Miese Texte, einschläfernde Lieder – wenn unser Kolumnist das Kind in den Schlaf singt, muss er mit seinen musikalischen Vorlieben brechen. Doch er hat einen Trick.

Stuttgart - Morgenmuffel ist er keiner, der Kleine. Und dann ist man eben ein paar Stunden vor der Sonne wach, weil der Sohn das Konzept „Schlaf“ für einen sehr großen Witz hält. „Junge!“, hab ich gesagt. „Sei froh, dass wir den Kassenzettel verloren haben, jetzt können wir Dich nicht mehr umtauschen.“ Er lachte, quietschte vergnügt und funkelte wie alle Wunderkerzen der Welt zusammen.

 

Unter uns: Ich würde den auch mit Kassenzettel nicht umtauschen. Und vielleicht habe ich ein bisschen Angst vor dem Moment, in dem ich mit den flapsigen Sprüchen kürzertreten muss, weil der Kleine das eventuell missverstehen könnte. Noch nimmt er mich aber nicht beim Wort, er ist gerade zwölf Wochen alt.

Kein Grund allerdings, nicht vorzusorgen. In absehbarer Zeit wird er mein Geschwätz verstehen und sogar Fragen stellen. Und ich befürchte, da muss noch viel mehr Weisheit in mich rein. Denn auch wenn Eltern immer so furchtbar schlau tun, es gibt nichts, was einem die eigene Dummheit härter vor Augen führt als ein Kind im Haus.

Auch das noch – wieder Liedtexte büffeln

Eine der leichteren Übungen als Vater: Man muss Liedtexte büffeln. Denn bei einem Großteil der Tophits für Säuglinge, habe ich allerhöchstens diese eine griffige Zeile parat. Das klingt dann ungefähr so: „Guten Abend, gut‘ Nacht - Lalalala lala lala.“ Dann ist Schluss, beziehungsweise noch viel mehr „Lalala“. Damit kommt man langfristig gesehen höchstens beim ESC durch, das Kind wird mich aber spätestens in zwei Jahren ausbuhen. Ich bin nicht stolz darauf, aber es fällt mir leichter, die Beastie Boys oder Ronnie James Dio zu zitieren.

Manchmal versuche ich mich auch mit grobem Unfug in die Nachspielzeit zu retten – einfach mal gucken, ob mir was einfällt, Rapper nennen das „Freestyle“: „Schlaf, Kindlein schlaf, äh, die Mutter ist ein Schaf, der Vater ist ein Trampeltier, passt schon, kannst ja nix dafür, schlaf Kindlein schlaf“. Ein bisschen schäme ich mich für diese Wissenslücken. Doch bislang hatte ich wirklich keinerlei Verwendung für Liedgut, das Menschen müde machen soll.

Rock’n’Roll schläft nicht!

Als eifriger Plattenhörer achte ich noch immer penibel darauf, mir keine Musik anzuschaffen, bei der man einschläft. Die großen Alben des Rock’n’Rolls wurden schließlich nicht legendär, weil man spätestens beim dritten Lied wegdämmert. Bands wie die Dwarves, Motörhead oder die Ramones verfolgten ihre Karriere lang sogar nur ein Ziel – dass es überall zu laut zum Schlafen ist.

Und ich stelle mir vor, wie der Einzelhändler meines Vertrauens eine Platte hochhält und „Hier! Total langweilig. Tiefschlaf in drei, zwei, eins. Kauf dir lieber gleich noch einen Wecker dazu“ sagt. Derartige Musik wäre natürlich ein super Anlass für Komplimente, falls man mal einen Musiker in freier Wildbahn trifft: „Herr Grönemeyer! Ihre neue Platte: Selten so gut geschlafen. Daumen hoch! Gerne wieder. Grüße auch vom Kind.“

Die Melodien sind super, Texte: geht so

Mit dem Texter von „Guten Abend, gut‘ Nacht“ habe ich allerdings noch ein kleines Hühnchen zu rupfen. Super Lied, klar. Aber der Texter war höchstwahrscheinlich betrunken. Da wird tatsächlich das hier gesungen: „Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt.“ Erstens: bei uns zu Hause weckt das Kind, sonst keiner. Zweitens: Alleine der Gedanke, dem Kind die theoretische Möglichkeit nahezulegen, irgendein Stinkstiefel könnte eventuell in Betracht ziehen, es nie wieder aufwecken – Ich sag, wie’s ist: der Typ kommt mir nicht ins Haus.

Süßere Träume beschert man dem Kind höchstens, wenn man Texte von Cannibal Corpse und ein Gemälde von Hieronymus Bosch übers Bett hängt und aus „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk vorliest.

In Ermangelung steiler Baby-Gassenhauer habe ich dem Kleinen einstweilen sogar eine Melodie von Ozzy Osbourne vorgesummt und danach gleich noch „Milord“ von Edith Piaf hinterher gehauen – keine Ahnung, was die da singt. Aber „Lalalala“ geht immer. Hauptsache, die Melodie ist gut. Texte sind dem Kleinen ja zum Glück noch nicht so wichtig.

Und dann mein Trick, als Zugabe der Megahit – ohne „Atemlos“ geht die Fischer ja auch nicht ins Bett. „Guten Abend, gut‘ Nacht, von Englein bewacht, lalala lalala, schlaf nun selig und süß, lalala Paradies“.

Er lachte, er quietschte. Später hat er uns dann natürlich wieder geweckt. Ich habe irgendwie Angst, dass er mich gegen einen besseren Sänger umtauschen will.

Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Er interessiert sich sehr für höllisch laute Musik. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.