Kendrick Lamar ist der größte Popstar unserer Zeit. Bei seinem Auftritt in Köln am Donnerstagabend unterhält er ganz alleine, ohne Live-Band, 13 5000 Zuschauer und macht dabei Hoffnung auf ein anderes, auf das alte Obama-Amerika.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Köln - Jede Zeit hat ihre Popstars. Rapper Kendrick Lamar, der derzeit durch Europa tourt und am Donnerstagabend in Köln zu Gast war, gilt als wichtigster Popmusiker der Stunde, er wird bereits mit Michael Jackson und James Brown verglichen. Brown war Aufklärer und Wegbereiter der afroamerikanischen Popkultur und führte die USA vom Schwarz-Weiß-Bild in die musikalische Funk-Farbe. Der „King of Pop“ war der Star des unbeschwerten MTV-Zeitalters, in dem warmer Konsum den kalten Krieg ablöste.

 

Kendrick Lamar wiederum ist der passende Star des Hier und Jetzt, einer Zeit, deren Status „Es ist kompliziert“ lautet. In seinem gespaltenen Heimatland herrscht ein Präsident gewordener Reality-TV-Darsteller, der zu den Wunden der USA wie Rassismus oder Waffengewalt weniger als nichts sagt, sondern stets das Falsche. Als musikalisches Sprachrohr der „Black Lives Matter“-Bewegung, die sich gegen Gewalt gegen Schwarze einsetzt, begleitet Lamar die Auseinandersetzung mit Trump nie plump und direkt, sondern indem er die afroamerikanische Bewegung dazu aufruft, sich auf ihre eigenen Stärken zu besinnen.

Obwohl Lamars Werk mitunter sperrig ist, liefert es verblüffend logische Lösungen

In einer Zeit, in der einfache Antworten kaum als Lösungen für immer komplexer werdende Krisen taugen, erstaunt der Erfolg Lamars, der aus dem rap-historisch wichtigen Ghetto Compton stammt, weil sein Werk eigentlich zu sperrig ist, um beim ersten Hören hängenzubleiben. Man muss schon genau hinhören, um verblüffend logische Lösungsvorschläge herauszufiltern.

Auf seinem Album „Damn“, das zum allgemeinen Erlösungswunsch passend am Karfreitag 2017 erschienen ist, schlägt der bekennende Christ im Song „Pride“ vor, alle Religionen zu einer einzigen zusammenzulegen. Damit wäre die Menschheit einen großen Schritt weiter: Für viele sinnlose Kriege müssten viele neue Vorwände erfunden werden. Der 30-jährige Lamar hat das Momentum auf seiner Seite, um einen überstrapazierten Begriff aus der Sportberichterstattung zu borgen. Auf das hymnisch gefeierte Album „Damn“ folgte ganz aktuell der von ihm kuratierte Soundtrack zum Film „Black Panther“, dessen Afrofuturismus als eine Art „The Shitholes strike back“ interpretiert wird, als eine filmische Antwort auf Trumps beschämende Herabwürdigung afrikanischer Länder als „shitholes“, als Dreckslöcher.

Lamars Schaffen kann wie ein Zurückwünschen der Obama-Ära gelesen werden

Überhaupt kann Lamars Schaffen auch wie ein großes Zurückwünschen der Obama-Ära interpretiert werden. Sein vorletztes Album „To Pimp a Butterfly“ mit seinen Jazz-Anleihen und der Verbeugung vor einem längst vergessenen (G-)Funk samt James-Brown-Sounds brachte ihm 2015 einen Grammy ein, eine Einladung ins Weiße Haus und einen Platz in der Spotify-Playlist von Barack Obama. Das passt, denn Lamars Schaffen hat in seiner Integrationskraft etwas Obamahaftes.

Im Vorprogramm darf in Deutschland James Blake auftreten, der mit seinem Elektro-Pop für Kunststudenten den oftmals engstirnigen Kosmos von Hip-Hop-Fans sprengt. „Open-minded“ heißt in der Sprache des Rap die Fähigkeit hat, über den eigenen Tellerrand zu gucken, und genau diese Haltung zeigen Lamar und 13 500 dankbare Besucher in Köln, die bereits jubeln, als ein Roadie vorab die Bühne fegt. Wir nennen es kleine Kehrwoche, Bitches.

Lamar gelingt das Kunststück, die riesige Halle mit seiner eigenen Größe zu füllen

Und dann beginnt ein eindrucksvoller Abend, an dem Lamar in knapp eineinhalb Stunden ein beinahe unmögliches Kunststück gelingt: Er bestreitet ein ganzes Konzert einfach mit seiner eigenen Größe – keine Band, keine Backgroundtänzer, nur Lamar reduziert auf seine Essenz. Und am Ende staunt man, wie das in einer amerikanisch anmutenden Mehrzweckhalle gelingt, in der es draußen nach Popcorn und drinnen nach Gras duftet.

Kendrick Lamar schlüpft in die Kunstfigur Kung Fu Kenny, mit deren übermenschlichen Kampfkunst-Kräften er die 13 500 Zuschauer zielstrebig durchs Konzert führt. Dabei liefert sein Gewand, einer Mischung aus Poncho, Bademantel und Kung-Fu-Dress, auch modische Impulse.

Hier kann einer ohne Band bestehen

Das Experiment der Reduktion gelingt aus zwei Gründen. Zum einen ist Lamars Live-Stimme so gut, dass sie spielerisch gegen Playback-Peinlichkeiten besteht. Doppelte Kraft ganz ohne Live-Musiker – beachtlich. Zum anderen bezieht Lamar, so oft es geht, das Publikum als weitere Stimme ein. Wie man angesichts der komplexen Texte von Lamar als durchschnittlicher Rheinländer so textsicher sein kann, gehört zu den großen Mysterien unserer Zeit.

Bemerkenswert unverkrampft geht Lamar mit der geballten Handy-Kraft seines Publikums um: Mal dirigiert er die Smartphones zu einem Lichtermeer, ansonsten ignoriert er sie einfach. Das führt zu rührenden Momenten, wenn etwa ein junger Fan beim Song „Loyalty“ seinen Freund via Video-Telefonie zuschaltet, damit auch dieser in den Genuss des Live-Moments kommt. So geht digitale Loyalität 2018.

Ein Finale zwischen Karaoke und Hoffnung

Zur Dramaturgie eines beängstigend gelungenen Konzerts ohne Längen gehört ein furioses Finale, das Lamar damit erreicht, dass er seinen größten Hit „Humble“ einfach mehrmals hintereinander spielt. Dieser Kniff, den Jay-Z und Kanye West bei einem Auftritt in Paris im Jahr 2012 einmal derart auf die Spitze trieben, indem sie ihren Song „Niggas In Paris“ einfach zwölfmal hintereinander aufführten, kann ja im schlimmsten Fall die eigene Redundanz aufdecken.

Bei Lamar dagegen ist dieses Spiel interaktiv angelegt als eine Art irre Kung-Fu-Kenny-Karaoke: Das Publikum rappt den Song immer ausdauernder mit, am Ende werden es sieben Versuche sein, während Lamar mal schweigt und staunt und dirigiert und dann wieder mitrappt. Beim tausendfach intonierten Refrain „be humble, sit down“, zu Deutsch etwa „sei bescheiden und setz dich“, fühlt man sich dann tatsächlich „humble“ im Sinne von demütig und noch etwas ganz anderes: Hoffnung. Hoffnung auf das Vor-Trump-Amerika, das Obama- Amerika, dessen Stimme Kendrick Lamar immer mächtiger wird.