Der Spaß hört früh genug auf. Unser Kolumnist Michael Setzer über erfahrene Eltern und die Freuden, endlich wieder kindisch sein zu dürfen. Kind sei Dank.

Stuttgart - „Zeit, erwachsen zu werden“, haben sie gesagt. Eigentlich sagen sie das immer. Als ob eine Springsteen-Platte neben einer von Slayer nicht auch schon ein Zeichen von Reife gewesen wäre. Nee, mit Kind im Haus wird plötzlich eine ganz andere Form der Reife angenommen: Vernunft, Vorbild, Weitsicht und all das Zeug.

 

„Quatsch!“, habe ich gerufen und dann haben wir tatsächlich Quatsch gemacht: Auf allen vieren durch die Wohnung gekrabbelt und „Orr, ich krieg dich“ gerufen, mit verstellter Stimme abwechselnd einen Plüschelefanten und Winnie The Pooh synchronisiert, dem Sohn auf die Nase gestupst und „Möhp“ gesagt, dann auf die eigene Nase gedrückt und „Tatütata“ gesungen, Lippenpups auf dem Bauch, Zunge rausstrecken, noch mehr lustige Geräusche machen und gucken, wer dreckiger lachen kann. Der Kleine hat gewonnen.

Das Prinzip ist klar

Ich sag, wie es ist und ich hab’s auch dem Kind schon gesagt: „Danke, dass du da bist.“ Endlich darf ich wirklich kindisches Zeug tun und endlich bin ich nicht der einzige im Haus, der das lustig findet. Der Kleine freut sich, provoziert mich förmlich, animiert mich und er quietscht beim Lachen. Da fühlt man sich wie der größte Entertainer, den die Welt je gesehen hat. Und natürlich ist mir geläufig, dass Kindererziehung nicht nur aus lautem Quatschmachen besteht.

Das Prinzip ist klar: Je reifer die Kinder werden, desto mehr muss man da auch als Eltern mitziehen – bringt ja nix, wenn der Kleine irgendwann ernsthafte Fragen stellt, der Vater aber unabkömmlich ist, weil er immer noch durch die Wohnung krabbelt und abwechselnd einen Plüschelefanten und Winnie The Pooh synchronisiert.

Immer diese erfahrenen Eltern

Wahrscheinlich ist es auch das, was die erfahrenen Eltern damit meinen, wenn sie sagen: Man solle unbedingt die Zeit mit dem Kleinkind genießen. Ein bisschen traurig ist das, weil man ja auch weiß, dass man nie genug genießt. Außerdem klingt das alles immer so, als wäre später gar nichts mehr lustig.

Erfahrene Eltern sind manchmal nervenaufreibend – ein bisschen so wie Leute, die beim Vorspann eines Filmes brüllen: „Hahaha. Der Hauptdarsteller wird später vom Auto angefahren und dann von Zombies gegessen!“.

Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass man eben auch viel Nützliches erfahren kann, wenn deren Kinder schon alte Hasen im Kinderbusiness sind. Bin dankbar für diese Erziehungs-Spoiler, weil das Leben schließlich auch daraus besteht, regelmäßig etwas zu lernen. Das wiederum funktioniert besser mit Leuten, die etwas wissen. Klar, von Dummen lernt man auch, aber halt selten etwas Neues. Also, her mit der Zukunft.

Windelgröße vier

Grund zur Panik gibt noch nicht. Das Kind ist noch kein Jahr alt und ich muss mir über vieles höchstens theoretisch Sorgen machen. Ich muss den Jungen auch noch nicht zum Spanisch-Kurs anmelden, weil er erst mal sprechen soll, bevor er das auf Spanisch macht, Physiker und/oder Konzertpianist wird. Das Kind muss auch nicht „funktionieren“. Der soll gefälligst Spaß haben. Ich versuche derweil, mich darauf vorzubereiten, dass ich zu funktionieren habe.

Vor ein paar Tagen habe ich mich mit einem Sänger unterhalten, irgendwie Popstar. Seine Tochter hört trotzdem lieber die Musik von Billie Eilish. Im Elterngeschäft hat der Mann mir zwölf Jahre Vorsprung. Also, habe ich gut zugehört: „Der schlimmste Tag meines Lebens war, als ich zum letzten Mal Windeln für die Tochter bei Rossmann gekauft habe“, sagte Thees Uhlmann. Dann habe ich ein bisschen Angst bekommen, denn ich habe mich neulich erst laut und deutlich gefreut, dass wir jetzt schon Windelgröße vier erreicht haben.

„Wie viel der Kleine jetzt wohl wiegt?“, frage ich die Frau zu Hause. Sie: „9,54 Kilo!“ und ich frage, woher sie das denn jetzt derart punktgenau wisse. Sie: „Och, ich habe ihn heute Mittag in der Postfiliale auf die Paketwaage gesetzt.“

Nächstes Mal komme ich mit. Den Spaß genießen. Sie werden ja so schnell erwachsen. Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Kindskopf“.

Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Er schreibt im wöchentlichen Wechsel mit seiner Kollegin Lisa Welzhofer, die sich in ihrer Kolumne „Mensch, Mutter“ regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr macht.