Der katholische Stadtdekan Christian Hermes bekräftigt im Interview seine ablehnende Haltung zur AfD. Entschieden tritt er dem Vorwurf von Frauke Petry entgegen, die Kirchen unternähmen zu wenig gegen die Christenverfolgung.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Der katholische Stadtdekan Christian Hermes stellt eine Verrohung der politischen Debattenkultur fest. Anlässlich der Deutschen Bischofskonferenz spricht der 45-Jährige über seine Auseinandersetzungen mit der AfD und erklärt, warum es selbstverständlich ist, dass Christen Muslimen helfen.

 
Herr Hermes, Sie haben sich kürzlich klar zur AfD geäußert, die Partei sei mit christlichen Grundüberzeugungen nicht vereinbar. Wie waren die Reaktionen?
Unterschiedlich. In den sozialen Medien ging es natürlich hoch her, dort wird manchmal auch sehr enthemmt kommentiert. Ich habe auch Briefe bekommen mit Äußerungen, die geprägt sind von großer Gehässigkeit. Aber die Beleidigungen perlen an mir ab. Wer sich positioniert, der muss sich der Kritik stellen, und das tue ich. Was mich aber freut: Mich haben aus dem ganzen Bundesgebiet auch sehr viele positive Rückmeldungen erreicht. Sehr oft wurde dabei geäußert, dass es wichtig ist, dass die Kirche nicht schweigt, sondern sich zu Wort meldet.
Mit ihrer Haltung zur AfD sind Sie in der Katholischen Kirche nicht mehr alleine. Unter anderen hat sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, kritisch geäußert. Wie wichtig ist Ihnen dieser Rückhalt?
Es tut immer gut, zu wissen, dass man nicht alleine steht, aber das wusste ich vorher schon. Ich finde, dass wir Christen klar politisch Position beziehen müssen. Wir können von Papst Franziskus lernen. Aktuell kann man aber eine Verrohung der politischen Diskussionskultur feststellen – und dafür mache ich die AfD mitverantwortlich. Sie segelt auf diesem Wind.
Frau Petry wiederum wirft den Kirchen vor, sie seien in der Flüchtlingsfrage verlogen.
Es gibt für mich keine verlogenere Bewegung als die AfD in der deutschen Politik. Sie ist nur destruktiv und nicht an Lösungen interessiert. Da sitzt der Herr Meuthen als freundlich lächelnde bürgerliche Schaufensterfigur vorne, während im Hintergrund im Bund die von Storchs und Petrys oder hier in Stuttgart die Fiechtners und Klinglers ihre Sprüche raushauen. Hinterher distanziert man sich dann davon oder versucht zu verharmlosen. Tatsächlich ist diese Partei passgenau die Nachfolgeorganisation der Republikaner.
Ganz konkret kritisiert Frau Petry die Kirchen dafür, das sie angeblich zu wenig gegen die Christenverfolgung einschreiten.
Es ist verlogen und falsch, dass wir verfolgte Christen nicht unterstützen würden. Das kann nur behaupten, wer keine Ahnung hat. Die Kirche in Deutschland und gerade unsere Diözese setzt sich in erheblicher Form für verfolgte Christen ein. Wir haben zum Beispiel eine eigene Kirche und sehr viele Mittel zur Verfügung gestellt. Ich empfange in zwei Wochen eine Delegation an Bischöfen aus dem Irak, unter anderem den Patriarchen der Chaldäer.
Das Thema bewegt aber auch andere. Die CDU-Gemeinderatsfraktion fordert, Christen mit Mobbingerfahrungen zu ihrem Schutz in einem eigenen Wohnheim unterzubringen. Wird in Stuttgart zu wenig unternommen, um Christen zu schützen?
