und Gewalt waren keine Einzelfälle, sondern Teil des Systems.

Fürst bittet damalige Heimkinder um Vergebung

Zur historischen Aufrichtigkeit gehört es freilich auch, die damaligen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umstände im Blick zu haben. Prügelstrafen waren in Schulen und Familien gang und gäbe. Der wirtschaftliche Mangel der Nachkriegszeit prägte das Leben in den Heimen. Erzieher waren oft nicht ausgebildet und überfordert. Der rechtliche Schutz der Kinder war zudem niedrig, und die Jugendämter versagten vielfach in der Heimaufsicht. Dieser Kontext kann manches erklären. "Die Einordnung soll aber nicht entschuldigen, wo es nichts zu entschuldigen gibt", stellt der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst klar. Den Verantwortlichen in der Diözese ist es ein Anliegen, das Leid der Opfer anzuerkennen und ihnen, so weit möglich, zu helfen. Es sei beschämend, dass Ordensschwestern, Priester, kirchliche Mitarbeiter in dieser Weise Schuld auf sich geladen hätten, betont Fürst. Er bittet die ehemaligen Heimkinder daher um Vergebung.

Die Diözese will sich auch an den vom Runden Tisch in Aussicht genommenen Entschädigungsfonds beteiligen. Unterstützung und Beratung soll es für Betroffene zudem auf anderen Wegen geben. Welche Ansprüche da auf das Bistum zukommen, ist freilich unklar. Bisher hat sich ein einstiges Heimkind, das auch sexuell missbraucht worden ist, ans Bistum gewandt. Dessen finanzielle Forderungen, sagte Fürst, seien erheblich.