Kettcar verbringen auf der Esslinger Burg mit knapp zweitausend Fans einen entspannten Gitarrenrock-Abend. Zu wahrer Dringlichkeit reicht es aber nur selten.

Esslingen - Das Hamburger Label Grand Hotel van Cleef (GHvC) ist ein liebenswerter Außenseiter unter Deutschlands Plattenfirmen. Ins Leben gerufen 2002 auch aus Protest gegen das Dominanzgebaren der großen etablierten Companys, vereint es unter seinem Dach inzwischen knapp fünfzig Acts aus dem alternativen Spektrum. Bestes Pferd im Stall: die Band Kettcar, in der mit dem Sänger Marcus Wiebusch und Bassist Reimer Bustorff auch zwei der GHvC-Gründerväter musizieren und die prototypisch für den undogmatischen Geist dieses Hauses steht. Hauptsächlich Indie-Rock und Punk umfasst das Spektrum von GHvC – gleichwohl ist man nach vielen Seiten offen.

 

Das zeigt sich auch beim Kettcar-Konzert zum Abschluss der diesjährigen Esslinger Open-air-Konzerttrilogie. Punks der dritten und vierten Generation sind am Sonntagabend auf dem Burghof ebenso anzutreffen wie die Mädchen aus den Yogastudios, das Joy-Division-T-Shirt ist hier ebenso vertreten wie der Jutebeutel vom vorletzten Evangelischen Kirchentag. Geeint wird dieses sehr heterogene Publikum durch den speziellen, ebenfalls leicht divergierenden Geist der Gruppe. „Humanismus ist nicht verhandelbar“, erklärt der Kettcar-Sänger den knapp zweitausend Besuchern zu Beginn des Abends – und eine halbe Stunde später hinterherzuschieben, dass er um Himmels Willen bloß nie zum Hippie werden wolle in seinem Leben.

Themen direkt aus den Milieus

Diese widersprüchliche Haltung ist es, die den Reiz dieses Quintetts ausmacht – zusammen mit der Kunst, ihren Themenkanon authentisch in den Milieus zu verankern, die es mit seinen Fans teilt. Ein Song über Homophobie im Profifußball („Der Tag wird kommen“) steht während des neunzigminütigen Abends ebenso auf der Agenda wie ein Titel über die Existenzängste, die sich für Autoren, Plattenladenbesitzer oder Videothekenbetreiber tatsächlich hinter der verharmlosenden Managementformel vom „digitalen Transformationsprozess“ verbergen („Palo Alto“).

Zum frühen Höhepunkt des Auftritts wird freilich „Sommer ’89“, „ein Plädoyer, Menschen durch Zäune und über Grenzen zu retten“, so Wiebusch, das er durch einen atemlosen Erzählduktus mit beklemmender Unmittelbarkeit auflädt. Danach flacht die Spannungskurve indes zunehmend ab. Meist zeigen sich die fünf Hamburger eher als sympathische Jungs denn als dringliche Rocker: Wiebusch schwärmt vom dicken Burgturm und erinnert sich an vergangene Besuche im ehemaligen Esslinger Jugendzentrum mit seiner ersten Band But Alive, Bustorff schießt zum Finale noch ein Foto für die Mutti und ist der Typ, dem man glaubt, dass er es ihr auch tatsächlich schickt. Etwas zu bequem macht es sich dieses knapp zwanzig Songs starke Set unterm Strich zwischen flotten Country-Beats, flächigen Keyboards und nur moderat zupackenden Gitarrencrescendos, um wirklich mitzureißen. Und nicht zuletzt fehlt mit „Mannschaftsaufstellung“ just jener Song im Repertoire, in dem Kettcar ihre musikalischen Mittel bisher am vehementesten zugespitzt haben – ein Grund, wiederzukommen und Versäumtes nachzuholen.