Das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium zeigt im Theaterhaus „Brundibár“ und skizziert die Geschichte der Kinderoper, ohne sie dem Stück überzustülpen.

Stuttgart - Eisverkäufer mit spitzen Waffelhüten schieben ihre Wagen über den Platz, ein Bäcker preist seine Waren an, auch der Milchmann ist da. Ihn suchen die Geschwister Aninka und Pepícek auf, um frische Milch für ihre kranke Mutter zu besorgen. Aber es mangelt an Geld, und Wohltätigkeit ist nicht die Stärke dieses Herrn. Die Eröffnungsszene der Kinderoper „Brundibár“ spielt in einer nicht näher definierten Dorfkulisse.

 

Die Besucher, die sich im Theaterhaus eingefunden haben, um die Aufführung des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums zu besuchen, erleben die Handlung vor dem historischen Hintergrund des Stücks, das mehr als 50 Mal im Konzentrationslager Theresienstadt aufgeführt wurde. Dabei sind keine Hakenkreuze oder Judensterne auf der Bühne zu sehen.

Das Opernprojekt soll auch die jungen Talente fördern

„Es ärgert mich, wenn versucht wird, den Nationalsozialismus in ,Brundibár‘ hineinzuinszenieren“, stellt Hannelore Brenner fest. „Es handelt sich um eine Kindergeschichte, die in einem ganz anderen Kontext entstanden ist.“ Gemeinsam mit Schülern der Kursstufe 1 hat die Autorin und Verlegerin allerdings eine Einführung in den Theaterabend erarbeitet. Hier kommen Zeitzeugen zu Wort: Mädchen, die an „Brundibár“ mitwirkten und später in Vernichtungslager deportiert wurden. Überlebende, die sich erinnern. Originalstimmen aus Interviews und vorgetragene Passagen wechseln.

Das ist bewegend und wirkt nach, wenn die jüngeren Akteure wenig später die Bühne in einen bunten Marktplatz verwandeln. Die jüngsten Chorsänger und Solisten haben das Stück eingeübt, ohne sich mit der Aufführungsgeschichte zu befassen. Einer von ihnen ist Johannes Rempp, der den Pepícek verkörpert. Der Fünftklässler geht ganz in seiner Rolle auf und weiß ebenso wie Nora Liebhäuser (Aninka) gesanglich zu überzeugen.

„Dieses Schulprojekt hat auch den Charakter einer Talentförderung“, erklärt Dirk Siegel, der maßgeblich für die musikalische Einstudierung verantwortlich ist. ,Brundibár‘ ist dafür ideal, da es kleine, mittlere und große Rollen gibt und das Gesamtwerk nur rund 35 Minuten umfasst.“ Wo Begabung vorhanden, aber kein Raum im Libretto war, wurde improvisiert. So steppt in der Ebelu-Fassung zwischendurch der Bär auf dem Markt. Auch zwei Balletttänzerinnen wurden hinzugefügt. Einen großen Auftritt haben neben den Darstellern und dem kleinen Orchester auch die Musikmentoren – Schüler der Klassenstufe 9, die gerade das Dirigieren lernen. Sie teilen sich die Aufgabe, den Takt anzugeben.

Hans Krásas Kompositionen verweisen sowohl auf die Tonsprache Kurt Weills, als auch auf die tschechische Folklore. Man sollte meinen, dass diese Mischung für die jüngsten Gymnasiasten gewöhnungsbedürftig wäre. Siegel verneint das: „Natürlich war diese Klangwelt etwas Neues für sie, aber die Lieder sind im Grunde dankbar zu singen.“

Ausgangspunkt des Projekts war eine Anfrage des Hauses der Heimat. „Brundibár“ ist Teil einer Veranstaltungsreihe der Institution, die auch als Kooperationspartner mit im Boot blieb. Das machte sich bei der historischen Einbettung bezahlt. So hatten Schüler Gelegenheit, mit Holocaust-Überlebenden zu sprechen.

Überhaupt waren die Monate der Vorbereitung für alle Beteiligten reich an neuen Erfahrungen. „Was passiert jetzt mit den Kostümen?“ fragt ein Mädchen nach dem Schlussapplaus. Zwei Aufführungen an einem Tag – mehr ist vorerst nicht vorgesehen. „Wir heben alles auf“, verkündet Dirk Siegel. „Wer weiß? Vielleicht kommt es ja zur Wiederaufnahme?“ Angesichts der Brisanz, die das Stück im historischen Kontext besitzt und der musikalischen Leistung des Ensembles, die mit kräftigem Applaus belohnt wurde, wäre dies in jedem Fall wünschenswert.