Der schreckliche Missbrauchsfall von Staufen lehrt: Die Zusammenarbeit der Behörden muss besser werden. Wie das geht? Experten legen Vorschläge vor.

Stuttgart - Um sexuellen Missbrauch von Kindern besser verhindern und Opfern besser beistehen zu können, sollen in Baden-Württemberg mehr Traumatherapieplätze und Kinderambulanzen geschaffen werden. Darüber hinaus macht sich die Kommission Kinderschutz gemeinsam mit dem baden-württembergischen Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) für eine Pflicht zur Zusammenarbeit von Familiengerichten und Jugendämtern, das Recht der Polizei auf die Durchsuchung von Wohnungen und Computern sowie eine gezielte Lockerung von Datenschutzregeln stark.

 

Eingesetzt wurde das Expertengremium nach dem Missbrauchsfall von Staufen. Dort wurden ein kleines Mädchen und ein Junge durch die Mutter des Jungen und ihren Lebensgefährten jahrelang missbraucht und im Internet als Sexualobjekt angeboten und verkauft.

„Völlig verschiedene Fachsprachen“

Die Kommission arbeitete als zentrales Defizit im Umgang mit Missbrauchsfällen heraus, dass die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen, die in solchen Fällen Verantwortung tragen, nicht gut funktioniert. Sowohl die unterschiedlichen Vorgehensweisen als auch die völlig verschiedenen Fachsprachen in Justiz, Polizei und Jugendämtern führten dazu, dass Informationen in Einzelfällen gar nicht oder nicht rechtzeitig weitergegeben würden, erläuterte Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut in München. Datenschutzregeln erwiesen sich zudem häufig als Hemmnis bei der Zusammenführung von Informationen. „Dabei ermöglicht erst die Zusammenschau der Erkenntnisse eine solide Gefährdungsabschätzung im Einzelfall“, betonte sie.

Auch Frauen und Mütter können zu Tätern werden

Der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Jörg Fegert verwies darauf, dass Risikoprognosen für Kindesmissbrauch auch deshalb in der Praxis falsch seien, weil die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen und auch Mütter zu Tätern werden, häufig stark unterschätzt werde. Nach seinen Kenntnissen sind zehn bis 15 Prozent der Täter in Fällen von sexuellem Missbrauch weiblich; unter ihnen stellten die leiblichen Mütter einen höheren Anteil als die leiblichen Väter unter den männlichen Tätern. Fegert forderte auch den Ausbau der Therapieplätze und verwies darauf, dass bisher nur die Hälfte der Opfer überhaupt traumaspezifische Behandlungen erhalte.

Kinder müssen im Verfahren Gehör finden

Große Dringlichkeit legte die Vizepräsidentin des bayerischen Landeskriminalamtes Petra Sandles in die Forderung, dass jedes Kind in einem Missbrauchsfall von den Behörden angehört werden müsse. Für Richter und Polizeibeamte soll nach Auffassung der Kommission, der alle zitierten Experten angehören, eine Weiterbildungspflicht gelten, um Standards im Blick auf die Risikoeinschätzung festzulegen und ihnen zu vermitteln, wie Kinder aller Altersstufen erfahrungsangemessen befragt werden können.

Um manche Forderungen umsetzen zu können, ist eine Novellierung von Bundesgesetzen notwendig. Sozialminister Lucha erklärte sich angesichts einer sowieso anstehenden Novellierung im Sozialgesetzbuch „guten Muts“, bis zur Bundestagswahl Fortschritte erzielen zu können.