Beim digitalen Erbe stoßen die Hinterbliebenen oft an ihre Grenzen. Ob sie Zugriff auf die Daten in sozialen Netzwerken erhalten, ist nicht eindeutig geklärt. Ein Verfahren vor dem Berliner Kammergericht könnte dies nun ändern.

Stuttgart - Auf den ersten Blick erscheint es seltsam, dass sich ausgerechnet Facebook auf den Datenschutz beruft. Der Konzern streitet gerade vor dem Berliner Kammergericht mit den Eltern eines 15-jährigen Mädchens, das im November 2012 von einer U-Bahn überfahren wurde. Die Eltern wollen Zugriff auf ihren Facebook-Account, denn gerade jetzt stellen sich ihnen viele Fragen: War es ein Suizid? Womit hat sich ihre Tochter in den letzten Tagen ihres Lebens beschäftigt? Hat sie Gedanken zum Thema Selbstmord geäußert? All das könnte ein Blick in ihr Profil erhellen. Aber Facebook verweigert den Eltern den Zugang zu diesen Daten.

 

Kann es sein, dass die direkten Erben keinen Zugriff auf digitale Daten haben, was analog Briefen oder einem Tagebuch entspricht? Aber digital ist eben nicht analog. „Grundsätzlich erben Erben alles, das umfasst auch den digitalen Nachlass“, sagt der Rechtsanwalt Christian Solmecke. Dann kommt schon das Aber: Inwiefern davon die Daten in sozialen Netzwerken sowie E-Mails betroffen sind, ist rechtlich nicht eindeutig – auch wenn die Mehrheit der Juristen sowie zentrale Gesetzeskommentare wie der Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch BGB das so sehen. Aber es könnte auch sein, dass die Mitgliedschaft in einem sozialen Netzwerk mit dem Tod endet – vergleichbar mit der analogen Vereinsmitgliedschaft. Dann gibt es nichts zu erben. „Andere behaupten, es sei nur der vermögensrechtliche Teil des digitalen Nachlasses vererbbar, nicht aber Zugangsdaten und Inhalte der Accounts wie Fotos und Chats“, so Solmecke.

Digitale Nachlassverwalter sichern die Daten – wirklich?

Mit dieser unklaren Rechtslage kämpfen auch viele digitalen Nachlassverwalter. Einige dieser Dienste sind in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen – die ersten haben schon wieder dichtgemacht oder ihr Geschäft verlagert. Denn das Versprechen „Wir sichern die Daten Ihrer Angehörigen“ lässt sich nicht so einfach erfüllen. „Eigentlich macht es keinen Sinn, die Truhe mit Opas Briefen auf dem Dachboden anders zu behandeln als die Mails“, sagt Christopher Eiler vom Nachsorgedienstleister Columba: „Wenn ich das Erbe antrete, gehören mir die Briefe.“ Aber die Mails nicht unbedingt, wie der Columba-Mitgründer weiß. Columba regelt das digitale Erbe für Hinterbliebene und arbeitet mit dem Bundesverband Deutscher Bestatter zusammen.

Im aktuellen Fall wird argumentiert, dass auch die Rechte der Kontakte des Verstorbenen zu bedenken seien, die sich darauf verlassen, dass private Chats nur den Empfänger erreichen und keine Dritten. Wobei das Recht Dritter bei Briefen offenbar kein Hindernis ist. Schließlich sind in Opas Kiste auf dem Dachboden eventuell die Briefe seiner geheimen Liebschaften – die Erben bekommen diese nach seinem Tod zu sehen. Was also ist der Unterschied? „Briefe, die einmal beim Empfänger angelangt sind, sind nicht mehr von Artikel 10 des Grundgesetzes geschützt“, sagt Solmecke. „Der Schutz des Briefgeheimnisses beginnt mit der Absendung der Mitteilung und endet mit der Ablieferung.“ Das Fernmeldegeheimnis wiederum schützt dieses Grundrecht. Es verbietet Eingriffe in die Übermittlung von Mails und Nachrichten im Netz.