100 Tote gab es bei dem Umsturz in Kiew. Doch bis heute ist nicht aufgeklärt, wer geschossen hat. War es das Lager des gestürzten Präsidenten Janukowitsch? Oder war es etwa sogar die nun in der Ukraine an die Macht gelangte neue Führung?

Kiew - Die Geschichte liest sich wie ein Krimi: In einem, von wem auch immer, abgehörten Telefonat zwischen der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und dem Außenminister Estlands, Urmas Paet, geht es um eine mögliche Beteiligung der neuen ukrainischen Regierung an den Schüssen auf dem Kiewer Maidan Ende Februar. Damals waren an einem Vormittag fast 50 Menschen erschossen worden.   Paet gibt vor, er sei von der Maidan-Aktivistin und Ärztin Olga Bogomolets darauf hingewiesen worden, dass auf Demonstranten und Sicherheitskräften von den gleichen Scharfschützen geschossen worden sei.

 

Der Außenminister, der das Gespräch bestätigte, sagt in der Aufnahme vom 25. Februar, es gebe Hinweise, dass hinter den Schüssen nicht Ex-Präsident Janukowitsch, sondern Leute aus der neuen Koalition stünden.   Die heikle Unterredung war gerade im Netz, da verschickten die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti und ein russischer TV-Sender bereits Eilmeldungen. Paet ruderte später zurück und ließ ausrichten, er sei falsch verstanden worden.  

Olga Bogomolets ist nicht zu finden

In Kiew sucht man seitdem die Ärztin Olga Bogomolets. Sie gilt als eines der Gesichter des Maidans und hat Ende November, als die ersten Demonstranten schwer verletzt wurden, den medizinischen Dienst des Maidan  mit aufgebaut. Bogomolets ist nicht nur studierte Medizinerin, sondern auch Sängerin und in der Ukraine keine Unbekannte. Wie andere Maidan-Aktivisten auch sollte sie einen Posten in der Übergangsregierung bekommen. Am Tag,  an dem das  Parlament die neue Regierung wählte, zog sie ihre Teilnahme überraschend zurück. Sie sei „nicht sicher, wie korrupt die neue Regierung sein wird, ich gehe wieder auf den Maidan zurück“.  

  In Kiew fragen sich viele, weshalb Olga Bogomolets, die bis vor wenigen Tagen regelmäßig Gast bei politischen Sendungen im Fernsehen gewesen ist, ihre Vermutungen nicht viel früher mitgeteilt hat. Zudem wimmelt es in der ukrainischen Hauptstadt derzeit von Journalisten. Bogomolets hatte in der Vergangenheit eng mit der englischsprachigen „Kyiv Post“ zusammengearbeitet, dessen Mitarbeiter während der Proteste mehrfach schwere Verletzungen erlitten haben. Doch auch auf deren Anrufe reagierte Olga Bogomolets nicht.

Gelbe Armbänder dienen der Erkennung

  Der Großteil der ukrainischen Presse und der Beobachter der Ereignisse sind sich sicher, dass die Schüsse von Scharfschützen kamen, die sich unter die Soldaten der Sondereinheit Berkut gemischt hatten. Als Erkennungszeichen trugen sie gelbe Bänder an den Oberarmen.   „Dass sich Männer der Selbstverteidigung oder gar des rechten Sektors unter die Soldaten von Janukowitsch gemischt haben sollen, ist abenteuerlich.“

Vieles deutet darauf hin, dass die Männer aus dem Ausland geschickt wurden“, sagt ein bekannter ukrainischer Politologe, der in diesem Zusammenhang nicht genannt werden will. Er erinnert sich an einen Fall, der bald 15 Jahre zurückliegt. Im Spätherbst 2000 wurde der Journalist Grigorij Gongadze entführt, umgebracht und geköpft. Der Schuldige stand schnell fest: Der damalige Präsident Leonid Kutschma.

Eine bekannte ukrainische Anwältin sagt zu diesem Fall: „Das mit Gongadze haben die Russen verbrochen.“ Kutschma sei damals zu eng mit den USA und der EU auf Integrationskurs gegangen, dafür habe sich Moskau damals gerächt. Die Regie der Scharfschützen-Geschichte sei ähnlich, nun sollen die Maidan-Aktivisten und die neue Regierung zusammen diskreditiert werden.