Der Tabakanbau in Deutschland stirbt allmählich aus, seit die EU-Subventionen letztes Jahr gestrichen wurden. Familie Hallwachs will kämpfen.

Heidelberg - An dem Tag, als er seine 800.000 Tabakpflanzen auf den Kompost fuhr, erinnert sich Andreas Hallwachs ganz genau. Der Wetterdienst meldete sonnige Temperaturen mit Höchstwerten bis 22 Grad und einen Himmel ohne Wolken. Zwei Monate lang hatte der Landwirt die kleinen Pflanzen gewässert, gedüngt und gepflegt. Am Ende dieses frühlingshaften Apriltages 2010 waren sie nur noch Müll.

 

Damals war endgültig klar, dass die Zigarettenkonzerne die erhofften Preise für Tabak nicht zahlen würden. Erst waren die Subventionen der Europäischen Union weggefallen, dann auch noch die Abnehmer. "Mir sind die Tränen runtergelaufen", sagt Andreas Hallwachs und kann nichts dagegen tun, dass seine Augen wieder feucht werden. Der 29-Jährige trägt Silberkette zu Gummistiefeln, er will einmal den Hof seiner Eltern in Plankstadt bei Heidelberg übernehmen - als Tabakbauer in fünfter Generation.

Die Hallwachsens wussten schon lange, dass die Subventionen gestrichen würden, sie hatten aber insgeheim erwartet, dass die großen Unternehmen aus jahrelanger Solidarität die Bauern weiterhin unterstützen. Doch die Zigarettenindustrie sagte Nein, sie kann anderswo billiger einkaufen. Tabak aus Uganda, Brasilien oder Kenia ist für die Hälfte zu haben.

Drei Generationen unter einem Dach

Der Anbau in Deutschland liegt in den letzten Zügen. 170 Bauern leben vom Anbau der nikotinhaltigen Pflanzen. Mehr als die Hälfte der Betriebe in Baden-Württemberg hat in den vergangenen vier Jahren aufgegeben, sagt Wolfgang Moritz, der Geschäftsführer des Bundesverbands deutscher Tabakpflanzer. 2007 gab es 136 Betriebe, heute sind es nur noch 65. Die Ausbeute der deutschen Bauern ist mit 8500 Tonnen pro Jahr verschwindend gering. Die Tabaksäcke aus ganz Europa machen nur fünf Prozent des Weltmarktes aus.

In den 70er Jahren bekamen die Bauern eine Qualitätsprämie, damals war deutscher Tabak ein Schnäppchen für die Industrie. 2004 entschieden die EU-Agrarminister, den Anbau von 2010 an nicht mehr zu fördern. Einerseits die Produzenten zu unterstützen und andererseits für den Nichtraucherschutz und ein Rauchverbot zu werben - das passte nicht mehr zusammen.

Der Senior des Plankstadter Hofes, Kurt Hallwachs, steht neben einem großen Trockenofen, eine Neuanschaffung. Der 76-Jährige hat den Hof bereits von seinem Vater übernommen und dann an seinen Sohn Rolf weitergegeben. Mit Andreas wohnen nun alle drei Generationen unter einem Dach. "Wir haben hier jahrzehntelang Burley angebaut", erzählt er, "wir kannten gar nichts anderes."

Die meisten Scheunen stehen seit Jahren leer

Nach dem schwarzen Apriltag des vergangenen Jahres hatten sich die Hallwachsens zusammengesetzt und ihre Perspektiven diskutiert. "Wir versuchen es noch mal" - hat der Familienrat mehrheitlich entschieden. Allerdings mit einer neuen, lukrativeren Sorte namens Virgin - für die gibt es noch Abnehmer. Die Blätter werden in Ägypten zu Wasserpfeifentabak verarbeitet.

Doch der Wechsel berge Risiken, erklärt Kurt Hallwachs. Virgin müsse in einem speziellen Luftofen getrocknet werden, gleich sechs davon haben die Hallwachsens nun gekauft. Gebraucht, zum Preis von 6000 Euro das Stück. Eigentlich zu viel Geld für das kleine Familienunternehmen, sie mussten einen Kredit aufnehmen.

"Früher hing hier alles voll mit Burley", erinnert sich Kurt Hallwachs und zeigt in der Scheune nach oben. Wo einst Tabakbündel trockneten, baumeln nackte Haken. Doch der Senior auf dem Hof ist keiner, der sich ständig beklagt, der den alten Zeiten nachweint. "Als ich ein Junge war, haben die Frauen abends die Tabakblätter in Säcke eingenäht", sagt er. In Plankstadt lebten fast alle Bauern vom Tabak. In ihrer Siedlung sind sie inzwischen der letzte Betrieb. Rundherum stehen Schilder wie Spanferkelhof oder Spargelanbau. Die meisten Scheunen stehen seit Jahren leer.

