Ihr Image war nicht das beste: die Kelten galten den Südeuropäern der Antike als ungehobelt und barbarisch. Das Landesmuseum Württemberg beweist im Alten Schloss, dass Kunst und Kultur der Kelten doch kostbar waren.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Hübsch scheinen die Kelten nicht gewesen zu sein. „Aufgeschwemmtes Fleisch und weiße Haut“, sollen sie gehabt haben, behauptete der Geschichtsschreiber Diodor von Sizilien. „Sie waschen die Haare mit Kalkwasser und kämmen es dauernd zur Schädelkuppe und zu den Nackenmuskeln“. Platon hielt sie für versoffen und kriegerisch, während Aristoteles überzeugt war, dass dieses Volk zwar „voller Ungestüm, aber in geringem Maße mit Verstand und Kunstfertigkeit bedacht“ sei.

 

Über Jahrhunderte hinweg hat sich das Vorurteil gehalten, dass die Kelten barbarisch, grob und ungehobelt gewesen seien. In Stuttgart will man nun den Gegenbeweis antreten und zeigen, dass sie keineswegs nur derb, sondern auch Schöngeister waren, künstlerisch und handwerklich versiert. Um das zu demonstrieren, benötigt die Große Landesausstellung „Die Welt der Kelten“ gleich zwei Standorte in Stuttgart. Während es im Kunstgebäude unter dem Titel „Zentren der Macht“ um das kulturelle und politische Umfeld geht (siehe unten stehenden Bericht), werden im Alten Schloss „Kostbarkeiten der Kunst“ gezeigt. Denn erst seit wenigen Jahrzehnten, erst durch die archäologischen Funde und die Entdeckung prunkvoller Fürstengräber in jüngerer Zeit wird die keltische Kunst überhaupt als solche gewürdigt. Oder um es mit den Worten des Kurators Thomas Hoppe zu sagen: „Die keltische Kunst hat es einfach verdient“.

Deshalb werden die Besucher im Alten Schloss auch nicht von keltischer Kunst begrüßt, sondern von Bronzeobjekten des Bildhauers Bernhard Heiliger – archaisch anmutenden, mutierten Halbkugeln aus dem Jahr 1969. Mit dem Vergleich mit zeitgenössischen Skulpturen will die Ausstellung nicht nur die Frage aufwerfen, was die Kunst zur Kunst macht, sondern auch deutlich machen, dass das keltische Kunsthandwerk eine solche Stilsicherheit und Ausdruckskraft besitzt, dass es sich durchaus mit moderner autonomer Kunst messen lassen kann.

Dramatisch inszeniert, atmosphärisch illuminiert

In den schwarzen, fast gruftartigen Ausstellungsräumen werden die Fundstücke, die Schalen und Ringe, Vasen und Büsten, Dolche und Schnabelkannen vom siebten Jahrhundert vor bis zum siebten Jahrhundert nach Christus nun dramatisch inszeniert und atmosphärisch illuminiert. Doch das Konzept der Schau ist dennoch streng kunsthistorisch ausgerichtet: Der chronologische Rundgang zeichnet die Entwicklung des keltischen Stils nach, der sich im Lauf der Jahrhunderte grundlegend wandelt – vom Raster zur Fratze, vom Ornament zur Figur.

Doch wer sind überhaupt die Kelten? Unter dem Begriff werden verschiedene Volksgruppen der Eisenzeit subsumiert, die sich selbst keineswegs als „die Kelten“ begriffen. Bei der Gestaltung ihrer Alltagsobjekte und Schmuckstücke lassen sich aber sehr wohl stilistische Gemeinsamkeiten ausmachen.

Dass der Ruf der Kelten bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht der beste war, liegt daran, dass sie selbst keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben. Es schrieben immer nur jene über sie, die die Keltoi, Celtae, Galli oder Galatai, wie sie genannt wurden, als Krieger und Raufbolde erlebten, die fremde Länder überfielen, plünderten und brandschatzten.

