Das Jugendamt hat Erfolg bei der Akquise von Erzieherinnen. Dennoch bleibt der Fachkräftemangel ein Riesenproblem. Wären mehr Quereinsteiger eine Lösung?

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Für die Betreuung in den neuen Kindertagesstätten, in den Schülerhäusern und an den Ganztagsschulen fehlen in Stuttgart in den nächsten Jahren Hunderte Erzieherinnen und Betreuungsfachkräfte. Für die städtischen Kitas kann das Jugendamt aber kurzfristig eine positive Zahl vermelden: Stand 28. Juli seien von 1900 Stellen 83 unbesetzt. „Wir hatten lange nicht mehr so wenig offene Stellen“, sagt der stellvertretende Amtsleiter, Heinrich Korn. Das Gesamtpaket an Maßnahmen zur Personalgewinnung zeige Wirkung.

 

So hat die Stadt Ausbildungsplätze geschaffen, zahlt Erzieherinnen seit Januar 100 Euro zusätzlich, der erhöhte Fahrtkostenzuschuss, der für alle städtischen Mitarbeiter gilt, kommt hinzu sowie das Programm mit den deutschsprachigen Rumäninnen. Neun sind bereits da, weitere neun werden laut Korn diesen Monat erwartet.

Von Entspannung kann aber keine Rede sein. Der Gemeinderat hat ein umfangreiches Kitaausbauprogramm beschlossen und diese neuen Kitas gilt es, mit Leben zu füllen. Das Fachkräfteproblem bleibt akut. Schon jetzt berichten Träger, dass es nur sehr wenige Bewerberinnen gebe. „Wir haben praktisch keine Auswahl mehr, und das geht allen so“, sagt Waltraud Weegmann, die Geschäftsführerin des Trägers Konzept-e für Bildung und Soziales GmbH, der in Stuttgart mehr als 20 Kindertagesstätten und deutschlandweit knapp 40 Einrichtungen betreibt. Die Ökonomin macht zwei unkonventionelle Vorschläge, um dem Mangel zu begegnen.

Zum einen fordert sie, Kindertagesstätten für mehr (aber andere) Quereinsteiger zu öffnen, zum anderen sieht sie die Leitungen der Kitas als Stellschraube. Momentan bekommen die Träger für diese nur dann eine Förderung, wenn eine pädagogische Fachkraft die Leitung übernimmt. Die Pädagoginnen würden in den Gruppen aber dringend gebraucht, und Verwaltungsaufgaben könnten auch andere übernehmen, meint Waltraud Weegmann. Bei Konzept-e wird die Leitung aufgeteilt: Es gibt pädagogische Leitungen und solche, die sich nur um die Verwaltung kümmern. Allerdings zahlt der Träger für dieses Konzept drauf. Die Förderkriterien gehören ihrer Ansicht nach vom Land geändert.

Jugendamt sieht ebenfalls einen Ansatzpunkt

Heinrich Korn vom Jugendamt pflichtet Weegmann in diesem Punkt bei – „hier könnte man ansetzen“. Zumindest bei großen Einrichtungen wäre es sinnvoll, wenn Verwaltungsaufgaben von Verwaltungsfachkräften übernommen würden und man diese, etwa mit einer halben Stelle, gefördert beschäftigen könnte – ähnlich wie bei Schulen. Dort übernehmen auch nicht Pädagogen Sekretariatsaufgaben. Die Verwaltungsfachkräfte würden dann die pädagogischen Leitungen unterstützen.

Was die Quereinsteiger angeht, ist Korn zurückhaltender. Waltraud Weegmann glaubt, dass es „keine Alternativen“ gibt. Die Kitas blieben sonst unterbesetzt, daran ändere auch der erweiterte Fachkräftekatalog nichts (siehe Infokasten). Von diesem ist die Konzept-e-Chefin enttäuscht. „Der erweiterte Fachkräftekatalog bringt uns keinen echten Zusatznutzen – diejenigen, die wir eigentlich brauchen, stehen dort nicht drauf“, lautet ihr Urteil. „Wir hätten von einem Schreiner mehr als von einer Hebamme oder einem Dorfhelfer“, meint sie. Gerade Kinder von drei bis sechs Jahren könnten enorm von Schreinern, Physikern, Biologen oder Theaterpädagogen profitieren. Doch solche Quereinsteiger müssten berufsbegleitend 1200 Theoriestunden absolvieren, um als Fachkraft anerkannt zu werden. Das sei gerade für ältere Quereinsteiger abschreckend, sagt die Ökonomin. Dabei brächten diese „Spezialisten“ zusätzliches Wissen und Lebenserfahrung in die Kitas: „Die Qualität steigt dadurch erheblich.“

Weegmann betont, dass es ihr nicht darum gehe, alle freien Stellen in Kitas mit Quereinsteigern zu besetzen. Ein Anteil von bis zu 20 Prozent eines Teams hält sie für sinnvoll. Was die pädagogische Ausbildung angeht, sieht sie 600 Theoriestunden als ausreichend an. Beim Jugendamt beurteilt man eine Quote von 20 Prozent kritisch. „Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels darf die Qualität in den Einrichtungen nicht aufs Spiel gesetzt werden, wir wollen hier keinerlei Abstriche“, betont Korn. Er findet zwar auch, dass gewisse Berufe eine Kita bereichern könnten, vor allem aus den Naturwissenschaften. Hier sähen Eltern oft Nachholbedarf. „Aber lauter Schreiner lösen nicht unsere Personalprobleme“, so Korn. Den Fachkräftekatalog könne man nicht immer mehr ausweiten. Da müsse man „sehr verantwortungsvoll und individuell“ vorgehen. Ein Entgegenkommen kann sich Korn aber bei der Dauer der Qualifizierung von weiteren Quereinsteigern vorstellen: unterhalb der 1200 Theoriestunden, aber deutlich oberhalb der 25 Tage, die für Hebammen anfallen. Allerdings sei das Land zuständig. Seit der letzten Erweiterung des Katalogs sind laut Korn 33 Quereinsteiger in die städtischen Kitateams gekommen – eine geringen Zahl.

20 Prozent Quereinsteiger pro Team

Das Land hat nicht vor, den Fachkräftekatalog wieder auszuweiten und das Gesetz erneut zu ändern. „Das ist nicht geplant“, sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums. Man habe bereits viele Berufsgruppen zugelassen, sodass es an den Kitas multiprofessionelle Teams gebe.