Das Internet ist ein Tummelplatz für Pädokriminelle. Viele sind aufgeflogen, kaum dass eine Spezialtruppe des Landeskriminalamts mit der gezielten Verfolgung begann. Doch die Fahnder wünschen sich mehr Rückhalt durch den Gesetzgeber.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Elf Jahre lang hatte die Polizei den Mörder des elfjährigen Tobias aus Weil im Schönbuch gesucht. Der Junge war im Oktober 2000 erstochen und verstümmelt worden. Dann, im Mai 2012, klopften Polizisten an der Tür des Bäckers Rolf H. aus dem Kreis Esslingen. Der damals 48-Jährige war als Nutzer von Kinderpornoseiten im Internet aufgefallen. Irgendwann kam einem Polizisten in den Sinn, den Bäcker zu fragen, ob er etwas mit dem Tod von Tobias zu tun hätte. Die Antwort war ein lakonisch vorgetragenes Geständnis.

 

Der Fall belegt, dass der Konsum von Kinderpornografie oft Vorläufer schwerer Verbrechen ist, er zeigt aber auch, dass die brav-bürgerliche Fassade der Täter kaum zu durchschauen ist, dass es keine einschlägigen Persönlichkeitsprofile gibt. „Sie sind allen sozialen Schichten und Altersgruppen zuordenbar“, sagt Achim Traichel vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Der Kriminalhauptkommissar gehört der Fachabteilung Cyberkriminalität an, die 2006 als Arbeitsbereich „anlassunabhängige Recherche“ begonnen hat. Ein gerahmtes Foto auf dem Schreibtisch zeigt Cybercop Traichel zusammen mit seinen Kindern. Es hilft ihm, Bilder und Filmsequenzen zu verarbeiten, von denen sich liebende Eltern normalerweise keine Vorstellung machen.

„Wir wissen, wo sich unsere Klientel tummelt“

Das Brutalomaterial fischen die Spezialisten gezielt aus dem Netz. „Wir wissen, wo sich unsere Klientel tummelt“, sagt Traichel. Die gute alte Google-Suchmaschine braucht er für seine Fahndung nicht, denn sie wird auch von Pädokriminellen meist umgangen. Das Geschäft läuft vielmehr über einschlägige Internet-Tauschbörsen; Programme, die auf den Rechner geladen werden und sich selbstständig mit anderen Nutzern auf der ganzen Welt verbinden. „Das sind eigentlich Vervielfältigungsautomaten“, beschreibt der Kriminalhauptkommissar. „Da nehmen Millionen Menschen teil.“ Auf den Bildschirmen des LKA-Fahnders sind solche Programme abgebildet, sie gleichen endlosen Annoncenlisten. Traichel zeigt auf das chiffrierte Zahlen-Buchstaben-Kürzel eines Nutzers. „Der sucht gerade Material, das Sex mit einem dreijährigen Kind zeigt.“

Das Landeskriminalamt ist hochgerüstet für den Kampf mit den „Pädos“, die in allen Kinder- und Jugendchatforen längst Thema sind. Wer etwa den Kik Messenger, eine häufig verwendete Alternative zum Nachrichtendienst WhatsApp, mit angeblich 100 Millionen Nutzern anklickt und die „Erfahrungsberichte“ liest, der weiß, was gemeint ist. Bloß keine „Pädos“, mahnen unisono die Jugendlichen, die hier den Austausch suchen.

Die Vorratsdatenspeicherung würden den Fahndern helfen

In der Schwerpunktabteilung des Landeskriminalamts haben sie für die Grenzbereiche der Legalität im Grunde keine Zeit, obwohl zum Beginn des Monats gerade wieder 15 neue Cyberkriminalisten eingestellt wurden. Für diese Sonderlaufbahn wurden IT-Spezialisten angeworben, die innerhalb eines Jahres zu Polizisten in gehobener Laufbahn ausgebildet werden. Einen wichtigen Job haben externe Spezialisten bereits für das LKA erledigt: eine Spürsoftware zu entwickeln, die dynamische IP-Adressen im Internet wirksam verfolgt und Nutzer von illegalem Bildmaterial entlarvt. Und zwar so, dass die Ermittlungsergebnisse gerichtsverwertbar sind.

In einem Regal im Büro Achim Traichels stapeln sich, eingebunden in rotem Karton, die jüngsten Akten von Verdächtigen. Es könnten noch viel mehr sein, sagt der Ermittler, wenn die Vorratsdatenspeicherung erlaubt wäre. Traichel zieht einen Vergleich zu einem Bankräuber: Man müsse sich vorstellen, es gebe Tatzeugen, und das Kfz-Zeichen – hier die IP-Adresse – sei bekannt. Aber die Kfz-Zulassungsstelle dürfe den Namen des Halters aus Datenschutzgründen nicht nennen. „Unser Gesetzgeber ist da in der Pflicht“, fordert er.

Die Fahnder wissen nicht, wie lange sie die Bilder aushalten

Doch immerhin: als das LKA 2006 begonnen hat, Pädokriminelle gezielt zu verfolgen, war es, als würde gegen endlose Dominoreihen getippt werden. Im Jahr 2007, auf die Anzeige eines baden-württembergischen Internetdienstanbieters hin, wurden im Großverfahren „Penalty“ 5500 Anbieter und Nutzer von strafbarer Kinderpornografie ermittelt. 2009 hoben die Stuttgarter eine Internettauschbörse aus, ließen in Zusammenarbeit mit der Justiz in Deutschland mehr als 500 Computer beschlagnahmen. Das Resultat der Operation „Collection“ waren weltweit mehr als 10 000 Ermittlungsverfahren.

Im vergangenen Jahr haben die Internetfahnder 66 Operationen gegen verdächtige Pädokriminelle koordiniert, gegen insgesamt 534 Einzeltäter wurden Verfahren eingeleitet. Die Bilder und Filme, die für die Gerichte später gesichtet und exakt beschrieben werden müssen, gehen auch über den Schreibtisch von Michael Pinther. Der Kriminaloberkommissar verantwortet beim Landeskriminalamt die Ansprechstelle Kinderpornografie, die für Dienststellen im ganzen Land ebenso wie für Bürger da ist, denen beim Surfen im Netz etwas Verdächtiges auffällt. Er muss dokumentieren, was oft Säuglingen angetan wird, und darf dabei den Kopf nicht verlieren. „Am Anfang, als meine Tochter noch klein war, war’s schon schwer“, sagt Michael Pinther. Er wisse nicht, sagt er, wie lange er diese Auswertungen noch durchhalten werde. Noch sei die Motivation stärker, möglichst viele Kinder aus ihrem alptraumhaften Schicksal zu befreien.