Gegengerade
Ein guter Platz, um die Fußball- und Baukunst gleichermaßen in den Blick zu nehmen.

So ein Stadionumbau gibt Anlass zu vielem: Anlass zur Hoffnung, die Heimmannschaft möge ihren sportlichen Höhenflug fortsetzen; Anlass, Genugtuung zu verspüren, weil die Stadt auch mal diesseits des Neckars in Sportanlagen investiert, aber auf keinen Fall Anlass, von Gewohnheiten zu lassen. Und deshalb beginnt der Besuch bei den Stuttgarter Kickers auf dem Gelände der Sportfreunde Stuttgart. Dort steht ein kleiner grüner Wohnwagen, aus dem heraus Wirt Paule Ess- und Trinkbares veräußert. Dass auch an diesem nasskalten Samstagnachmittag die Besucher scharenweise auflaufen, möchten die neuen Stadionköche von der Schräglage bitte nicht als Misstrauensvotum verstehen. Es gibt einige Angewohnheiten, die man nur schwerlich ablegt. Außerdem muss bei Paule die Wirtschaft wieder angekurbelt werden. In den Zeiten, in denen die Blauen statt auf Degerlochs Höhen im Schatten des Ablbtraufs bei Reutlingen ihre Heimspiele gewannen, machte der Wirt keinen Umsatz.

Gestärkt lässt sich der eigentliche Star des Nachmittags in Augenschein nehmen. Schmuck steht sie da, die neue Haupttribüne. Die gelbe Dachunterseite wirkt vom Standort auf der Gegengerade zwar ein bisschen wie die Decke in einem beliebiegen Stadtbad. Aber entscheidend ist ja aufm Platz. Was schnell auffällt: Offensichtlich wollen noch andere Liebhaber der zeitgenössischen Sportplatzarchitektur vorbeischauen. Die später bekannt gegebenen 8200 Zuschauer fühlen sich nach mehr an. Dem Spielverlauf kann nur folgen, wer ständig in Bewegung bleibt – zumindest mit dem Hals. Aber dafür kann ja die neue Tribüne nichts.

Fußball ist häufig große Oper – bei den Kickers war’s noch viel häufiger Stummfilm. Zumindest für alle jene, die auf der Gegengerade ihren Platz haben. Die bisherige Lautsprecheranlage vermied es, das Gesagte auch bis dorthin zu übertragen. Das ist deutlich besser geworden und wir wollten uns auch schon fast freuen, bis der Stadionsprecher die offizielle Besucherzahl mit einem Wortspiel unter Verwendung des Sponsorennamens verkündet, das mehr schmerzt als die rüdeste Blutgrätsche.

Nun haben die „Blauen“ also auch einen beheizbaren Wintergarten mit Spielfeldblick. Kost und Logis gibt’s für 115 bis 192 Euro, es sei denn, man hat sich einladen lassen. „Wir geben 150 Prozent“, sagt Gastronom Axel Steinbeck. Viele Gäste nehmen 150 Prozent. Auf ihren Tischen sieht es aus wie bei Hempels. Gourmets wie SPD-Stadtrat Hans Pfeifer oder der Ur-Blaue AfD-Fraktionschef Bernd Klingler, der lediglich der Petersilienwurzelsuppe mehr Würze gegönnt hätte, loben die Qualität der Speisen. Wenn schon der Kuchen vom Sillenbucher „Rosenstöckle“ stammt! Am Samstag im Angebot: Krustenbraten, Kässpätzle, Geflügelbrust, Kickers-Burger, Hähnchenspieße mit Mango-Chutney, ein Salat-Bufett und geschichtete Mascarpone. Jetzt muss der DFB nur noch die Halbzeitpause verlängern. Bei Wiederanpfiff sind viele „Vips“ erst beim zweiten Gang. Würden sie sich strecken, könnten sie einen kleinen Ausschnitt vom beheizten Rasen sehen.

Der Blick des Fans auf der Gegengeraden

Gegengerade
Ein guter Platz, um die Fußball- und Baukunst gleichermaßen in den Blick zu nehmen.

So ein Stadionumbau gibt Anlass zu vielem: Anlass zur Hoffnung, die Heimmannschaft möge ihren sportlichen Höhenflug fortsetzen; Anlass, Genugtuung zu verspüren, weil die Stadt auch mal diesseits des Neckars in Sportanlagen investiert, aber auf keinen Fall Anlass, von Gewohnheiten zu lassen. Und deshalb beginnt der Besuch bei den Stuttgarter Kickers auf dem Gelände der Sportfreunde Stuttgart. Dort steht ein kleiner grüner Wohnwagen, aus dem heraus Wirt Paule Ess- und Trinkbares veräußert. Dass auch an diesem nasskalten Samstagnachmittag die Besucher scharenweise auflaufen, möchten die neuen Stadionköche von der Schräglage bitte nicht als Misstrauensvotum verstehen. Es gibt einige Angewohnheiten, die man nur schwerlich ablegt. Außerdem muss bei Paule die Wirtschaft wieder angekurbelt werden. In den Zeiten, in denen die Blauen statt auf Degerlochs Höhen im Schatten des Ablbtraufs bei Reutlingen ihre Heimspiele gewannen, machte der Wirt keinen Umsatz.

Gestärkt lässt sich der eigentliche Star des Nachmittags in Augenschein nehmen. Schmuck steht sie da, die neue Haupttribüne. Die gelbe Dachunterseite wirkt vom Standort auf der Gegengerade zwar ein bisschen wie die Decke in einem beliebiegen Stadtbad. Aber entscheidend ist ja aufm Platz. Was schnell auffällt: Offensichtlich wollen noch andere Liebhaber der zeitgenössischen Sportplatzarchitektur vorbeischauen. Die später bekannt gegebenen 8200 Zuschauer fühlen sich nach mehr an. Dem Spielverlauf kann nur folgen, wer ständig in Bewegung bleibt – zumindest mit dem Hals. Aber dafür kann ja die neue Tribüne nichts.

Fußball ist häufig große Oper – bei den Kickers war’s noch viel häufiger Stummfilm. Zumindest für alle jene, die auf der Gegengerade ihren Platz haben. Die bisherige Lautsprecheranlage vermied es, das Gesagte auch bis dorthin zu übertragen. Das ist deutlich besser geworden und wir wollten uns auch schon fast freuen, bis der Stadionsprecher die offizielle Besucherzahl mit einem Wortspiel unter Verwendung des Sponsorennamens verkündet, das mehr schmerzt als die rüdeste Blutgrätsche.

Der Hauch der großen weiten Fußballwelt weht nicht über die Waldau, dafür aber ab Mitte der ersten Halbzeit schwere Dieselschwaden über den Stehrängen. Auf den zum Teil neugestalteten Parkplätzen ist auch ein Häuschen entstanden, aus dessen Dach blitzblanke Metallrohre ragen, die die Abgase an die Umwelt entlassen. Auf den Rängen wird geunkt, dies sei wohl der Notdiesel fürs Flutlicht oder vielleicht auch die Befeuerung der Rasenheizung. Wir verbuchen’s unter noch abzustellenden Kinderkrankheiten.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass sich der Umbau gelohnt hat – und dass Heimniederlagen auch vor der Kulisse einer schmucken Haupttribüne mies aussehen.