Keine Pausen während der Erntezeit

Nicht immer waren sie sich einig in der Familie. Das schleichende Ende der Branche macht allen Angst. Die größte Zweiflerin ist Martina Hallwachs. "Mich kostet das alles Nerven", sagt die 47-Jährige. "Ich glaube nicht, dass es langfristig weitergeht, uns sitzt das Ausland im Genick", sagt sie und bindet sich ein Tuch über den Kopf.

Vielleicht hätten sie beizeiten Ferienwohnungen bauen sollen, ganz auf Spargel und Kartoffel wechseln, grübelt die Bäuerin. "Aber unser Herz hängt doch am Tabak." Gleich muss sie aufs Feld hinaus, die Ernte ist in vollem Gang, und sie wird gebraucht. Neben dem Traktor auf dem Hof zieht sie ihre Gummistiefel über die Socken. "Neue Öfen wären definitiv zu teuer gewesen, da hätte ich nicht mitgemacht", stellt sie klar und schüttelt zum Nachdruck den Kopf.

Die Sorge um ihre Existenz hat sich tief in ihr festgefressen. Verbissen erledigt sie ihren Job. Sie hilft auf dem Feld, kocht für die gesamte Erntemannschaft und kümmert sich um den Haushalt. "Was habt ihr mir mit der neuen Sorte nur angetan?", hat sie empört die drei Männer im Haus gefragt. Zum ersten Mal seit 100 Jahren gelten andere Anbauregeln. Da könne einiges schiefgehen, gibt Martina Hallwachs zu bedenken. Sie steckt die Hose in die Stiefel und steigt zu den polnischen Helfern auf den Wagen. Pausen gönnt sie sich während der Erntezeit nicht.

Andreas Hallwachs ist gerne dabei

Es hört sich an, als würde jemand auf Knallerbsen treten. Die Helfer brechen Blatt für Blatt von den Stielen, eine mühsame Handarbeit inmitten der mannshohen Pflanzen. Um sieben Uhr sind sie das erste Mal rausgefahren, dann begann es zu regnen. Nun sind sie zurückgekehrt. Nebeneinander laufen sie in einer Linie durchs Feld. Andreas Hallwachs ist gerne bei der Ernte dabei.

Auf Polnisch scherzt er mit einem der Arbeiter. "Viele von ihnen kommen seit 16 Jahren zu uns auf den Hof", erzählt er. Im vergangenen Jahr hatten sie plötzlich keine Beschäftigung mehr für die Saisonkräfte. "Da haben wir uns Sorgen gemacht, die gehören doch zur Familie", bekräftigt der Juniorchef. Und das ist nicht nur so dahergesagt. Der 29-Jährige hat sich in eine der Helferinnen verliebt, im März haben sie geheiratet, vor drei Monaten kam Töchterchen Heidi zur Welt. Ohne den Tabak hätte er seine Frau wohl nie kennengelernt.

Er hofft, dass alles so bleibt wie bisher, dass er auch künftig auf dem Feld arbeiten kann, sich um die Ernte kümmern. Dass Tabak nicht den besten Ruf hat, weiß Andreas Hallwachs auch. Für ihn ist er nur ein Rohprodukt, eine Pflanze, die er hochzieht. "Ich werfe dem Winzer ja auch nicht vor, dass er Alkohol herstellt", verteidigt er sich, wenn er auf Gesundheitsschäden durch Nikotin angesprochen wird.

In einigen Monaten werden neue Pflanzen gesäht

Später am Kaffeetisch zündet sich Hallwachs eine Zigarette an, er raucht West aus dem Hause Reemtsma. "Das ist ein Laster", sagt er und lächelt. Sein Tabak ist in diesen Zigaretten nicht mehr enthalten. Zu den geforderten Preisen würde man nicht handelseinig werden, ließ der Konzern wissen. Erst vor Kurzem hat er eine riesige West-Werbeveranstaltung auf dem nahe gelegenen Hockenheimring gesehen. "Die haben sich das richtig was kosten lassen", ärgert sich Hallwachs.

Geld genug hätte das Unternehmen, nur würde das nicht mehr für deutschen Tabak ausgegeben. "Wir haben uns jahrzehntelang nach den Wünschen von Reemtsma gerichtet, und dann lassen die uns hängen", sagt er frustriert und inhaliert noch einmal tief. Er glaubt an die Zukunft des Tabaks, in einigen Monaten wird er wieder neue Pflanzen säen.