Der Mann, der wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern und Besitzes von kinderpornografischem Material vor Gericht steht, könnte beim Strafmaß davon profitieren, dass bis zum Verhandlungsbeginn so viel Zeit verstrich.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Kreis Ludwigsburg - Dem 59-Jährigen aus dem Landkreis Ludwigsburg, der sich wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs an Kindern in 61 Fällen vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten muss, kommt möglicherweise zugute, dass sich das Verfahren schon unverhältnismäßig lange hinzieht. „In Summe kommen wir auf eine Verfahrensverzögerung von mindestens 24 Monaten“, sagte die Richterin bei der Fortsetzung des Prozesses. „Eine Verzögerung, die sehr bedauerlich ist und die weder den Beteiligten noch dem Fall selbst gutgetan hat.“

 

Erst drei Jahre nach der Anzeige begann die Verhandlung

Die Anzeige gegen den Mann, der über Jahre hinweg die Enkeltochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht haben soll, war im April 2016 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, kurz danach hatten Vernehmungen stattgefunden, die Wohnung des Angeklagten war durchsucht und seine elektronischen Medien waren sichergestellt worden. Doch erst fast drei Jahre später, im April 2019, begann die Verhandlung.

„Das liegt nicht daran, dass sich Gericht und Staatsanwaltschaft ein schönes Leben gemacht haben“, so die Richterin. Der Grund sei schlichtweg die hohe Belastung der Justiz. Zuerst müssten Fälle abgearbeitet werden, bei denen die Angeklagten in Haft seien – was bei dem 59-Jährigen nicht der Fall ist. Zudem hätten zwei Strafkammern die Vertretung für eine weitere übernehmen müssen. Je nachdem wie das Urteil aussieht, das kommende Woche gesprochen werden soll, könnte dem Angeklagten wegen dieser so genannten „rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung“ ein Teil der Strafe als bereits abgebüßt angerechnet werden.

Der Mann weist die Vorwürfe von sich

Der Angeklagte bestreitet weiterhin, zwischen den Jahren 2009 und 2013 die Enkelin seiner langjährigen Partnerin sexuell missbraucht zu haben. Das Mädchen – sie ist heute im Jugendlichenalter und tritt als Nebenklägerin auf – , war ein- bis zweimal pro Monat bei dem Paar zu Besuch gewesen und hatte dabei auch öfter übernachtet. Dabei soll der Mann immer wieder übergriffig geworden sein und Gelegenheiten gesucht haben, das Kind an Brust und im Intimbereich zu berühren. Auch soll er mit dem Mädchen Pornos angeschaut haben. Der Mann weist die Anschuldigungen von sich, unterstützt von seiner Freundin, die ihn als guten Partner bezeichnet, der sie nie schlage. Sie sagte vor Gericht aus, er habe keine Gelegenheiten gehabt, sich an ihrer Enkelin zu vergehen: Sie sei bei deren Besuchen immer zuhause gewesen. Laut Aussage der älteren Schwester des Mädchens soll der Angeklagte sich aber beispielsweise zu dem Kind geschlichen haben, wenn seine Partnerin geschlafen habe.

Belastendes Wissen

Über die große Schwester war das Verfahren auch ins Rollen gekommen. Die Jüngere hatte sich zwar nicht ihr, jedoch einer gleichaltrigen Freundin anvertraut. Die Schülerin konnte es aber nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, das Gehörte für sich zu behalten. Also wandte sie sich an die ältere Schwester und schickte ihr den Whatsapp-Chat, in dem ihre Freundin ihr geschildert hatte, was sie belastete. Als dann die Eltern Ende März 2016 von den Vorwürfen erfuhren, war der Vater so außer sich, dass er wutschnaubend zur Wohnung seiner Schwiegermutter und ihres Partners fuhr – die ihm allerdings nicht öffneten. Das sei wohl im Nachhinein betrachtet auch besser gewesen, da er sonst möglicherweise handgreiflich geworden wäre, sagte er vor Gericht.

Der Angeklagte lebte bisher unbescholten

Bisher lebt der Angeklagte unbescholten: In Kasachstan aufgewachsen, arbeitete er in einem staatlichen landwirtschaftlichen Großbetrieb, bis er 1993 nach Deutschland kam. Hier verdingte er sich unter anderem Maschinenführer, Fahrer und Stallknecht. Er hat keine Vorstrafen. Seine Partnerin und er leben von Sozialhilfe, die er durch seine Jobs aufstockt.

Auf die Herausgabe seines vor drei Jahren beschlagnahmten Laptops – darauf befand sich unter anderem kinderpornografisches Material – verzichte er, erklärte der Mann am Dienstag. „Das schenke ich Ihnen“, sagte er zu der Richterin. „Nein, das schenken Sie mir nicht“, wies ihn diese zurecht. „Ich brauche Ihr Laptop nicht, und die 34 000 Pornos darauf auch nicht.“