Wenn die Kita die Arbeitszeit nicht abdeckt, haben Eltern in Stuttgart ein Problem. Aber es soll besser werden.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Schon eine Stunde würde den Unterschied machen. „Jeden Tag habe ich Angst, nicht rechtzeitig zur Kita zu kommen“, erzählt die Stuttgarter Ingenieurin Claire Cantarellas. Gibt es Stau, steigt ihr Stresspegel enorm. Auch wenn sie einen beruflichen Termin um 15 Uhr hat, muss sie diesen eigentlich verschieben und auf das Verständnis der Kollegen hoffen. In Claire Cantarellas Firma gelten keine festen Arbeitszeiten, aber ihr Berufsalltag ist trotzdem getaktet: Spätestens 16.15 Uhr muss die 31-Jährige aufhören zu arbeiten. Sonst ist sie zu spät in der Kita, um ihre vier- und eineinhalbjährigen Kinder abzuholen. Die Einrichtung schließt 17 Uhr.

 

Katharina Kaiser geht es ähnlich. Die gelernte Ergotherapeutin und zweifache Mutter beginnt im Februar ein sonderpädagogisches Fachstudium. Die Kita hat bis 16 Uhr geöffnet, doch ihre Seminare enden um 17 Uhr. Vor 17.30 Uhr kann sie nicht vor Ort sein. Schon um 15.30 Uhr gehen? Das sei unmöglich, sagt die Stuttgarterin. „Wenn man für acht Stunden eine Betreuung hat, kann man, wenn es gut läuft, sieben Stunden arbeiten, eine Vollzeitstelle ist da nicht möglich“, sagt Katharina Kaiser.

Flexiblere Öffnungszeiten gewünscht

Hauptsache ein Kitaplatz – das ist der erste Gedanke vieler berufstätiger Eltern. Doch was ist, wenn der ergatterte Platz nicht den Arbeitszeiten entspricht? Selbst von einer Öffnungszeit bis 17 Uhr können viele Stuttgarter Eltern nur träumen. Auch Ganztagseinrichtungen schließen oft bereits um 15.30 oder 16 Uhr.

Laut einem Bericht der städtischen Familieninformation äußern vor allem Frauen, die im Dienstleistungssektor oder im Einzelhandel arbeiten, in den Sprechstunden regelmäßig den Wunsch nach flexibleren Öffnungszeiten über die Ganztagsregelung hinaus. Diese Branchen sind besonders von einer Flexibilisierung und Ausdehnung der Arbeitszeiten betroffen.

Auch in Teilzeit arbeitende Frauen haben heute ein Problem, wie die Leiterin der Abteilung Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut in München, Karin Jurczyk schildert: „Die klassische Teilzeitarbeit findet nicht mehr nur am Vormittag statt, sondern auch am Abend und samstags.“ Da die Kitas diesen Bedarf meistens nicht abdecken, brauche man für die Kinderbetreuung mehrere Netze, sagt die Soziologin: Großeltern oder Nachbarn, die einspringen. Ähnliches gelte für Angestellte, die regelmäßig auf Dienstreise sind.

Gutes Personal ist sehr rar

„Babysitter gesucht, um unsere Kinder (3,5 und 1 Jahr) um 16.45 Uhr in der Kita abzuholen und nach Hause zu bringen bis 18 Uhr, drei Mal die Woche“ – „Unternehmungslustige Kinderfrau gesucht für unsere 3-jährige Tochter, Montag bis Donnerstag, 15.30 bis 18 Uhr, inklusive Abholung vom Kindergarten“. In der Stuttgarter Elternzeitschrift Luftballon inserieren regelmäßig Väter und Mütter auf der Suche nach einer „Ersatzoma“ oder einem Babysitter.

Auch Katharina Kaiser und Claire Cantarellas haben eine entsprechende Anzeige aufgegeben – doch wirklich gute Leute hätten sich nicht bei ihnen gemeldet, denen sie ihre Kinder regelmäßig anvertrauen wollten. Wer gut ist, hat es in der Regel nicht nötig, zu unattraktiven Zeiten hochflexibel zu arbeiten. Oder er ist bereits von einem professionellen Anbieter abgeworben worden. Zum Beispiel von „Himpelchen und Pimpelchen“ im Westen.

Hilfe für fast alle Notfälle

Im Jahr 2002 hat die Geschäftsführerin Cornelia Bains als Tagesmutter angefangen, heute beschäftigt sie 28 Mitarbeiter – in ihrem Team sind Festangestellte, aber auch Honorarkräfte und Minijobber. Seinen Erfolg verdankt „Himpelchen und Pimpelchen“ auch den Lücken im Kitasystem. Das Unternehmen bietet nicht nur 110 Betreuungsplätze, sondern auch eine Hilfe für quasi alle Notfälle an, die Eltern treffen können: Krankheitsbetreuung zu Hause, Babysitting auch samstags und sonntags, Notfallbetreuung in der Kita-Urlaubszeit, Kindertaxi. „Wir fahren die Kinder nach Hause und betreuen sie dort oder wir fahren sie zu den Eltern ins Büro oder betreuen sie in unseren Räumlichkeiten weiter“, erklärt Cornelia Bains. Die Sonderleistungen will sie ausbauen, kündigt die 42-Jährige an. Für Geringverdiener ist das Angebot allerdings nichts (siehe Infokasten).

Angesichts des Fachkräftemangels wird auch für die Wirtschaft das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer wichtiger. So mahnt die Industrie- und Handelskammer Handlungsbedarf an, was die Öffnungszeiten der Kindertagesstätten angeht. „Flexibilität ist das A und O, das Gros der Einrichtungen folgt allerdings einem festgelegten Plan, da vermisse ich, dass auf die Bedürfnisse reagiert wird“, kritisiert die IHK-Referentin Stefanie Thimm, die für das Thema zuständig ist.

„Das ist ein Riesenfortschritt“

Allerdings dürfte sich in diesem Jahr zumindest für einen Teil der Eltern die Lage verbessern. Seit Januar werden Früh- und Spätdienste in Kitas gesondert bezuschusst – allerdings nur für die Hälfte der Ganztagsgruppen.

„Das ist ein Riesenfortschritt“, betont der Jugendamtsleiter Bruno Pfeifle. Grundlage ist der neue Mindestpersonalschlüssel, der im Oktober vom Gemeinderat abgesegnet wurde. 3,8 Millionen Euro hat die Stadt pro Jahr für die Förderung verlängerter Öffnungszeiten veranschlagt. Jetzt seien die Träger in der Pflicht, Anträge zu stellen, so Pfeifle. Nach der Landesvorgabe können nur Einrichtungen für Drei- bis Sechsjährige zum Zuge kommen. „Da sind wir großzügig, das betrifft auch Null- bis Dreijährige“, versichert aber der Jugendamtsleiter gegenüber der StZ. Er rechnet damit, dass in Zukunft mehr Einrichtungen länger geöffnet haben. Und was die Beschäftigten im Einzelhandel angeht, spielt Pfeifle den Ball an die Arbeitgeber: „Wenn sich die Einzelhändler in Stuttgart zusammenschließen, um eine Kita zu gründen, würden wir sie massiv unterstützen.“

Katharina Kaiser und Claire Cantarellas würde eine längere Öffnungszeit in ihren Kitas enorm helfen. Die Studentin hat zwar über Bekannte doch noch einen Babysitter gefunden, allerdings wäre die Kitalösung deutlich günstiger. Claire Cantarellas improvisiert vorerst weiter. „In Deutschland gibt es keine Strukturen, die es erlauben, dass Frauen in Führungspositionen arbeiten können“, sagt die Ingenieurin.