Korruption in der Kernforschung? Die Staatsanwälte sehen den Verdacht gegen Mitarbeiter des Karlsruher Zentrums und einer Firma erhärtet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Karlsruhe - Die Korruptionsaffäre beim einstigen Kernforschungszentrum Karlsruhe wird aller Voraussicht nach vor Gericht aufgearbeitet. Nach mehrjährigen Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Anklage gegen vier Beschuldigte erhoben, wie ein Behördensprecher bestätigte. Sie verdächtigt zwei leitende Mitarbeiter des im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) aufgegangenen Forschungszentrums der Bestechlichkeit und zwei Repräsentanten eines schwedischen Entsorgungskonzerns der Bestechung. Das Landgericht Karlsruhe muss nun entscheiden, ob es die Anklage zulässt und das Hauptverfahren eröffnet.

 

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft geht es um insgesamt vier Vorgänge. In zwei Fällen habe ein Repräsentant der Unternehmensgruppe, dessen Tochterfirma in Pforzheim residiert, einem Manager des Forschungszentrums jeweils einen mittleren fünfstelligen Betrag zukommen lassen. Die Zahlungen seien im Blick auf die geschäftliche Beziehung gewährt worden, aber nicht durch Leistungen begründet gewesen. Der gleiche Firmenvertreter habe den zweiten Manager zu einem "durchaus werthaltigen Essen" eingeladen; dieser habe von dem zweiten Repräsentanten zudem einen niedrigen fünfstelligen Betrag als "vermeintliches Honorar für eine nicht erbrachte Beratungsleistung" erhalten.

Mit den Zuwendungen wollten die Unternehmensvertreter laut Staatsanwaltschaft Einfluss auf Entscheidungen der beiden Manager nehmen oder bereits getroffene Entscheidungen belohnen. Sie hätten offensichtlich der "Klimapflege" dienen sollen, sagte der Sprecher. Wegen der besonderen Bedeutung des Falles wurde die Anklage bei einer Großen Strafkammer am Landgericht erhoben. Die Beschuldigten bestreiten die Zahlungen dem Vernehmen nach nicht, wohl aber einen unlauteren Hintergrund. Beim KIT hält man die Vorwürfe offenbar für gravierend: "Nach Kenntnis der Begründung für die Anklageerhebung" sei den beiden leitenden Mitarbeitern gekündigt worden, sagte eine Institutssprecherin der Stuttgarter Zeitung. Während der Ermittlungen waren sie bereits suspendiert. Auch bei der schwedischen Unternehmensgruppe soll es personelle Konsequenzen gegeben haben.

Kein materieller Schaden für das KIT

Das Verfahren war durch anonyme Anzeigen aus den Jahren 2005 und 2007 ausgelöst worden. Erst im zweiten Anlauf brachte die Prüfung jedoch Ergebnisse. Nach Monaten verdeckter Ermittlungen gab es schließlich Durchsuchungen im Forschungszentrum und in Privatwohnungen, bei denen umfangreiches Material beschlagnahmt wurde. Bekannt wurden die Vorwürfe durch Medienrecherchen im Jahr 2008, kurz vor dem feierlichen Zusammenschluss der Universität Karlsruhe und dem Forschungszentrum zum KIT.

Der Korruptionsverdacht galt als besonders brisant, weil der betroffene Geschäftsbereich für Abbau und Entsorgung ehemaliger nuklearer Versuchseinrichtungen zuständig ist. Es gebe aber keine Unregelmäßigkeiten im Umgang mit atomarem Material, hatten die Behörden umgehend betont. Offen blieb dagegen zunächst, ob ein Zusammenhang mit der enormen Kostensteigerung beim Rückbau der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe besteht. Statt 1,1 Milliarden Euro soll dieser nach früheren Schätzungen 2,6 Milliarden Euro kosten. "Nach unserer Kenntnis besteht keinerlei Zusammenhang", sagte die KIT-Sprecherin jetzt der StZ. "Nach mehrmaliger sorgfältiger Überprüfung" sei man zudem "überzeugt, dass dem KIT kein materieller Schaden entstanden ist".

Die Vorgänge beim Forschungszentrum hatten in den vergangenen Jahren Landtag und Bundestag beschäftigt. Auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Franz Untersteller hatte die damalige Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) 2008 nur knapp zu den Korruptionsvorwürfen Auskunft gegeben. Sie berichtete unter anderem, dass die beiden Manager Aufträge bis zu einem Volumen von 500.000 Euro vergeben durften. Besondere Maßnahmen zur Vorbeugung und Kontrolle von Korruption habe es für den Stilllegungsbereich nicht gegeben. Für das gesamte Zentrum gelte bei Beschaffungen das Vieraugenprinzip, referierte Gönner; leitende Mitarbeiter würden zudem in den jährlichen Personalgesprächen sensibilisiert.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl erkundigte sich im vorigen Jahr, inwieweit in Karlsruhe Aufträge an die schwedische Unternehmensgruppe vergeben wurden. Die Auskunft des Forschungsministeriums: für den Rückbau der Wiederaufbereitungsanlage habe sie bis 2005 Leistungen von 3,8 Millionen Euro erbracht, in anderen Bereichen von 14,3 Millionen Euro - zusammen also gut 18 Millionen Euro. Unter anderem stellte der Entsorgungskonzern Personal für den Srahlenschutz. Die erst jetzt bekannt gewordene Anklage wurde bereits zu Jahresbeginn erhoben. Bis zu einer Hauptverhandlung vor dem Landgericht Karlsruhe kann es gleichwohl noch Monate dauern: Die zuständige Kammer sei stark überlastet, verlautet aus der Justiz.