Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Im Frühjahr 2011 steht fest: mit Chemo allein lässt sich der Krebs aus Ernas Körper nicht vertreiben. Das Mädchen benötigt eine Stammzelltransplantation. Doch unter den 18 Millionen weltweit registrierten Spendern findet sich kein Kandidat mit den passenden Gewebemerkmalen. Bleiben nur Mutter oder Vater.

 

Am 20. Juni beobachtet Axel Brunner, wie das Blut aus seiner Armvene in ein Gerät läuft, das die Stammzellen von den restlichen Bestandteilen trennt. Nachts wird das Lebenselixier im Labor aufbereitet und am nächsten Morgen auf Erna übertragen. Nach der Transplantation verbringt sie zwei Wochen von der Außenwelt abgeschirmt in einem Zimmer, nur Eltern und Pfleger dürfen den Raum betreten. Jeder Keim könnte für Erna tödlich sein. Drei Tage vor ihrem vierten Geburtstag wird Erna aus der Klinik entlassen.

Scheinbare Normalität tritt ein

Daheim in Rohrdorf lernt sie ihre kleine Schwester Ronja kennen, geboren am 17. August 2010. Einige Monate leben die Brunners nahe an der Normalität. Der Vater arbeitet wieder als Abteilungsleiter einer Calwer Firma. Die Mutter, eine Zollobersekretärin, nutzt ihre Elternzeit, um sich intensiv um die Töchter zu kümmern. Ende Oktober sind Ernas Blutwerte noch immer gut, statistisch betrachtet hat sie die kritischste Phase überstanden.

Die Familie freut sich auf eine vierwöchige Kur im Schwarzwald. Plötzlich, bei einem Ausflug auf die Herrenberger Herbstschau, spürt Andrea Brunner instinktiv, dass die bösartigen Blasten ihr Kind wieder befallen haben. Eine Knochenmarkprobe bestätigt die Befürchtung: Ernas eigene kranke Zellen vermehren sich und verdrängen die Spenderzellen. Der zweite Rückfall in drei Jahren. Statt zur Kur nach Schönwald geht es zurück in die Tübinger Uniklinik.

Blutkrebs galt früher als Todesurteil

Es ist eine grausame Vorstellung, dass ein kleines Mädchen stirbt, bevor es richtig leben durfte. Die Suche nach einem Hoffnungsschimmer führt zum Chef der Tübinger Kinderklinik, einem Mann mit Stoppelfrisur und Brille. Rupert Handgretinger, 56, gilt in der pädiatrischen Onkologie als Koryphäe. Von 2000 bis 2005 war er Direktor der Abteilung für Stammzelltransplantation am St.Jude Children's Research Hospital in Memphis/Tennessee.

Er berichtet: bevor das St. Jude Hospital Anfang der 1960er Jahre gegründet wurde, ließen Ärzte leukämiekranke Kinder sterben. Die Diagnose Blutkrebs galt als Todesurteil, allein der Versuch einer Heilung als ethisch nicht vertretbar. Dann entwickelte der St.-Jude-Chefarzt Donald Pinkel eine Kombinationstherapie mit dem Hormon Cortison, der Arznei Vincristin sowie Schädelbestrahlung. 40 Prozent seiner jungen Patienten konnte Pinkel auf Anhieb heilen.

500 von 600 Kinder überleben

Auf diesen großen Sprung folgten viele kleine Fortschritte. Mit dem Zwischenergebnis, dass von den etwa 600 Kindern, die hierzulande dieses Jahr an Leukämie erkrankten, mehr als 500 überleben werden.