Ich bin natürlich ganz aufmerksam, sobald ich mitkriege, dass Christen als Christen gemobbt und diskriminiert werden. Wenn es Aggressionen gegen Christen gibt, müssen die Opfer geschützt und die Täter gestellt und zur Verantwortung gezogen werden. Letzteres ist ganz wichtig. Nicht die Opfer sollten sich verstecken müssen. Das Thema Religion in Flüchtlingseinrichtungen beschäftigt bereits den Rat der Religionen. Wir sind mit dem Sozialamt im Gespräch. Aber eines ist mir auch wichtig zu sagen: Es gibt fast keine Vorfälle.
Man hört, in einem Wohnheim der Caritas sollen assyrische Christen von Mobbing betroffen gewesen sein.
Ich habe mich beim Caritasverband erkundigt: Wir hatten bei uns genau einen Vorfall. Ich merke, dass mit den geflohenen Christen auf billigste Weise Stimmung gemacht wird. Man muss vorsichtig und verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen. Ich denke, das tut die CDU, die AfD sicherlich nicht. Ihr geht es nur darum, verantwortungslos zu diffamieren. Diese Partei hat sich entschieden, dass sie nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sein möchte.
Was würden Sie Frau Petry inhaltlich entgegensetzen: Warum ist es christlich, auch Muslimen zu helfen?
Es ist grundsätzlich christlich, sich überhaupt für Menschen in Not einzusetzen. Jesus hat das ganz deutlich gemacht, zum Beispiel in der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Jedem Menschen wohnt eine göttliche Würde inne, jeder hat verdient, dass man ihm mit Respekt begegnet – unabhängig von seiner Kultur, seinem Geschlecht, seiner Ethnie. Das macht das christliche Ethos aus: Wir helfen nicht nur unseren Leuten. Es geht um Mitmenschlichkeit gegenüber dem Einzelnen.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat gerade ein Signal für die Mitmenschlichkeit ausgesendet. Sie ziehen da anscheinend an einem Strang.
Absolut. Es gibt keinen Bischof in Deutschland und keinen Priester, der nicht diesen Geist der Nächstenliebe teilt – das gleiche gilt für ganz viele Ehrenamtliche. Diesen Menschen bin ich extrem dankbar. Auch hier in Stuttgart ist es hoch erfreulich, wie viele sich engagieren.
Wie ist die Stimmung in Stuttgart? Hält die Bereitschaft zu helfen an?
Ja, die Leute lassen sich von diesen negativistischen und bösartigen Tönen nicht irre machen. Sie tun, was zu tun ist, indem sie zum Beispiel eine Kinderbetreuung im Haus Martinus auf die Beine stellen. Wir können nicht feststellen, dass die Leute sich abkehren. Das zeigt für mich, dass wir uns auf unsere Stadtgesellschaft verlassen können. Wir haben viele Menschen in unseren Kirchengemeinden, die sagen, wir packen an und tun, was zu tun ist.
Also getreu der Forderung von Kardinal Marx, man brauche tatkräftiges Engagement statt Untergangsgeraune?
Genau, denn alles andere bringt überhaupt niemandem etwas. Ich bin auch nicht bereit, mich mit den Unglückspropheten zu beschäftigen. Das gilt, wie Sie wissen, auch für die AfD-Vertreter vor Ort. Ich weiß, Frau Petry gefällt das nicht, dass mit ihren Leuten kein Dialog stattfindet. Doch wir unterhalten uns nicht über rechtspopulistische Positionen, die in propagandistischer Weise rausgehauen werden.
Was wünschen Sie sich jetzt für die aktuelle Debatte?
Ich wünsche mir zum einen, dass es gelingt zu unterscheiden, welche Menschen wirklich auf der Flucht sind und bei uns offene Türen finden müssen. Zum anderen, dass es gelingt, die Menschen zurückzuschicken, die keinen Anspruch auf Asyl haben oder gar in krimineller Absicht hierher kommen. Das ist die Verantwortung des Staates, dafür zu sorgen. Ganz wichtig ist mir, dass Europa in dieser Frage als politisches Projekt nicht zerbricht.