Leidenschaft für alles Geometrische

Dank der archäologischen Forschung weiß man inzwischen, was die griechischen und römischen Schreiber nicht wussten: Die Kelten waren begabte Handwerker und Städtebauer und statteten die Gräber der Fürsten mit hochwertigen und prunkvollen Gegenständen aus. Sie mögen in ihrem Wesen wild und ungestüm gewesen sein, aber sie waren durchaus ordnungsliebend. Die Schüsseln und Schalen, die Armreifen und Waffen der frühen Jahrhunderte beweisen eine Leidenschaft für alles Geometrische, für Rauten und Raster, Schachbrettmuster und Zickzackbänder.

Schlicht, aber ungeheuer variationsreich verziert ist zum Beispiel eine riesige Schale aus Eisen, Gold und Keramik aus dem 7. Jahrhundert v. Chr., die in Gomadingen gefunden wurde. Die goldenen Halsringe und der elegante Dolch, das Gürtelblech und die goldenen Schuhverzierungen, die im Fürstengrab von Eberdingen-Hochdorf gefunden wurden und zu den Höhepunkten der Ausstellung gehören, sind mit zartem, feinstem Dekor überzogen.

Während die sogenannte frühe Hallstattkultur stark geometrisch ist, findet im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr. eine Abkehr von den traditionellen Mustern, Rastern und Rauten statt. Im Übergang zur Latènezeit entwickelt sich ein neuer Kunststil, mit weicheren, fließenderen Formen. Pflanzenornamente tauchen nun auf, mit dem Zirkel werden kunstvolle Bögen und Bogenmuster erstellt, die Formen werden bewegter und organischer. Plötzlich entdeckt man Lotusblüten und sogenannte Palmetten – abstrahierte Palmenwipfel. So hat die Sandsteinstatue, die um 400 v. Chr. entstanden ist und in Glauberg gefunden wurde, ein ungewöhnliches, abstraktes Kreismuster auf dem Rücken.

Unfreundliche Kerlchen mit grimmigem Blick

Durch den Handel hatten die Kelten regen Kontakt zu fremden Kulturen. Sie importierten Geschirr und Wein aus Griechenland und Italien und Bernstein von der Ostsee. Sie waren, wie man heute sagen würde, bestens vernetzt. Aber sie haben, wie die Ausstellung zeigt, die ästhetischen Einflüsse aus dem Mittelmeerraum nicht einfach übernommen, sondern die Impulse stets transformiert. Auf Videoeinspielungen in der Ausstellung kann man schön vergleichen, wie die Kelten zum Beispiel etruskische Ornamente modifizierten.

In der Latènezeit öffnen sich die Kunsthandwerker vor allem einem Motiv, das die Jahrhunderte zuvor fast gänzlich tabu war: der Figur. Die kleinen Pferdchen aus Keramik, die aus dem siebten Jahrhundert stammen, bilden da eine seltene Ausnahme. In der Latènekultur werden immer häufiger menschliche und tierische Figuren dargestellt, aber die Gesichter sind schematisiert, der Blick ist starr. Oft sind es Fratzen und fantastische Fabelwesen. Auf Schnabel- und Röhrenkannen thronen kleine, unfreundliche Kerlchen mit grimmigem Blick und wilden Locken. Auch die Fibeln, Vorläufer der heutigen Sicherheitsnadeln, werden immer aufwendiger gestaltet mit schön modellierten Fabelwesen. Der Funktionalität wegen – schließlich mussten die Fibeln das Gewand halten – biegen und beugen die Dämonen ihre kleinen Körper so artistisch wie kurios.

Durch die Expansion der Römer verschwindet der keltische Stil allmählich, wenn auch nicht ganz. In Großbritannien, Schottland und Irland lebt er sogar noch lange weiter und erreicht im 7. Jahrhundert n. Chr. sogar noch einmal eine letzte Blüte – dort, wo man es am wenigsten vermuten würde: in Evangelienbüchern. Sie entstehen in den Schreibstuben irischer Klöster, sind mit reichhaltigen Buchmalereien und mit keltischen Ornamenten versehen.

Fast beiläufig endet die Ausstellung im Alten Schloss mit einem unspektakulären wie schönen Objekt, einem Holzkistchen, in das keltische Wirbelmotive der Buchmalerei geritzt sind. Es war eine Werkzeugkiste, in der ein englischer Handwerker sein Arbeitsgerät verstaute.