Härtetest für Väter: beim Adventsbasteln im Kindergarten sind Feinmotorik und Sinn für Farben angesagt. Männer sind in der Kita oft in der Minderheit und beim Kleben und Schneiden eher ungeschickt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Haben Sie Wolle? Ich meine eher so zerknäulte Wolle. Also mehr Büschel, eigentlich. Wofür? Na ja, diese Schneemänner zum Basteln, also die sollen ja rundlich wirken, aber nicht zu dick, wissen Sie. Ich habe die Anleitung aus dem Internet. Da steht auch was von Filz und Bastelwatte. Und hier die Schablone zum Aussägen. Kann man da eine Stichsäge verwenden? Und die Augenlöcher mit dem Akkuschrauber bohren? Wissen Sie was: Packen Sie mir doch alles ein, was man braucht – ich gehe solange einen Kaffee trinken.“ Wir klinken uns aus dieser Szene jetzt aus, die in der Vorweihnachtszeit ja alltäglich ist.

 

Eltern, die gerade noch als Controller, Außendienstler, Journalisten oder Monteure unterwegs waren, erkunden die ihnen fremde Sphäre der Hand- und Bastelarbeit. Statt mit Kennzahlen oder Projektsteuerungen, Roll Outs und Plasma-Schweißanlangen haben sie es mit dem Instrumentarium einer verträumten alten Welt zu tun, die es vermutlich nie gegeben hat. Wie Lemuren erscheinen Wichtel, Styroporschweine und kuschelweiche Schneemänner. Pompons, Girlanden, Halbperlen, Rocailles und Filznadeln bevölkern Gedanken und Albträume.

Eltern bei der Handarbeitsprüfung

Federführend bei diesem Rückfall ins Zeitalter aus Wolle und Filz sind die Kitas und Grundschulen, die Eltern freundlich, aber unerbittlich zur Bastelarbeit verpflichten. In der alten Welt brauchte man Filz zum Überleben – heute versuchen Eltern, diese Handarbeitsprüfung zu überleben. Sie gehen in die Adventsbastelstunde mit dem gleichen unbehaglichen Gefühl, als müssten sie einen Power-Point-Vortrag präsentieren, ohne zu wissen, in welchem Unterordner des Laptops die Daten versteckt sind.

Vor allem für Männer ist die Adventsbastelstunde ein unbekanntes und gefahrvolles Terrain. Sie sind an den Umgang mit harten Materialien gewöhnt, Filz und Bast sind ihnen fremd. Positiv gewendet, könnte man sagen, sie machten sich anheischig, bisherige Domänen der Frauen zurückzuerobern. Nun ja. Hüftsteif sitzen sie auf winzigen Stühlen, schielen zur Nachbarin und schneiden fahrige Muster in Buntpapier. Manchmal allerdings tritt ein tief verschütteter Ehrgeiz zu Tage. Gewohnt, Optimierungspotenziale zu identifizieren, ergreifen sie die Initiative und nehmen sich jener Kinder an, deren Motorik nur noch zu Smartphone-tauglichen Wischbewegungen in der Lage ist. Und wie durch ein Wunder präsentieren nach diesem Stahlbad auch Zoran, Kevin oder Marcel einen endmontierten Adventssterns.

Aus der Käseschachtel wird eine Geschenkdose

Männer, die durch diese Schule gegangen sind, treten im kommenden Jahr anders auf. Schon beim Elternabend überraschen sie die Anwesenden mit präzisen Vorschlägen für die Umformung einer Käseschachtel zur Geschenkdose. Und den Bastelladen betreten sie so selbstbewusst wie eine Sky-Bar beim Championsleague-Finale: „Also, ich brauche eine Ausstanz-Schablone Schneemann - ja die sieht ja ganz reizend aus. Und geben Sie mir noch Füllwatte und weißes Styroporband dazu. Und 2,3 Millimeter große Glasperlen – natürlich irisierend, was denken Sie denn!“