Mit dem Kesselhof entsteht derzeit Stuttgarts erstes Wohnprojekt nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats. 15 Menschen sollen bald in den selbstverwalteten Häusern leben. Die Miete? Unter dem Mietspiegel. Ein Besuch auf der Baustelle.
Botnang - Mit Hammer und Meisel haut die zierliche Frau die weißen Fliesen in der Toilette von der Wand. Eigentlich findet Dagmar Häfele, dass die Fliesen noch ganz okay aussehen. Unnötigen Müll produzieren möchte sie nicht, doch die Toilette im zweiten Stock des Hinterhauses war nicht vollständig gefliest. Zudem waren der Rest der Wände pink gestrichen, eine Diskokugel baumelte von der Decke. Das ungewöhnliche Interieur passt nicht wirklich zu den neuen Bewohnern des Kesselhofs, wenn auch die künftige Wohngemeinschaft selbst ungewöhnlich sein wird.
Es ist Samstag, Baustellentag im Botnanger Kesselhof. Er liegt waldnah und ruhig an der Sommerhaldenstraße. Unauffällig reiht sich das Vorderhaus zur Straße in die Wohngegend ein. Über einen geräumigen Hof geht es zum dreistöckigen Hinterhaus. Es wird gehämmert und gebohrt. Doch hier erledigen nicht nur professionelle Handwerker ihren Job, sondern auch Bewohner des Kesselhofs, jene die es werden wollen aber auch Freiwillige, die einfach mit anpacken, weil sie das, was hier entsteht, für unterstützenswert halten. In dem Häuserkomplex werden circa 15 Menschen gemeinsam wohnen. Im unrenovierten Vorderhaus lebt bereits eine Handvoll. Ist das hintere Doppelhaus im November fertig, werden sie dort einziehen und das Vorderhaus sanieren. Sie werden nicht in klassischen Wohneinheiten leben. Abgesehen von einem eigenen Zimmer, teilt man sich Bäder, Küche und großzügige Gemeinschaftsräume. Gemeinsam Leben ist hier Programm.
Erstes Projekt dieser Art in Stuttgart
Das Wohnprojekt funktioniert nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats, das deutschlandweit an rund 120 ähnlichen Projekte beteiligt ist. Ziel ist es, Immobilien dem spekulativen Wohnungsmarkt zu entziehen, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und diesen als Gemeineigentum selbst zu verwalten. Für Stuttgart ist es das erste Projekt dieser Art. „Derzeit liegt die Miete bei 10,54 Euro“, sagt Karin Eizenhöfer, eine der Initiatorinnen. Der Mietpreis liegt unter dem Botnanger Mietspiegel. Teurer wird die Miete nicht, allenfalls günstiger. Das haben sie zu Beginn festgelegt. „Wir hoffen, wir bekommen sie noch unter zehn Euro“, sagt sie.
Das Modell funktioniert wie folgt: Es gibt einen Hausverein, den Kesselhaus e.V., und eine GmbH, die Bohaus GmbH. Gemeinsam besitzen sie die Immobilie. Mitglieder des Hausvereins sind die Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnprojekts. Die Bohaus GmbH gehört dem Hausverein – und damit den Bewohnern – sowie dem Mietshäuser Syndikat als den beiden einzigen Gesellschaftern. Der Hausverein hält knapp über 50 Prozent und das Syndikat knapp unter 50 Prozent. Die Miete zahlen sie also an sich selbst. Um das Wohnprojekt finanziell zu realisieren, haben die Stuttgarter den Kesselhof im Frühjahr 2017 für rund eine Million Euro gekauft. Rund 1,3 weitere Millionen werden der Umbau und die energetische Sanierung verschlingen. Finanziert wird es durch die GLS Gemeinschaftsbank. Direktkredite, Spenden und Bürgschaften ergänzen die Finanzierung.
Gemeinsam leben und über den Tellerrand hinausblicken
Wenn man sie fragt, was ihre Motivation ist, sagen sie, sie wollen nicht alleine, sondern mit anderen Menschen leben, wollen mit anderen etwas auf die Beine stellen, über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen. Dagmar Häfele etwa hat früher in WGs gewohnt, dann die „klassische Familienphase sehr genossen“ und zuletzt zwei Jahre alleine gelebt. Den Kesselhof hat sie über das Nachbarschaftsportal nebenan.de entdeckt, wo die Gruppe freiwillige Helfer akquiriert. „Ich fand das Projekt toll, wollte es unterstützen“, sagt die fröhliche Frau mit den kurzen dunklen Locken. Einziehen war nicht der Plan, doch sie war schnell begeistert. „Ich finde den Ansatz gut, sich zu reduzieren und gesellschaftliche Gegebenheiten zu überdenken“, sagt sie.
Wie mit allem ist es eine Frage der Perspektive. Während Georg Schubert (31) im Hinterhaus mit anpackt, bereitet seine Partnerin in der Küche des Vorderhauses das Mittagessen für alle vor. Den einjährigen Sohn hat sie auf den Rücken geschnallt. „Es wird oft in den Vordergrund gestellt, worauf man alles verzichtet, aber ich sehe die Vorteile“, sagt er. Man trage das Risiko nicht alleine. Er und seine Familie würden vielmehr von den Erfahrungen der älteren Bewohner, von denen viele in ihren 40ern und 50ern sind, profitieren. Sozialkompetenz ist ihm wichtig. Wenn das Hinterhaus im November fertiggestellt wird, werden die drei einziehen. Sie werden die Jüngsten sein und die Hausgemeinschaft dem Ziel, eine generationenübergreifende Gemeinschaft zu werden, ein Stück näherbringen.