Das Kanzleramt plant keine neue Einteilung der stark von der Pandemie betroffenen Regionen. Über der 50er-Marke muss man sich dennoch auf noch deutlich strengere Einschränkungen einstellen – das Land schließt auch einen flächendeckenden Lockdown nicht mehr aus.

Berlin - Die Karte der Bundesrepublik ist immer stärker rot gefärbt. 134 von 416 Landkreisen, Stadtkreisen oder -bezirken haben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vom Dienstag mittlerweile die Marke von 50 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen überschritten. In weiteren 77 Regionen leuchtet die Ampel gelb, da dort die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz höher als 35 liegt – auch dort ist die Tendenz im Augenblick größtenteils steigend und geht in Richtung rot. Da beispielsweise das Land Baden-Württemberg als Ganzes schon die dritte und letzte Stufe seines Pandemieplans in Kraft gesetzt hat, stellt sich auch die Frage, was nach Alarmstufe Rot noch kommen soll.

 

Welche weitergehenden Maßnahmen noch möglich sind, ist mit dem lokalen Lockdown im Kreis Berchtesgaden zu besichtigen, der mit 236 den höchsten Wert in Deutschland aufweist. Während die Vergleichbarkeit der Einschränkungen vergangene Woche auf der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das zentrale Thema war, ist bisher nicht im Gespräch, anderen Regionen ähnliche Vorgaben zu machen, falls sie etwa die 200er-Marke überschreiten. Ob es regionale Shutdowns gebe, hänge weiter von Gegebenheiten vor Ort ab, so sagte es Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Dienstag nach einer Kabinettssitzung in München – es gebe dafür „keinen Automatismus, keine Marke“.

„Im roten Bereich geht es allein darum, die Dynamik zu stoppen“

Die Linie, dass es keiner neuen Werte bedarf, wird auch von der Bundesregierung unterstützt. „Wir haben die Inzidenzwerte 35 und 50 keineswegs willkürlich gewählt“, sagte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), der die Ministerpräsidentenrunden bei Merkel vorbereitet, unserer Zeitung: „Bis zu einem Wert von 35 soll die Personaldecke verstärkt sein, sodass die Gesundheitsbehörden vor Ort mit der Kontaktnachverfolgung klarkommen, zwischen 35 und 50 kann das mit Hilfe beispielsweise von Bundeswehrangehörigen in einzelnen Hotspots gelingen.“ Darüber hinaus ist es seiner Ansicht nach „nicht sinnvoll“, neue Skalenwerte zu definieren: „Im roten Bereich kommt es allein darauf an, ob der Anstieg bei den Fallzahlen mit den erlassenen Einschränkungen gestoppt wird oder weiter anhält – in diesem Fall sollten weitergehende Maßnahmen beschlossen werden.“

Die Länderchefs stimmten vorige Woche bereits überein, dass „weitere gezielte Beschränkungsschritte unvermeidlich“ sind in Hotspots über der 50er-Grenze, wenn die Infektionsdynamik mit dem bereits Umgesetzten „nicht spätestens binnen 10 Tagen zum Stillstand“ kommt. Dann dürften sich dort nur noch maximal fünf Personen aus höchstens zwei Haushalten in der Öffentlichkeit treffen. Kanzleramtschef Braun ruft freilich schon jetzt zu strengeren Regeln vor Ort und noch mehr Eigenverantwortlichkeit der Bürger auf: „Die enorme Geschwindigkeit beim derzeitigen Anstieg der Infektionszahlen wird zum Teil immer noch unterschätzt.“

Kretschmann warnt vor Schäden durch Shutdown

Falls das Tempo der neuen Corona-Ansteckungen weiter zunimmt, schließt die Stuttgarter Landesregierung auch einen erneuten flächendeckenden Lockdown nicht aus. „Das kann natürlich kommen, wenn es völlig aus dem Ruder läuft“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), „wir haben doch gar keine andere Wahl mehr zum Schluss.“ Die Kollateralschäden einer solchen Verordnung, die das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben weitgehend drosseln würde, wären aber so enorm, dass er diesen Schritt auf jeden Fall vermeiden wolle, sagte der Regierungschef: „Deshalb die Appelle.“ Als mildere Mittel habe die Landesregierung „schon noch ein paar Dinge im Köcher, aber viel nicht mehr“.

Kretschmann rechtfertigte die bereits erlassene Beschränkung der Teilnehmerzahl für Trauergottesdienste und Bestattungen im Freien. „Eine Trauerfeier mit 100 Personen ist jetzt nicht gerade an der Grenze der Pietät.“ Es müsse niemand Angst haben, „dass wir auf Friedhöfe gehen und sagen: Du darfst da nicht stehen“. Landeskirchen und Diözesen seien gut organisiert. Die Probleme lägen bei muslimischen und freikirchlichen Trauerfeiern, wo sich Hunderte Personen träfen. Für religiöse Veranstaltungen im Freien gilt seit Dienstag die Grenze von 500 Personen. Für Veranstaltungen im Freien bei Todesfällen sind maximal 100 Personen erlaubt.