Stuttgart braucht viele neue Wohnungen. Sozial gemischt sollen die neuen Nachbarschaften sein, modern und umweltfreundlich die Häuser. Auch private Baugemeinschaften ermutigt die Stadt. Auf dem Killesberg aber geht die Rechnung nicht auf.

Stuttgart - Arne Quitsch steht über der Roten Wand am Killesberg. Der junge Mann ist an diesem Dienstag nicht das erste Mal auf dem Gelände, er will hier ja bauen. Auf dem früheren Messeparkplatz, auf den er blickt, befinden sich im Moment zwar noch Containerunterkünfte für Flüchtlinge. Im Herbst jedoch sollen sie 118 neuen Wohnungen weichen. In eine davon möchte Quitsch (34) mit seiner Frau Anika (33) und dem Töchterchen ziehen.

 

Das Ehepaar, das momentan in einem Mietshaus am Nordbahnhof lebt, ist Teil einer angehenden privaten Baugemeinschaft. Es möchte mit den monatlichen Zahlungen etwas Eigenes aufbauen, der Familie eine „Absicherung“ schaffen. Und eigentlich zählen der Projektingenieur für audiovisuelle Medien und die Kommunikationsdesignerin ziemlich genau zu den Zielgruppen, die die Stadt in ihren Grenzen halten will. Trotzdem droht dem Paar und nicht wenigen Gleichgesinnten – darunter Lehrer, Ingenieure und Architekten – das Aus im Rennen um den soeben ausgeschriebenen Baugrund, bevor sie sich förmlich beworben haben. Auch ihnen wird es zu teuer.

Pro Quadratmeter sind das 2260 bis 2500 Euro

Die Stadt will an dieser Stelle sehr viel auf einmal: dringend benötigten Wohnraum, darunter viele geförderte Wohnungen, eine klima- und kohlendioxidneutrale Siedlung, ein soziales Miteinander, nicht zuletzt durch die privaten Baugemeinschaften. Obendrein soll die aufstrebende Holzbauweise an fünf „amorphen“, rundlichen Baukörpern vorexerziert werden, an sogenannten „Wolkenhäusern“. Für Quitsch und die anderen klang das „spannend“ – und wie ein Versprechen. Mehr und mehr mussten sie aber den Realitäten Tribut zollen, vor allem den Grundstückspreisen. Das eine Teilgelände, das für Baugemeinschaften vorgesehen ist, 1361 Quadratmeter groß, will die Stadt für 3,076 Millionen Euro verkaufen. Das andere, 1145 Quadratmeter groß, soll 2,863 Millionen kosten. Pro Quadratmeter sind das 2260 bis 2500 Euro.

Vergangenen Freitag brachen sich die Sorgen Bahn – bei einer Infoveranstaltung der Stadt mit gut 200 Besuchern in der Brenzkirche. Selbst innerhalb einer Baugemeinschaft, die bis zu 20 Prozent kostengünstiger bauen können sollte als ein Bauträger, ergäben sich zu hohe Baukosten, wurde da geklagt. Der Architekt Randolph Hinrichsmeyer, der Baugemeinschaften betreut, schätzte den Mittelwert auf 7000 Euro pro Quadratmeter. Auf dem früheren Gelände des Olgahospitals in Stuttgart-West sei man bei etwa 4500 Euro gelandet, sagte er. Dort habe sich der Quadratmeter Boden mit rund 600 Euro niedergeschlagen, weil etwa doppelt so viel Geschossfläche wie Grundstücksfläche zugelassen worden sei. Auf dem Killesberg seien es 1600 Euro mehr, weil um die „Wolken“ herum einige Fläche frei bleiben soll. Zudem soll man ein bisschen von den gekauften Wohnflächen für Gemeinschaftsräume zur Verfügung stellen. Tenor in der Kirche: Der soziale Anspruch lasse sich nicht umsetzen. Wohnungen zum Vermieten könnten die Baugemeinschaften in ihren Gebäuden nicht mitbauen. Die Mietpreise wären zu hoch. Bliebe es bei den Bodenpreisen, sei die Idee der Baugemeinschaft „obsolet“. Auf dem Killesberg könne dann wieder nur die Elite mit dem ganz großen Geldbeutel bauen.

Unmut der Bürger wird mit ins Rathaus genommen

Der Klartext der städtischen Abgesandten beflügelte den Ärger eher. Sie entgegneten, die Stadt dürfe die Grundstücke gemäß Gemeindeordnung nicht zu Preisen unter dem Verkehrswert verkaufen. Die Preise seien der Killesberg-Lage geschuldet – und den Gemeinderatsbeschlüssen. Dass die Baugemeinschaften von der Stadt für förderungswürdig erklärt werden, habe die Verwaltung selbst auch auf der Wunschliste. Noch sei das aber nicht so. Die Bauherren hätten die Baupreise trotzdem „selbst ein Stück weit in der Hand“ – durch die Art der Gebäudegestaltung und wenn sie mit den Investoren nebenan, den Firmen Arche Nova und Filderbaugenossenschaft, gemeinsam Material kaufen. Eine städtische Mitarbeiterin erklärte die Preisdebatte für „erst einmal erledigt“. Den Unmut nehme man mit ins Rathaus.

Seit Mittwoch liegt dort, bei OB Kuhn und den Fraktionen, auch ein offener Brief von Johannes Hoffmann, ebenfalls Mitglied einer angehenden Baugemeinschaft: Man solle das Konzept überdenken, unkonventionelle Fördermöglichkeiten kreieren.

Es glimmt noch Hoffnung, aber nur ein Funken. Sein Rückzug, sagt Arne Quitsch, werde „wohl der logische nächste Schritt“ sein. Den Weltuntergang beklagt er deswegen nicht. Für die momentane Wohnung hat er noch einen Altmietvertrag aus der Zeit, bevor der Immobilienriese Vonovia sich im Nordbahnhofviertel einkaufte. Die Miete ist daher günstig. So lang kein zweites Kind da ist, funktioniert es. Allerdings müsste das Paar weiter davon träumen, so zu leben, wie es gern möchte: in der selbstgestalteten Wohnung, in einem grünen Umfeld, dennoch zentrumsnah, ohne ständige Autofahrten. Raus aus der Stadt wollen Arne und Anika Quitsch, die vor sieben Jahren aus dem Rems-Murr-Kreis und dem Kreis Ludwigsburg kamen, immer noch nicht. Obwohl sie die Geschichte hier ernüchtert hat. „Das lief suboptimal“, sagt Quitsch, „die Stadt ging meines Erachtens blauäugig zu Werke, mit einer gewissen Kopflosigkeit. Man merkt, dass für Stuttgart insgesamt ein ganzheitliches Wohnkonzept fehlt.“