In der Kirche gibt es viele Tabus. Missbrauch an Kindern, Missbrauch an Nonnen. Ein weiteres Geheimnis sind Kinder, die von Priestern stammen. Einige von ihnen versuchen, das Schweigen zu brechen.

Rom/Paris - Es sind Kinder, die es eigentlich gar nicht geben sollte. Zumindest, wenn es nach dem Willen der Kirche geht: Kinder von Geistlichen. Weltweit dürfte es Tausende von ihnen geben. Viele von ihnen aber leben im Verborgenen – oder in Unwissenheit. In Paris treffen an diesem Donnerstag mehrere Bischöfe Betroffene. Eine seltene Zusammenkunft. Denn während sogar der Papst mittlerweile offen einräumt, dass sexueller Missbrauch durch Geistliche ein Problem ist, sind die Priesterkinder noch immer ein Tabu.

 

Auch Vincent Doyle ist Sohn eines katholischen Priesters. Er kannte ihn sogar. Doch dass der Kirchenmann sein Vater war, habe er erst im Mai 2011 erfahren, sagt Doyle. Zu diesem Zeitpunkt war sein Vater bereits tot. „Ich habe dann zu dem Thema recherchiert und herausgefunden, dass es keine verlässlichen Informationen oder Erkenntnisse zu diesem Thema gab“, sagt der Psychotherapeut aus Irland. Fortan befasste er sich mit dem Phänomen und schuf 2014 mit Coping International einen gemeinnützigen Verein, der Betroffene unterstützt.

„Wir strecken die Hand zu den Rändern aus, an Ränder, an die niemand gehen will“, heißt es auf der Webseite, auf der auch Erfahrungsberichte zu lesen sind. Von Susan aus Australien zum Beispiel. Über einen DNA-Test sei sie auf ihren eigentlichen Nachnamen gekommen, kurz darauf sei das „Geheimnis der Familie“ gelüftet worden. „Mein Vater war ein katholischer Priester. Ich konnte es nicht glauben und war schockiert“, schildert sie. „Die Kirche hat mir das Recht genommen, zu erfahren, wer mein Vater ist, ihn in meinem Leben zu haben. Stattdessen lebte ich in dem Wissen, dass ich als unrechtmäßig galt.“

Zeugt ein Priester ein Kind, drängt die Kirche zum Austritt

Coping International schätzt, dass es mindestens 10 000 Priesterkinder gibt. „Es ist ein Leben der auferlegten Extreme, die sowohl mühsam als auch unnötig sind“, sagt Doyle. Er spricht von der Angst, entlarvt oder von den Medien belästigt zu werden. Und von der Last, ein Leben in völliger Geheimhaltung leben zu müssen, die viele Betroffene spürten. Doyle fordert von Papst Franziskus, über das Problem zu sprechen. „Er ist sich darüber bewusst“, meint er. Auch müsse anerkannt werden, dass ein Mann sehr wohl gleichzeitig Priester und Vater sein könne.

Aber die römisch-katholische Kirche ist anderer Meinung. Ein Priester muss zölibatär leben - das bedeutet: enthaltsam und in Ehelosigkeit. Tut er das nicht und zeugt ein Kind, wird er dazu angehalten, aus dem Priestertum auszutreten. So sehen es interne Richtlinien des Vatikans vor, deren Existenz im Februar bestätigt wurden. Schnellstmöglich müsse ein Priester, der Vater ist, von seinen „Pflichten als Kleriker“ befreit werden, um seinen Pflichten als Vater nachzukommen, sagte der Kurienkardinal Beniamino Stella kürzlich in einem Interview. Stella leitet die Kongregation für den Klerus, die sich unter anderem um die Belange von Priestern kümmert.

„Eine solche Situation wird als „unumkehrbar“ angesehen und erfordert, dass der Priester den Klerikerstand verlässt, auch wenn er sich noch immer für den Dienst geeignet sieht“, sagte Stella - nicht ohne hinzuzufügen: „Natürlich ist ein Kind immer eine Gabe Gottes, wie auch immer es entstanden ist.“

„Kinder der Stille“ nennen sie sich in Frankreich

„Priesterkinder sind das bestgehütete Tabu in der katholischen Kirche“, heißt es in der Beschreibung des 2004 erschienen Buchs „Gottes heimliche Kinder“ von den „Spiegel“-Journalisten Annette Bruhns und Peter Wensierski. Viel geändert hat sich daran bislang nichts. „Kinder der Stille“ nennt sich der Betroffenen-Verband in Frankreich, der nun an dem Treffen mit den Bischöfen beteiligt ist. Der Name spricht Bände.

Bei der Deutschen Bischofskonferenz hält man sich bedeckt. Verwiesen wird auf die Bistümer, an die sich Kinder von Priestern wenden sollen. Zur Frage, ob dies Einzelfälle sind - oder wie beim Missbrauch - weltweit verbreitet, heißt es lediglich: „Uns liegen keine Zahlen vor, da dies – wie gesagt – Bistumssache ist.“

Von dem Treffen zwischen Bischöfen und Betroffenen in Paris werden voraussichtlich nicht viele Informationen oder gar Bilder an die Öffentlichkeit gelangen. Das Treffen sei nicht öffentlich und eine Erklärung sei auch nicht geplant, sagte eine Sprecherin der französischen Bischofskonferenz. Der Vatikan will sich nicht erneut dazu äußern - schließlich handele es sich um eine Initiative der französischen Bischöfe.

Vincent Doyle ist überzeugt, dass eine solche Begegnung nur Früchte tragen kann, wenn die richtigen Fragen gestellt werden und Initiativen daraus folgen. „Was nötig ist, sind praktische Antworten der Kirche“, sagt er. Und wenn sich die französischen Bischöfe am Ende gar nicht äußern sollten, dann spreche auch das für sich.