Viele Mitglieder der Gruppe Kernen 21 werden bei der 200. Montagsdemonstration gegen Stuttgart 21 dabei sein.

Stetten - Beim letzten Gruppentreffen vor der 200. Montagsdemo stand Stuttgart 21 nicht im Mittelpunkt. Die Gespräche am Dienstag im Vereinsheim des TV Stetten drehten sich um Busse und Bahnen in der Region, fehlende Anschlüsse im ländlichen Kreis oder den Wunsch der Stettener nach einer direkten Busverbindung zur S-Bahnstation Beilstein. Der Themenkreis hat sich erweitert, doch der Anlass, warum es „Kernen 21 – den Verein zur Förderung eines zukunftsfähigen Personennahverkehrs“ überhaupt gibt, ist der umstrittene Tiefbahnhof in der Landeshauptstadt. Noch immer gehen die Gegner jeden Montag auf die Straße, und zur Jubiläums-Demo werden auch die Kernener wieder in großer Zahl nach Stuttgart fahren.

 

Sichtbarer Protest sei besser als ein Mausklick im Internet

„Uns wird oft vorgeworfen, dass wir mit dem Protest zu spät angefangen haben, ich will mir nicht sagen lassen, wir hätten zu früh aufgehört“, sagt Michael Becker. Für den Stettener ist der sichtbare Protest von Menschen auf der Straße immer besser, als ein Maus-Klick für eine Online-Petition im Internet. „Wer bei jedem Wetter in die S-Bahn hockt und nach Stuttgart fährt, zeigt körperlich, mir stinkt’s, ich bin dagegen.“ Michael Becker gefällt auch, dass er und seine Mitstreiter schon lange nicht mehr nur „Demo-Konsumenten“ sind, sondern die Protestveranstaltungen mitgestalten. „Bei uns gibt es keine Einbahnstraßenkommunikation, wir tragen Sachen hin und selber vor.“ In Kernen seien sie zudem über den Widerstand gegen Stuttgart 21 hinaus weitergewachsen. „Wir haben ein allgemeines Interesse am öffentlichen Personennahverkehr, an der Behindertenfreundlichkeit, der Taktung von Bussen.“ Außerdem mag Becker die Leute, die er auf der Straße und in der K-21-Gruppe trifft. „Im TV-Heim meinten schon mal welche, warum wir so viel lachen, wir hätten doch die Volksabstimmung verloren.“

Jürgen Horan geht regelmäßig auf die Montagsdemos, die er schon viermal moderiert hat. Als er oben auf der Bühne gestanden sei und hinunter geblickt habe, habe er eine „große Familie gesehen, ein gut situiertes Publikum aus der gebildeten Mittelschicht“. Natürlich seien auch ein paar „Berufsdemonstranten“ darunter, die gegen alles und jeden auf die Straße gingen, aber die seien leicht zu erkennen und eine kleine Minderheit. Er habe stattdessen im Widerstand viele interessante Menschen kennen gelernt. „Bei mir hat das politische Bewusstsein über den Bahnhof gesiegt“, sagt der Pensionär, der früher Betriebsrat war.

Seitdem er sich im Widerstand gegen S 21 einbringt, habe er noch mehr gelernt, hinter die Kulissen zu blicken, zu erkennen, wie die Politik funktioniert, sagt Jürgen Horan. „Stuttgart 21 war wie ein Brennglas. Es hat mir die Augen geöffnet, ich bin aufgeweckt worden. Plötzlich hinterfrage ich alles, ich bin ein kritischer Bürger geworden und zum Glück nicht der einzige.“ Er sei kein „Müsli-Riegel“, der die Welt verändern wolle, sagt der Stettener: „Aber ich sehe auch, so kann es nicht weitergehen.“

Bei Demos sind interessante Treffen mit der Polizei inklusive

Helga Schnurrbusch stand schon mitten drin im Polizeikessel am Gebhard-Müller-Platz, und die Seniorin ist keinen Zentimeter zurückgewichen. „Mir geht es um Grundsätzliches, um den Umgang mit unserer Umwelt und der Natur.“ Dafür lässt sich die 74-Jährige auch schon mal von einem Ordnungshüter am Arm packen. Ihre Mitstreiterin Irmela Grämkow hat auch andere Begegnungen mit der Staatsgewalt gehabt. „Als wir im Hauptbahnhof einer Mauer von Polizisten gegenüber standen, hat mir einer zugezwinkert und plötzlich für eine Sekunde seinen Kragen gelupft. Drunter war einer unserer Widerstands-Buttons. Er war also einer von uns.“ Beim Stichwort Button fällt Hanspeter Ruff, dem Diplom-Ingenieur im Ruhestand, der beim Musikverein Stetten das Flügelhorn spielt, auch noch etwas ein, was ihn seit Jahren bei der Stange hält: „Ich liebe diese unglaubliche Kreativität in unserem Widerstand.“