Auf einem Kunstrasenfeld vor dem Stuttgarter Rathaus können sich die Fußballfans selbst austoben. Nebenbei werden Erkenntnisse für einen ökologischeren Sportplatzbau gesammelt.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Wer hätte das gedacht, dass im Stuttgarter Sportamt solche Zauberfüßchen arbeiten? Yannik Oheim, 23, Sachbearbeiter für Vereinsservice, hat sich zwar gerade auswechseln lassen, sieht aber, wie eine Kollegin sauber ihren Gegenspieler aussteigen lässt und abzieht. Ihr Schuss wird dann aber doch noch geblockt. Denn zum einen ist es an diesem Nachmittag ziemlich voll auf dem 25 mal 16 Meter kleinen Kunstrasenfeld vor dem Stuttgarter Rathaus. Zum anderen haben es auch die Jungs auf der Gegenseite drauf. Aus der Wohngruppe eines Flüchtlingsheims sind sie in die Stadt gekommen, die meisten kicken auf Socken.

 

Solche Zufallsduelle gibt es dieser Tage viele auf der Fanzone auf dem Marktplatz, wo es einmal nicht um Bier und Rudelgucken, sondern um die eigene Bewegung geht. „Das ist ja eigentlich das Schöne“, sagt Oheim, dessen Interesse aber nicht nur dem Sport gilt. er interessiert sich auch für den künstlichen Untergrund, auf dem er stattfindet. Es ist ein niederfloriger Hockeyrasen, wie der Experte gleich erkennt. „Mit dem Kunstrasen ist es ja so eine Sache“, sagt Oheim. Er ist leichter zu pflegen und widerstandsfähiger als Naturrasen und wird deshalb auch in der Landeshauptstadt auf immer mehr Sportplätzen ausgerollt. Doch der Abrieb verschmutzt als Mikroplastik die Umwelt.

Die EM will nachhaltig sein

Hier am Marktplatz wird allerdings eine Lösung erprobt. Ein Berliner Start-up hat sich etwas ausgedacht. Mittels Filtern, so ist man bei der Firma Guppyfriend überzeugt, lasse sich ein Großteil der Kunstgrashalme, die beim Spielen normalerweise abreißen, wieder einsammeln. „Wir wollen das Plastik herausfiltern, so lange es noch groß genug ist“, sagt der Geschäftsführer Alexander Nolte. Schon bevor der Kunstrasen auf dem Marktplatz angeliefert wurde, wurden die Filter in den Gullys auf dem Marktplatz eingebaut. Beim Ausrollen werde nämlich besonders viel Mikroplastik freigesetzt.

„Wir waren sehr froh, dass wir auf diese Firma gestoßen sind“, sagt Ellen Schmid, die für das Nachhaltigkeitsprogramm der Uefa-Host-City Stuttgart zuständig ist. Tatsächlich belastet nach Zahlen des Fraunhofer Instituts jeder Kunstrasenplatz in Deutschland die Umwelt durchschnittlich mit 3000 Kilogramm Mikroplastik im Jahr. Das Feld auf dem Marktplatz ist zwar deutlich kleiner, außerdem wurde auf das Granulat verzichtet, das das Rutschen verhindern soll, in großen Mengen aber vom Platz getragen wird. Dennoch entsteht auch hier Abrieb, der ohne Filter über die Kanalisation in die Umwelt gelangen würde.

Sieht aus wie normaler Rasenschnitt

Ausgerechnet am Guppyfriend-Stammsitz in Berlin ist das zu sehen. Dort wurde zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor ein 24 000 Quadratmeter großer Kunstrasen verlegt – nicht zum Spielen, sondern nur fürs Public Viewing. Filter gibt es keine. Die abgebrochenen Halme wehen büschelweise über den Asphalt und sammeln sich in Ecken und zerfallen weiter. „Das sieht wie normaler Rasenschnitt aus“, sagt Nolte – „ist aber reinste Chemie“.

Stuttgart ist viel schöner als Berlin, hieß es beim Sommermärchen 2006. Jetzt zeigt sich wieder mal, dass Stuttgart auch sauberer ist. Auf Kunstrasenplätzen der Stadt könnte das Filtersystem bald schon serienmäßig zur Ausstattung gehören. Die Kosten sind gering, und selbst der örtliche Bundesligist hat dem Vernehmen nach sein Interesse schon bekundet. Derweil muss Oheim wieder auf den Platz. Der nächste Kollege braucht eine Pause.