Die Keltenausstellung im Landesmuseum ist nicht nur aus historischer Sicht interessant. Für Besucher gibt es auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Kelten und unserer modernen Gesellschaft zu entdecken.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Noch ist es relativ ruhig in der großen Stuttgarter Kelten-Ausstellung. In den ersten Tagen nach der Eröffnung wähnen sich die meisten Kulturfreunde wohl in der Sicherheit, bis zum letzten Ausstellungstag im Februar 2013 sei ja noch viel Zeit für einen Besuch, während sich überregional die Kunde von der bisher größten Schau zur Kultur dieses bedeutenden europäischen Volksstammes noch nicht verbreitet hat. Glücklich derjenige, der jetzt die sehr ansprechend inszenierten Ausstellungsräume im Kunstgebäude und im Alten Schloss besucht – man ahnt, dass es mit der Ruhe, mit der man all die Funde und Kunstwerke derzeit noch betrachten kann, bald vorbei sein wird.

 

Für den interessierten Laien ist diese Landesausstellung vor allem eine einzigartige Schau der Kostbarkeiten, von Zeugnissen einer Kultur, die den west- und mitteleuropäischen Raum über Jahrhunderte wesentlich geprägt hat. Eigene schriftliche Quellen hat diese Kultur bekanntlich nicht hinterlassen. Fast alles, was wir von ihr wissen oder vermuten können, ist abgeleitet aus den Funden der Archäologen – ein großes, faszinierendes Puzzlespiel. Und dass es wiederum gelungen ist, hier in Stuttgart so etwas wie einen aktuellen Stand der Wissenschaft zusammenzutragen, dokumentiert auch die Konzentration der Arbeit sowie die gute Vernetzung und Kooperation zahlreicher wissenschaftlicher Einrichtungen quer über den Kontinent.

Ertrag großer wissenschaftlicher Anstrengung

„Umfang der Ausstellung: mehr als 1300 Exponate aus vierzehn Ländern von rund 136 Leihgebern“ – so heißt es lapidar im Katalog, und der Laie kann nur ahnen, welcher Aufwand an Organisation hinter einem solchen Projekt steckt. Neben Stuttgart und Bern finden sich auf der Liste der beteiligten Museen Häuser von Schottland bis Bulgarien, von Edinburgh bis Sofia, in den wissenschaftlichen Gremien der Ausstellung haben deutsche, französische, tschechische und Schweizer Experten zusammengearbeitet. Hier zeigt sich mithin auch der Ertrag großer wissenschaftlicher Anstrengungen. Mühen, die vordergründig weder wirtschaftlichen Profit noch großartige gesellschaftliche Innovation in Aussicht stellen. Die im positiven Fall nur einem Zweck dienen: dem gemeinsamen Nachdenken über kulturelle Wurzeln.

Was macht die Faszination archäologischer Ausstellungen für das Publikum aus? Abgesehen vom Glanz, den manche Schmuckstücke, manche golden beschlagenen Waffen ausstrahlen, ist solch eine Schau früher Kulturen ja doch zunächst eine eher spröde Angelegenheit. Aus den Grabfunden häufen sich mehr oder weniger vollständige Töpfe und Teller, an den Steinfiguren fehlt dieses oder jenes Teil, die Unterschiede an Waffen oder Arbeitsgeräten sind vom unbedarften Laien nur mühsam auszumachen. Im Gegensatz zu den großen Kunstschauen späterer Epochen, wo sich uns komplette Bilder- und Ideenwelten erschließen, sehen wir in den Ausstellungen der Archäologen fast immer nur Stückwerk. Selbst wo uns ein Schmuckstück oder eine Waffe einmal ganz heil begegnet, wirkt das Stück wieder seltsam vereinzelt, aus einem größeren, unsichtbar bleibenden Zusammenhang gerissen. Sind das nicht alles denkbar schlechte Voraussetzungen, um, abgesehen vom Kreis ohnehin Eingeweihter, neugierige Ausstellungsbesucher anzulocken? Was suchen wir bei den Kelten?

Alte und moderne Kultur sind über 2000 Jahre verbunden

Man kann zweierlei mutmaßen. Zum einen ist es natürlich das halbwegs Kriminalistische, die Arbeit am Stückwerk, das Kombinieren und Mutmaßen, was ganz gehörig zur Faszination der Archäologie beiträgt. Wo der Laie draußen nur Landschaft sieht, wittert der kundige Wissenschaftler sofort   verschüttete Spuren. Das hat ein bisschen was vom „Tatort“ und von der Suche nach den „Tätern“ – auch wenn sich nur die Wenigsten vorstellen können, welcher Aufwand und welche Sorgfalt betrieben werden müssen, um über Jahre hinweg die Basis etwa für eine Kelten-Ausstellung wie jetzt in Stuttgart zu schaffen.

Womöglich spielt aber noch ein anderer Umstand eine mindestens ebenso große Rolle: Bei aller Verwunderung über die Unterschiede im Leben einst und jetzt gibt es beim Besuch solcher Ausstellungen doch auch immer die kleinen und großen Déjà-vus, die frappierenden Ähnlichkeiten, wenn nicht gar Gemeinsamkeiten, die wir über alle Zeitsprünge hinweg zu erkennen glauben. Die Spielsteine und der kleine Würfel, die wir da in einer Vitrine sehen – ist es nicht erstaunlich, wie solche Grundformen des Spiels weit über 2000 Jahre hinweg alte und moderne Kultur miteinander verbinden? Oder die schlichte Schönheit eines vielfach verschlungenen Ornamentes, die unseren multimedial so vielfach beanspruchten und übersättigten Augen heute offenbar immer noch so schmeichelt wie den Menschen damals: Ist es nicht erstaunlich, jenseits aller falschen Volkstümelei in solchen Momenten plötzlich den Kelten tief in uns zu entdecken?

Differenz und Gemeinsamkeit – beides lässt sich in der Stuttgarter Keltenschau vielfach erleben, eben nicht nur in irgendeiner Theorie, sondern ganz praktisch. Der große Gewinn, den eine sich immer weiter differenzierende Gesellschaft aus den großen kulturhistorischen Ausstellungen unserer Museen ziehen kann: es gibt eine Kontinuität der Lebenswelten, die unendlich weit über das hinausgeht, was unsere jeweiligen Alltagsentscheidungen gerade bestimmt. Sicher, deswegen will und muss dieser Alltag dennoch gemeistert sein. Aber er steht eben doch in einem weitaus größeren Zusammenhang. Das lehrt sowohl Tatkraft als auch Gelassenheit. Und letztlich könnten wir einen Mix von beidem gut gebrauchen. Das ist unser aller Gewinn aus den Anstrengungen der Wissenschaft.