Kerstin Andreae, Spitzenkandidatin der Grünen, sieht große Chancen für ihre Partei in ihrem Stammland. 20 Prozent seien bei der Bundestagswahl im September durchaus drin, schätzte Andreae beim Redaktionsbesuch in der Stuttgarter Zeitung.
Stuttgart - Kerstin Andreae steckt die Ziele hoch. 20 Prozent könnten in Baden-Württemberg für ihre Partei drin sein, schätzte die Spitzenkandidatin der Südwest-Grünen beim Redaktionsbesuch der Stuttgarter Zeitung mal so eben. Bei der Bundestagswahl 2009 kamen die Grünen im Land auf 13,8 Prozent.
Wie auch immer die Zahlen aussehen werden, das Selbstbewusstsein ist groß: „Wir wollen in Baden-Württemberg das stärkste Ergebnis der Länder bekommen.“ Andreae selbst strebt nach dem Direktmandat in Freiburg, trifft dort aber auf den favorisierten Gernot Erler, der die baden-württembergischen Sozialdemokraten in den Wahlkampf führt. Chancen direkt in den Bundestag einzuziehen, sieht Andreae auch für ihren Parteivorsitzenden Cem Özdemir in Stuttgart.
Grüne wollen Merkels Strategie entlarven
In Freiburg ist der Wettstreit um die Stimmen bereits in vollem Gange. Im Land werde der Wahlkampf wohl erst im September Fahrt aufnehmen. Bisher „zieht die Strategie von Merkel, das ganze möglichst flach zu halten und abtropfen zu lassen“. Aus keiner Schlappe der Regierung – von der Abhöraffäre bis zum Drohnendebakel – kann die wahlkämpfende Opposition Kapital schlagen. „Die Strategie Merkels geht auf, alles was unangenehm ist, sammelt sie ein und verschiebt es auf den St. Nimmerleinstag.“ Andererseits verspreche sie „jedem alles. Wie das finanziert werden soll, davon ist keine Rede“. Jetzt sei es an den Grünen, die Strategie zu entlarven.
Durch den Veggie-Day zur Ernährungsdebatte
Trotz des schleppenden Wahlkampfauftakts ist Andreae zuversichtlich: „Wir haben sechs Wochen Zeit.“ Bisher sind die Grünen eher mit unpopulären Steuererhöhungen und dem „Veggie-Day“ für öffentliche Kantinen präsent. Die emotionsgeladene Debatte um den fleischlosen Tag gefällt Andreae allerdings immer besser. Nichts habe das zu tun mit Bevormundung der Bürger und Besserwisserei, derer sich die Grünen gelegentlich verdächtig machen. „Wir haben das Thema Ernährung gesetzt, wir reden über Massentierhaltung, über bäuerliche Landwirtschaft und die Frage globaler Verantwortung. Das ist eine Debatte, die sein muss .“
Erklärungsbedürftiger sind da schon eher die Steuererhöhungsvorschläge ihrer Partei, das bestreitet die grüne Haushaltspolitikerin nicht. Doch ließen sich Unternehmer durch Erklärungen überzeugen sagt die Wahlkämpferin und setzt an: der höhere Einkommenssteuertarif greife für Betriebe nur dann, wenn die Gewinne für den privaten Konsum entnommen würden. „Das Konzept der Vermögensabgabe ist ganz anders als das der Vermögenssteuer. Betriebsvermögen unter fünf Millionen Euro sind gar nicht betroffen.“ Bei der Erbschaftssteuer sei „natürlich darauf zu achten, dass die Unternehmensnachfolge nicht gefährdet wird“.
Ambitioniertes wirtschaftspolitisches Paket
Andreaes Bemühungen sind bemerkenswert, zumal sie in der Steuerdebatte ihrer Partei zusammen mit Winfried Kretschmann anderer Ansicht war, als etwa der Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Inzwischen zeigt sich Andreae ganz zufrieden: „Wir haben erreicht, was wir wollten. Im Programm steht, die Gesamtbelastung wird betrachtet und die Investitionsfähigkeit wird berücksichtigt.“ Sie gesteht zu, SPD wie Grüne hätten wirtschafts- und finanzpolitisch ein „ambitioniertes Paket“ geschnürt.
Auch wenn die Steuererhöhungsdebatte gegenwärtig mit SPD und Grünen verbunden werde, ist sich die Kandidatin sicher: „Wir werden nach der Wahl mit der Problematik der Steuererhöhungen konfrontiert werden, egal, wer regiert.“ Sie verweist auf die Schuldenbremse, auf die Notwendigkeit, die Ausgaben zu drosseln und Investitionsstaus und macht sich Sorgen, „dass eine neue Regierung die Mehrwertsteuer erhöht, weil das am einfachsten ist“. Aber das sei eben die „sozial ungerechteste Steuererhöhung“.
Wahlhelfer Kretschmann
Andreae kämpft um jede einzelne Stimme. Eine zentrale Rolle soll dabei Winfried Kretschmann spielen. „Er macht als regierender Ministerpräsident deutlich, wenn Grüne regieren, kommt ein frischer Wind und es ändert sich was“, sagt die Bundestagsabgeordnete. Die Wirtschaftspolitikerin nimmt Kleinunternehmer, Selbstständige und die Kreativwirtschaft in den Blick. Mit Stimmen aus Mittelstand und Handwerk hätten die Grünen die Landtagswahl in Baden-Württemberg gewonnen. In diesem Wirtschaftszweig sieht Andreae mögliche Zugewinne für die Grünen, die nicht zu Lasten der SPD gehen würden.
Frauenpolitik nach grüner Art
Nicht zu vergessen, die Frauen. Da platziert Andreae genüsslich einen Seitenhieb auf die CDU. Habe diese im Südwesten doch eigens das Projekt „Frauen im Fokus“ gestartet, um ihre Defizite bei den Wählerinnen auszugleichen. Bei den Kandidatinnen wirke sich das nicht aus. Nur drei Frauen werden es bei der Landes-CDU wohl in Bundestag schaffen. „So geht Frauenpolitik nicht“, höhnt die Politikerin. „Es geht so wie bei den Grünen, mit der Quote.“
Das Ziel steht: „Wir kämpfen ganz klar für Rot-Grün. Wir wollen den politischen Wechsel.“ Sollte es nicht reichen, setzt die Freiburgerin auf Pragmatismus: „Ich würde sowohl mit der CDU als auch mit der Linken reden. Entscheidend ist, was im Koalitionsvertrag steht.“ Dafür jedoch sieht Andreae „in beiden Fällen hohe Hürden“. Insbesondere die Vorschläge der Linken zur Abschaffung der Bundeswehr und dem Ausstieg aus der Nato seien, „national und international kein gangbarer Weg“.
Zum zweiten Mal ganz vorn
Kerstin Andreae führt die Liste der baden-württembergischen Grünen bereits zum zweiten Mal an. Bei der Bundestagswahl 2009 bildete sie zusammen mit Fritz Kuhn das Spitzenduo, dieses Mal heißt das baden-württembergische grüne Führungstandem Andreae und Cem Özdemir.
Geboren in Schramberg lebt die 44 Jahre alte Volkswirtin in Berlin und Freiburg. Die Mutter von drei Kindern ist seit 1990 Mitglied der Grünen. Seit 2002 ist sie Abgeordnete für den Wahlkreis Freiburg, im Februar 2012 wurde sie in der Nachfolge von Fritz Kuhn stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion.