Der VfB Stuttgart hat Kevin Großkreutz verpflichtet, einen Mann mit bewegter Vergangenheit. In Dortmund war er einst Kultspieler – bei Galatasaray Istanbul jedoch wurde er vom Heimweh geplagt. Stuttgart soll ein Neuanfang werden.

Stuttgart - Gut fünf Jahre ist es her, dass der VfB Stuttgart zum letzten Mal einen waschechten Fußball-Weltmeister in seinen Reihen begrüßen durfte. Von Juventus Turin kam der damals fast 34 Jahre alte Mauro Camoranesi, der bei der WM 2006 mit den Italienern den Titel gewonnen hatte. Es war eine kurze und trotzdem denkwürdige Episode: Ein paar Monate später verabschiedete sich der Altstar schon wieder – und wird seither immer dann genannt, wenn es die missratene Personalpolitik des Vereins zu belegen gilt.

 

Nun steht beim VfB wieder ein Weltmeister vor der Tür, diesmal sogar der erste deutsche seit Guido Buchwald, diesmal ein Mann im besten Fußballeralter: Es ist Kevin Großkreutz (27), der beim WM-Triumph 2014 in Brasilien zwar keine Minute mitspielen durfte, als Mitglied des 23-Mann-Kaders aber trotzdem Eingang in die Fußballgeschichte fand. Mit ihm, davon sind sie beim VfB überzeugt, wird es ganz anders laufen als damals mit Camoranesi. Als Königstransfer soll Kevin Großkreutz nach der Klärung letzter Vertragsdetails bis 2018 unterschreiben und anschließend tatkräftig dabei mithelfen, den Verein wieder weiter nach vorne zu bringen.

Letzte Reise in die Vergangenheit

Mit einem Laktattest starten die Stuttgarter an diesem Montag in die Vorbereitung auf die Rückrunde, am Dienstag reisen sie ins Trainingslager an die türkische Riviera. Dann wird neben dem neuen ukrainischen Stürmer Artem Kravets (26), der noch den Medizincheck zu absolvieren hat, auch der Allrounder aus dem Ruhrgebiet mit im Flieger sitzen. Es wird für Kevin Großkreutz eine letzte Reise in die jüngste Vergangenheit – und gleichzeitig der Startschuss für den großen Neuanfang.

Knapp vier Monate lebte Großkreutz zuletzt in der Türkei – und erlebte dort die bitterste Zeit seiner Karriere. Am letzten Tag der Transferfrist war er Ende August von Borussia Dortmund zu Galatasaray Istanbul gewechselt, allerdings verweigerte die Fifa wegen eines Formfehlers die Spielgenehmigung. Erst von Januar an hätte er an Pflichtspielen teilnehmen dürfen. Die Sperre war jedoch nur der kleinere Teil des Problems. Der größere Bestand darin, dass Großkreutz vom ersten Tag an von Heimweh geplagt wurde. Anfang Dezember bat er Galatasaray um die Freigabe. Dem Wunsch wurde entsprochen, der verhinderte Neuzugang durfte die Türkei wieder verlassen – und musste Hohn und Spott über sich ergehen lassen.

Das Image hat stark gelitten

Es war der Tiefpunkt für Großkreutz, dessen Image schon zuvor durch diverse Skandale abseits des Fußballplatzes gelitten hatte. Ein weiterer Wechsel ins Ausland kam nicht in Frage; und auch in der Bundesliga standen die Interessenten nicht gerade Schlange. Beim VfB, finanziell und sportlich seit Jahren in Schieflage und daher auf „kreative Transfers“ angewiesen, wie der Manager Robin Dutt gerne sagt, erkannte man darin die Chance, einen Weltmeister zum Schnäppchenpreis zu bekommen. Bei rund zwei Millionen Euro soll die Ablöse liegen, die Galatasaray verlangt. Nicht viel für einen Mann, dessen Marktwert schon einmal bei zehn Millionen lag.

Mit dem schwierigen Charakter des Heißsporns, der im vergangenen April in der zweiten BVB-Mannschaft sein letztes Pflichtspiel bestritten hat, haben sich die Stuttgarter auch beschäftigt – sich vor allem aber daran erinnert, dass Großkreutz einst in der goldenen Dortmunder Ära unter Jürgen Klopp zum Kultspieler aufgestiegen war. Mit seinem Herzensclub, bei dem er früher als Fan auf der Tribüne stand, wurde er zweimal deutscher Meister, Pokalsieger, stand 2013 im verlorenen Champions-League-Finale gegen die Bayern in Wembley auf dem Platz. Auf sieben verschiedenen Positionen hat Großkreutz beim BVB gespielt und in seinen besten Zeiten genau das verkörpert, was man in der VfB-Mannschaft häufig vermisst: unbändige Siegermentalität.

Die Erfahrung, die vielseitige Verwendbarkeit, die Mentalität – das sind die Gründe, die den VfB darauf hoffen lassen, einen ganz dicken Fisch geangelt zu haben. Jetzt muss Kevin Großkreutz nur noch zeigen, dass er noch immer ein guter und zuverlässiger Fußballspieler ist – und sich in Stuttgart wohler fühlt als in Istanbul.