Die Wartelisten für Kindertagesstätten werden insbesondere durch zugezogene Flüchtlinge länger. Das Kultusministerium rät zum Zusammenrücken zugunsten der Flüchtlingskinder, doch die Träger in Stuttgart lehnen diesen Vorschlag ab.

Stuttgart - Bis vor wenigen Jahren konnte Stuttgart stolz vermelden, dass für jedes Kind von drei bis sechs Jahren ein Platz in der Kindertagesstätte frei ist. Zuzüge und die höhere Geburtenzahl haben Eltern diese Sicherheit genommen. Hinzu kommen Kinder aus Flüchtlingsfamilien, die rasch Deutsch lernen und die hiesige Kultur erfahren sollen. Deshalb erlaubt das Kultusministerium den Kita-Trägern eine Überbelegung ihrer Gruppen: Bis zu zwei Flüchtlingskinder dürfen über die normale Gruppengröße hinaus vorübergehend aufgenommen werden, ohne dass der Träger dafür eine Genehmigung vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) braucht.

 

In den Stuttgarter Kitas werden zurzeit 250 Kindergartenkinder mit Fluchterfahrung betreut, oft war dies nicht einfach. „In der Gruppe unserer Tochter ist ein Kind aufgenommen worden, das anhaltend geschrien hat“, erzählt eine Mutter aus einer Einrichtung. Ein weiteres Flüchtlingskind habe immer wieder andere geschlagen. Obwohl es schon größer war, habe es zur Beruhigung herumgetragen werden müssen. Die Unruhe in der Gruppe sei groß gewesen.

Keine weiteren Interessenten zu finden

Der größere Aufwand soll mittels einer „weiteren geeigneten Kraft“ aufgefangen werden. Laut KVJS soll diese eine pädagogische Vorbildung, deutsche Sprachkenntnisse, physische und psychische Belastbarkeit sowie Kenntnisse zum Gruppenverhalten der Kinder, Alter und Entwicklungsstand der einzelnen Kinder, zur Gruppengröße, zu räumlichen und örtlichen Gegebenheiten mitbringen. „Wo kriege ich denn diese geeignete Kraft her“, fragt nicht nur Hermann Beck, der Kirchenpfleger des Evangelischen Stadtverbands in Stuttgart. „Wer in Kitas reingeht und weiß, wie stark sich der Anspruch ans Personal und dessen Professionalität erhöht haben, der weiß auch, wie groß der Schulungsbedarf für eine so genannte geeignete Person ist“, so Beck weiter, „die Verwaltungsvereinfachung ist nicht zielführend, so lange keine Fachkräfte verfügbar sind.“

Aus demselben Grund hegt auch die Leiterin des Stuttgarter Jugendamts, Susanne Heynen, Zweifel: „Uns wurde eine Option eröffnet, die aus unserer Sicht nicht realistisch ist. Lieber will ich unsere Ausbildungskapazitäten erweitern, Personal qualifizieren und halten. Wir versuchen ja ohnehin schon Leute für diese Art von Arbeit, auch für die Betreuung in den Randzeiten, zu interessieren. Zusätzliche, weitere Interessenten werden wir wohl kaum finden.“

202 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, davon 133 aus Flüchtlingsunterkünften, stehen auf der Warteliste, „und zwar gleichwertig“, sagt Heynen. Statt nur für die Gruppe der Flüchtlinge eine Ausnahme zu machen, versuche man, das Anmeldewesen durch eine Zentralisierung zu verbessern. In 100 von 120 evangelischen Kitas werden zurzeit 115 Kinder zwischen drei und sechs Jahren sowie zehn Kleinkinder betreut, die eine Flucht hinter sich haben. In den 70 Einrichtungen der Katholischen Kirche Stuttgart sind es nach Angaben von Pressesprecherin Nicole Höfle zurzeit 80 Kinder. Auch dort wolle man „an der bisher bewährten Praxis nichts ändern“. Das heißt: Muss eine Gruppe aus aktuellem Anlass vorübergehend vergrößert werden, stelle man wie bisher einen Antrag auf Überbelegung. Das hat den Vorzug, dass die Gruppe nicht nur für Flüchtlingskinder vergrößert werden darf, sondern auch für Kinder aus hiesigen Familien. „Nur für Flüchtlinge eine Ausnahme zu machen, finde ich sehr unglücklich“, sagt Kirchenpfleger Hermann Beck.

Positive Erfahrungen überwiegen

Laut Pressesprecher Matthias Schneider habe die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unter anderem wegen der höheren Belastung des Personals bei Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) gegen die Verwaltungsvereinfachung interveniert. Andrea Haizmann, Leiterin des städtischen Fachzirkels für Qualität und Qualifizierung, bestätigt: „Die Betreuung von Flüchtlingskindern ist eine Herausforderung, vor allem am Anfang.“ Es seien durchschnittlich drei bis vier Termine pro Aufnahme nötig, um alles zu erklären und zu besprechen. „Aber vor allem syrische Kinder sind sehr sprachbegabt und lernen schnell“, sagt sie. Probleme wie die oben geschilderten „sind Einzelfälle, es überwiegen die positiven Erfahrungen, auch mit den Eltern“.

Friederike Zaumseil ist Leiterin einer evangelischen Kita in Botnang. Dort werden, wegen der nahen Sammelunterkunft, seit zwei Jahren Flüchtlingskinder aufgenommen – bisher ohne Verwerfungen. Ganz im Gegenteil: „Wir haben, auch durch die Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Familienzentrum und durch Gartenprojekte, selbst die Eltern gut integrieren können“, sagt sie. Dies erfordere aber Zeit. Schon jetzt überbrücke man in den Kitas mit unausgebildeten Kräften Personallücken, insofern sei der Vorschlag des Ministeriums keine Lösung. Zumseil: „So geht man nicht mit Erzieherinnen um.“