Kevin Kühnert wird am Samstag zum neuen SPD-Parteimanager gewählt. Er will nicht mehr raus aus der Regierung, sondern sie lieber mit langem Atem verändern.

Berlin - Er ist der einzige Kandidat und hat den Posten eigentlich schon in der Tasche, bevor der Berliner SPD-Parteitag an diesem Samstag überhaupt stattfindet. Kevin Kühnert hat deshalb im Vorfeld auch schon einige Gedanken daran verschwenden können, dass es im coronabedingt kleinen und kurzen Format zur Feier des Tages wieder kaum Begegnungen und auch kein Bier mit anderen Genossinnen und Genossen geben wird. Er bedauert, dass wo es doch zu solchen Familientreffen gehöre, dass man nach einem gemütlichen Abend zuvor „verkatert auf den Parteitag“ gehe.

 

Der 32-Jährige hat trotzdem „richtig Bock“ auf die neue Aufgabe: „Generalsekretär ist in der politischen Welt für mich ein Traumjob.“ So hat er es diese Woche seinem Bald-Vorgänger Lars Klingbeil in ihrem gemeinsamen Instagram-Talkformat erzählt. Als „überzeugter Parteimensch“, der die politischen Vereinigungen für spannende Debattenorte hält, erklärt er, warum deren Manager für ihn „das Salz in der Suppe“ sind. Sie müssen dieses gesellschaftliche Gespräch möglichst attraktiv-modern gestalten und zugleich in sinnvolle Bahnen lenken.

Personalverantwortung für knapp 200 SPD-Angestellte

„Krassen Respekt“ hat er auch. Das liegt nicht nur an der Personalverantwortung für knapp 200 Angestellte in der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus, die der Jungpolitiker nun übernimmt. Ihm steht vor allem eine politische Gratwanderung bevor, die es in sich hat. Der Generalsekretär der größten Regierungspartei muss einerseits den eigenen Bundeskanzler Olaf Scholz stützen und andererseits für Sichtbarkeit der SPD sorgen. Die Sozialdemokraten – so das in diesen Tagen viel beschworene Ziel – sollen nicht den vielen Ampelkompromissen verschwinden und auch noch in einem Jahr den gegenwärtigen Stolz auf ihre Partei verspüren. Der wenige Monate vor dem Mauerfall in West-Berlin geborene Kühnert hat diesen Spagat kürzlich in die Formel gepackt, als General weder Wadenbeißer noch Kuschelbär sein zu wollen.

Allein diese Aussage steht für die Wegstrecke, die der ehemalige Juso-Chef in den vergangenen zwei Jahren zurückgelegt hat. Im Herbst 2019 war er noch der

Groko-Schreck, der auf ein vorzeitiges Ende des Regierungsbündnisses mit der Union hinarbeitete, weil er glaubte, dass sonst von seiner Partei bald nichts mehr übrig sein würde. Beim Mitgliederentscheid lenkte er die Stimmen seiner Jungsozialisten hin zum Bewerberduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, weil er sich von ihnen den Ausstieg erhoffte. Eine Fernsehdokumentation hat Kühnerts unbändige Freude festgehalten, als er von der Abstimmungsniederlage des damaligen Vizekanzlers Scholz erfährt.

Vom Nebentisch in den innersten Kreis

Er ließ sich anschließend schon in die Parteihierarchie einbinden – und wurde beim damaligen Parteitag zu einem der fünf Vizes gewählt. Dem innersten Kreis der Macht gehörte er damit allerdings nicht an. Als Esken und Walter-Borjans dann im Sommer 2020 doch dem durch sein Coronakrisen-Management zu neuer Popularität gelangten Scholz die SPD-Kanzlerkandidatur antrugen, saß Kühnert anders als Klingbeil und Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich nicht mit am Tisch. Dass er nun in die engste Spitze aufrückt und das auch will, wo dort doch auch Kompromisse verteidigt werden müssen, die dem Parteilinken nicht immer gefallen werden, ist beispielsweise in Scholz‘ Umfeld ebenso überrascht wie erfreut zur Kenntnis genommen worden.

Kühnert hat gelernt damit umzugehen, dass er nicht immer gleich alles bekommen, wohl aber die Richtung seiner Partei beeinflussen kann. Jüngstes Beispiel ist, wie die neue Ampel-Regierung mit den Themen Bauen und Wohnen umgeht. Kühnert hat das entsprechende Kapitel im Koalitionsvertrag federführend verhandelt, sich über den Aufbau eines eigenen Ministeriums und eine feste Zielgröße für neue Wohnungen gefreut. Geärgert hat ihn, dass er SPD-Wahlkampfversprechen wie ein Mietenmoratorium oder mehr Mieterschutz nicht durchsetzen konnte. Vor seiner Wahl an diesem Samstag hat er nun in einem „Spiegel“-Interview gesagt, dass er beispielsweise den Prüfauftrag zum Mietrecht so versteht, dass er nachverhandeln und die Parteien dazu „noch mal miteinander in die Diskussion gehen müssen“. Also weder verdammen noch aufgeben.

Abkehr von der zerstörerischen Kritik

Dieser neue Kevin Kühnert ist zum ersten Mal direkt nach der Kür seines einstigen Widersachers zum Kanzlerkandidaten zu erleben gewesen. Da geißelte er manche Kritik als „zerstörerisch“, wenn Scholz, aber auch wohl ihm selbst nicht zugestanden werde, Erkenntnisse und Realitäten neu einzuschätzen: „Es gib Menschen, die haben es sich in einem Weltbild bequem gemacht“, sagte er damals, „in dem muss die SPD immer falsch liegen, muss sie der Trottel sein.“ Er jedenfalls geht seither mit der Devise vor, „dass Veränderung mit langem Atem erstritten werden muss“.

Für seinen Freund Lars jedenfalls ist Genosse Kevin „der Richtige“ für das neue Amt. Er verknüpft Kühnerts Namen vor allem mit der Hoffnung, dass mit dem SPD-Wahlerfolg keine Selbstgefälligkeit einkehrt und „der Erneuerungsprozess radikal weitergeht“. Kommunikativ soll die Partei „auf der Höhe der Zeit“ agieren – nicht zuletzt, weil die Sozialdemokraten bei Erst- und Jungwählern hinter Liberalen und Grünen gelandet sind. Der nach Gesundheitsminister Karl Lauterbach größte Social-Media-Star der SPD, der noch mehr Twitter-Follower als der Bundeskanzler hat, könnte da wohl einen Beitrag leisten.