Rupert Handgretinger hat zu dieser wissenschaftlichen Erfolgsgeschichte ein wichtiges Kapitel beigetragen: die haploidente Stammzelltransplantation. Obwohl beide Elternteile jeweils nur die Hälfte der Erbinformationen ihres Kindes aufweisen, ermöglicht diese Methode, dass Mutter und Vater als Spender infrage kommen. Um zu vermeiden, dass die Spenderzellen mit den nichtidentischen Gewebemerkmalen lebensbedrohliche Abstoßungsreaktionen bei dem Kind hervorrufen, werden die unverträglichen Zellen durch ein kompliziertes Laborverfahren aus dem Transplantat entfernt.

Kein passender Spender verfügbar

Im Frühjahr 2011 steht fest: mit Chemo allein lässt sich der Krebs aus Ernas Körper nicht vertreiben. Das Mädchen benötigt eine Stammzelltransplantation. Doch unter den 18 Millionen weltweit registrierten Spendern findet sich kein Kandidat mit den passenden Gewebemerkmalen. Bleiben nur Mutter oder Vater.

Am 20. Juni beobachtet Axel Brunner, wie das Blut aus seiner Armvene in ein Gerät läuft, das die Stammzellen von den restlichen Bestandteilen trennt. Nachts wird das Lebenselixier im Labor aufbereitet und am nächsten Morgen auf Erna übertragen. Nach der Transplantation verbringt sie zwei Wochen von der Außenwelt abgeschirmt in einem Zimmer, nur Eltern und Pfleger dürfen den Raum betreten. Jeder Keim könnte für Erna tödlich sein. Drei Tage vor ihrem vierten Geburtstag wird Erna aus der Klinik entlassen.

Scheinbare Normalität tritt ein

Daheim in Rohrdorf lernt sie ihre kleine Schwester Ronja kennen, geboren am 17. August 2010. Einige Monate leben die Brunners nahe an der Normalität. Der Vater arbeitet wieder als Abteilungsleiter einer Calwer Firma. Die Mutter, eine Zollobersekretärin, nutzt ihre Elternzeit, um sich intensiv um die Töchter zu kümmern. Ende Oktober sind Ernas Blutwerte noch immer gut, statistisch betrachtet hat sie die kritischste Phase überstanden.

Die Familie freut sich auf eine vierwöchige Kur im Schwarzwald. Plötzlich, bei einem Ausflug auf die Herrenberger Herbstschau, spürt Andrea Brunner instinktiv, dass die bösartigen Blasten ihr Kind wieder befallen haben. Eine Knochenmarkprobe bestätigt die Befürchtung: Ernas eigene kranke Zellen vermehren sich und verdrängen die Spenderzellen. Der zweite Rückfall in drei Jahren. Statt zur Kur nach Schönwald geht es zurück in die Tübinger Uniklinik.

Unterstützung macht es ertragbar

Wie erträgt man das Unerträgliche? Axel Brunner starrt in seine dampfende Tasse. "Vielleicht hält man durch, weil man auch Positives erfährt", sagt er. Die Gespräche mit den anderen Eltern auf der Kinderkrebsstation, die Verbundenheit, die ein ähnliches Schicksal schafft. Die engagierten Ärzte, die geduldigen Krankenschwestern, die einfühlsamen Klinikpsychologen, der verständnisvolle Arbeitgeber. Und die Unterstützung der Leute daheim, die bei der Dorfweihnacht am Samstag wieder für krebskranke Kinder gesammelt haben.

Erna gilt als austherapiert. Normalerweise würden sie die Ärzte nach Hause schicken und ihr das Sterben so angenehm wie möglich machen: die Nähe zu ihren Eltern herstellen, die körperlichen Schmerzen betäuben. "Eigentlich bin ich mit meinem Latein am Ende", sagt der Krebsspezialist Handgretinger - und: "Kinder spüren, wenn der Tod näherrückt. Sie reden nicht darüber, aber senden Signale. Manche verschenken ihr Lieblingsspielzeug." Noch hat Erna all ihre Stofftiere behalten. Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es.

