Die Grün-Rote Koalition in Baden-Württemberg will, dass Polizisten bei Demonstrationen mittels einer Nummer identifiziert werden können. Das Vorhaben stößt innerhalb der Polizei auf erbitterten Widerstand.

Stuttgart - Glaubt man den Berufsverbänden der Polizei, hantiert die grün-rote Landesregierung mit Teufelszeug. „Ich bin total gegen eine Kennzeichnungspflicht“, sagt Joachim Lautensack, der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft im Beamtenbund (DPolG). Auch die berufsständische Konkurrenz steht in der Kritik nicht zurück: „Wir sind in dieser Frage kompromisslos“, assistiert Rüdiger Seidenspinner von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Beide – Lautensack wie Seidenspinner – drohen mit einer Klage, sollte Innenminister Reinhold Gall (SPD) das Vorhaben aus der Koalitionsvereinbarung aufgreifen und eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten bei Demonstrationen und anderen Großlagen einführen – in individualisierter, aber anonymisierter Form, wie die grün-roten Koalitionäre zu Beginn der Legislaturperiode vereinbart hatten. Dies ist etwa in Form einer Ziffern-Buchstaben-Kombination auf der Uniform möglich. Sie lässt eine nachträgliche Identifizierung der Polizisten zu.

 

Die Kennzeichnungspflicht haben die Grünen in den Koalitionsvertrag gehoben. Als er im Frühjahr 2011 verhandelt wurde, befand sich die Partei noch im Banne der Auseinandersetzung um Stuttgart 21. Allein der Polizeieinsatz im Schlossgarten hatte Hunderte Anzeigen zur Folge: gegen Polizisten wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt, gegen Demonstranten unter anderem wegen der Anschuldigung des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Im vergangenen Herbst, drei Jahre nach dem „schwarzen Donnerstag“, zog die Staatsanwaltschaft Stuttgart Bilanz. Demnach richteten sich von insgesamt 515 Verfahren 228 gegen unbekannte Polizisten (156) und Projektgegner (72). Viele Demonstranten berichteten von einem Gefühl der Ohnmacht angesichts der behelmten und in Kampfanzüge gewandeten, völlig entindividualisiert auftretenden Staatsmacht.

Staatsanwaltschaft: Kennzeichnung nicht unbedingt die Lösung

Allerdings weist die Staatsanwaltschaft Stuttgart darauf hin, dass eine Kennzeichnung keineswegs in jedem Fall des Rätsels Lösung bedeute. Verfahrenseinstellungen mangels Identifizierung könnten nicht generell auf eine fehlende Kennzeichnung zurückgeführt werden. Auch eine Nummer muss erst einmal entdeckt und abgelesen werden. Der Grünen-Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand jedoch nennt die Kennzeichnung einen „Baustein für eine bürgernahe Polizei“. Es gehe um Transparenz, nicht aber darum, Misstrauen gegen die Polizei zu streuen. Im Gegenteil: ohne Kennzeichnung gerate bei Fehlverhalten eines Polizisten immer gleich die ganze Einheit unter Verdacht.

Der GdP-Landeschef Seidenspinner widerspricht. Schon jetzt sei es möglich, bei Großeinsätzen mittels der Markierungen auf der Uniformrückseite von der Hundertschaft über den Zug bis hinunter zur Gruppe zu klären, wer welches Handeln zu verantworten habe. Letztlich lasse sich auf einen Kreis von sechs Beamten eingrenzen, wer was gemacht habe. „Mir ist kein Fall bekannt, bei dem man bei Verfehlungen nicht herausbekam, wer das war.“

Polizisten werden bei Großeinsätzen fotografiert und gefilmt

Außerdem verfügten die Beamten bereits über ein Namensschild, könnten aber selbst bestimmen, wann sie es verwenden. Seidenspinner sagt: „Wenn ich als Polizist einen Verkehrsunfall aufnehme, ist das kein Problem. Ich weiß, wie der Bürger heißt, denn ich bekomme seine Papiere. Dann darf der Bürger auch wissen, wie ich heiße. Aber wenn ich im Rotlichtviertel kontrolliere oder bei einem Fußballspiel eingesetzt werde, dann geht es niemanden etwas an, wer ich bin.“

Bei größeren Einsätzen sähen sich Polizisten inzwischen aus allen Blickwinkeln fotografiert und gefilmt – die Handykameras machten es möglich. Diese Videos und Fotos seien dauerhaft im Internet abrufbar, was die Polizisten dem Risiko der „Verfolgbarkeit bis ins Private“ aussetzte. Wäre Seidenspinner Lehrer und nicht Polizeigewerkschafter, dann schriebe er wohl unter die Passage im Koalitionsvertrag zur Kennzeichnungspflicht: Thema verfehlt. Er sagt: „Die Gewalt gegen Polizisten nimmt immer mehr zu. Will ich sie gegen Gewalt schützen, dann kennzeichne ich sie nicht.“

Innenminister Gall hat es mit Kennzeichnungspflicht nicht eilig

Das wird vielerorts in Europa anders gesehen. In zahlreichen Ländern gibt es eine Kennzeichnungspflicht. Und auch in Deutschland breitet sie sich aus. Berlin und Brandenburg gingen voran, Rheinland-Pfalz und Hessen folgen. Aus Brandenburg sind gleich zwei Besonderheiten zu vermelden. Zum einen ist die Kennzeichnungspflicht dort sogar gesetzlich geregelt, zum anderen war es die CDU, die im Landtag den Anstoß gegeben hatte. Gemeinsam mit SPD, Linkspartei und Grüne wurde das Gesetz Anfang 2013 in Kraft gesetzt: Namensschilder für die Streifenpolizisten, Nummern für die Bereitschaftspolizei. Aber auch bei der brandenburgischen Polizei rührte sich Widerstand, derzeit sind noch die Klagen zweier Polizisten vor dem brandenburgischen Verfassungsgericht anhängig.

Die Sorge vor Nachstellungen, Anzeigen und Bedrohungen habe sich als „völlig überzogene Schwarzmalerei“ erwiesen, berichtet Ingo Decker, der Sprecher des Potsdamer Innenministeriums. Natürlich gebe es Anzeigen gegen Beamte, aber neu sei das nicht. Ein Zusammenhang mit der Kennzeichnungspflicht sei nicht ersichtlich. „Wir haben den Eindruck“, sagt Decker, „dass die Akzeptanz steigt.“

So ganz eilig hat es Baden-Württembergs Innenminister Gall mit der Kennzeichnungspflicht indes nicht. Er werde das Projekt noch in dieser Legislatur anpacken, doch gebe es Vordringlicheres, sagte er jüngst. Im Ministerium wird darauf verwiesen, man wolle das Ergebnis der Verfassungsbeschwerden in Brandenburg abwarten. Tatsächlich aber dürften Galls gebremstem Elan andere Motive zugrunde liegen: Mit der Polizeireform hat der Innenminister schon genügend Ärger am Hals, da sehnt er sich nicht nach noch mehr Problemen. Außerdem stehen im November bei der Polizei Personalratswahlen an. Unschwer lässt sich vorhersagen, dass die beiden heftig konkurrierenden Polizeigewerkschaften sich bis dahin in ihrer Abscheu gegen die Kennzeichnungspflicht überbieten würden.