Vor 40 Jahren mussten Frauen in einer Selbsthilfegruppe darum kämpfen, dass sie als Tagesmütter auch als qualifizierte Betreuungskräfte anerkannt wurden. Heute sind sie gefragter denn je – auch in Stuttgart.

Stuttgart - Kita, Kindergarten, Krippe – diese Auswahl hatten Familien vor 40 Jahren nicht. Erziehung und Kinderpflege galten als Frauensache, arbeitende Mütter waren in der Regel nur aus wirtschaftlichen Gründen berufstätig. Andererseits gab es jene, die bereit waren, ein fremdes Kind tagsüber in die Familie aufzunehmen. „Einen Kindergartenplatz bekamen Kinder erst vom vierten Lebenjahr an“, erinnert sich Barbara Penkwitt, eine der Gründungsfrauen in Stuttgart.

 

40 Säuglinge standen auf der Warteliste in Stuttgart. Für sie suchte die damalige Bonner Familienministerin Antje Huber (SPD) eine Betreuungsform, „bei der die Kinder keinen Schaden nehmen“, hieß es damals. Das Modellprojekt „Tagesmutter“ wurde für drei Jahre in sieben Städten erprobt, vom Deutschen Jugendinstitut für gut befunden – und von der Familienministerin fallen gelassen. Die seitdem gegründeten Tagesmütter-Vereine, so ihre Begründung, würden die Kontinuität dieser Arbeit ja sichern.

Tagespflege wird inzwischen honoriert

Die Vereine waren die pure Notlösung. Während der Modellphase bezahlte die Stadt die Betreuung aus Geldern für die Kinderpflege. Als das Modell beendet war, fiel auch die städtische Unterstützung weg. Fortan mussten die Tagesmütter die Bezahlung mit den Eltern selbst aushandeln – doch die meisten trauten sich nicht, etwas zu verlangen. Besonders bitter war diese Entwicklung für Frauen, die Kinder zur Pflege aufnahmen. Ihre Professionalität und die Vermittlung von Kindern an sie waren ohne das Modell infrage gestellt. Also sprangen die Vereine ein, stellten Regeln für die Bezahlung der Tagesmütter auf und organisierten die Qualifizierung der Frauen in Eigenregie.

Heute kann der Stuttgarter Tagesmütter- und Pflegeelternverein auf 125 Aktive zurückgreifen, wenn es bei der Tagesbetreuung klemmt. „Oder wenn die Eltern die ganz Kleinen lieber in einem familiären Rahmen als in einer großen Kita betreuen lassen wollen“, sagt Karin Pfeiffer, die Vorsitzende des Stuttgarter Vereins. Die Aktiven, zum Großteil Frauen, haben 350 Kinder unter drei Jahren und 29 Schulkinder unter ihren Fittichen. Und anders als in der Zeit nach dem Modellversuch vor 40 Jahren beteiligt sich die Stadt Stuttgart an den Kosten: Pro Kind im Alter bis zu drei Jahren bekommen die Tagesmütter und -väter 5,50 Euro pro Stunde, einen Teil der Sozialversicherungskosten und einen Kostenersatz, wenn ein Kind wegen Krankheit ausfällt. Die Eltern müssen, unabhängig vom Einkommen, 1,35 Euro pro Kind und Stunde und das Essensgeld analog zur Kita selbst bezahlen. Schulkindbetreuung müssen Mütter und Väter nach wie vor aus eigener Tasche bezahlen.

Der Mangel an Kitaplätzen macht die Arbeit des Vereins für die Stadt interessanter denn je: „Wenn Eltern mit einem Kind über drei Jahren keinen Kitaplatz finden, bezahlt die Stadt auch bei ihnen die Tagespflege“, sagt Karin Pfeiffer. Das Geschäftsfeld des Vereins könnte weiter wachsen.

Der Stadt fehlen ausgebildete Erzieherinnen, so dass Kitas nicht so viele Kinder aufnehmen können, wie eigentlich Platz dafür wäre. „Die Stadt hat bei uns angefragt, ob wir in leer stehenden Räumen eine Betreuung einrichten könnten“, so Pfeiffer. Das Personal könnte der Verein aus 107 sogenannten passiven Mitgliedern rekrutieren. Das sind Frauen und Männer, die keine Kinder in ihrer Wohnung aufnehmen dürfen, weil sich die Vermieter dagegen zur Wehr setzen oder deren Wohnung zu klein ist. „Wir könnten vermutlich schnell einig werden mit dem Jugendamt“, schätzt Pfeiffer.

Platzmangel in Kitas eröffnet neue Möglichkeiten

Die Tageseltern kämen nicht ohne Vorbildung in die Kitas. Vor 40 Jahren hatte noch ein Kurs gereicht, der an drei Abenden stattfand, heute müssen die Tagesmütter 160 Unterrichtsstunden, ein Kolloquium und einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren, zusätzlich bilden sie sich jährlich mit mindestens 15 Unterrichtseinheiten weiter. Mittel stellt das Land zur Verfügung, die Vereine organisieren die Qualifizierung.

Ein Fest zum Jubiläum

Ein Sorgenkind ist der Pflegekinderbereich. Auf 25 Vereinsmitglieder kann der Verein zählen, wenn ein Kind in eine Pflegefamilie vermittelt werden soll. Allerdings müsse die Stadt, so Pfeiffer, oftmals in Pflegefamilien in die Region vermitteln, weil es in Stuttgart an großen Wohnungen für Familien mit mehreren Kindern fehlt.

Trotzdem: Im Vergleich zu der wechselhaften Zeit vor 40 Jahren sieht Karin Pfeiffer viel erreicht. Das wird am 1. April im Bürgerzentrum West, Bebelstraße 22, von 15 Uhr an gefeiert.