Eine Chance gibt es noch

Am Spätnachmittag betritt Andrea Brunner, 34, die Elternküche. Auf Ronja passen ausnahmsweise Nachbarn auf; für ein paar Stunden soll sich alles um Erna drehen. Vor ein paar Tagen, erzählt Andrea Brunner, habe ihre kranke Tochter unvermittelt gesagt: "Mama, wenn ich im Himmel bin, möchte ich ein Engel sein und auf euch herabschauen."

Keine konventionelle Methode konnte Erna heilen. Die letzte Chance ist ein Experiment. Im Frühjahr hat Rupert Handgretinger vier leukämiekranke Kinder mit neuartigen Antikörpern behandelt, bei dreien hat die Therapie gewirkt. Gut möglich, dass auch Erna darauf ansprechen würde. Die Herstellung der speziellen Eiweiße ist allerdings teuer. Und weil die Zahl der Betroffenen niedrig ist, kann sich die gewinnorientierte Pharmaindustrie noch nicht für die vielversprechende Entdeckung des Tübinger Professors begeistern.

Nicht nur Erna soll geholfen werden

Vor diesem Hintergrund entstand die "Aktion Erna". Seit einigen Wochen sammeln Andrea und Axel Brunner Geld, damit Handgretinger weitere sogenannte Einzelheilversuche vornehmen kann. Fast 200.000 Euro sind bereits zusammengekommen. Ernas Therapie ist längst gesichert. Nun soll die Aktion möglichst vielen krebskranken Kindern zugutekommen.

An Zimmer 210 steht in bunten Buchstaben: ERNA. Fast die Hälfte ihres bisherigen Lebens hat die Vierjährige in der Tübinger Uniklinik verbracht. Erna ist zu schwach zum Aufstehen. Neben ihrem Bett steht ein Ständer, aus Flaschen tröpfeln Medikamente, ein Katheter führt direkt in ihre Brust. Erna quengelt. Ihre Mutter legt sich neben sie, kuschelt sich an ihren Rücken und flüstert ihr ins Ohr. Erna wird ruhig. Ihre Kulleraugen starren ins Leere, ganz so, als würde sie in die Zukunft schauen.

Im Januar soll Erna erneut eine Chemotherapie und eine Stammzelltransplantation bekommen - diesmal mit ihrer Mutter als Spenderin. Anschließend werden ihr Antikörper gespritzt. Dann haben die Ärzte alles getan, was sie tun konnten.

Tübinger Spendenaktion: Hilfe für krebskranke Kinder

Antikörper: Etwa jedem zehnten an Leukämie erkrankten Kind helfen weder Chemotherapie noch eine Stammzelltransplantation. Ein an der Tübinger Universitätskinderklinik unter der Leitung des ärztlichen Direktors Rupert Handgretinger entwickeltes Verfahren könnte solchen Patienten künftig das Leben retten. Spezielle Antikörper werden gespritzt, spüren im Körper die Leukämiezellen auf und markieren diese. Dadurch wird es dem Immunsystem erleichtert, die Blasten zu bekämpfen. Die Herstellung der Antikörper im Labor ist jedoch teuer und darf von den Krankenkassen nicht bezahlt werden, da es sich bei den Behandlungen um sogenannte Einzelheilversuche handelt.

Aufruf: Für die vierjährige Erna Brunner sind die Antikörper die letzte Hoffnung. Ihre Eltern wollen nicht nur erreichen, dass ihre Tochter damit behandelt wird, sondern auch andere an Blutkrebs erkrankte Kinder. Zudem soll das Verfahren in einer klinischen Studie weiterentwickelt werden. Für diesen Zweck hat das Ehepaar bei der Stiftung des Fördervereins für krebskranke Kinder ein Spendenkonto eingerichtet: Stiftung Förderverein, Volksbank Herrenberg, BLZ 603 91310, Kontonummer 509000, Verwendungszweck „Aktion Erna“.

Weitere Informationen: Aktion Erna, Facebook-Gruppe und Stiftung des Fördervereins für krebskranke Kinder.